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Öffentliches Geld – Öffentliches Gut!: Die janusköpfige Open-Data-Politik Bayerns

Bayern feiert sich dafür, „zahlreiche“ Geodaten frei verfügbar zu machen, klagt aber gleichzeitig gegen Open-Data-Aktivisten. Ein Lehrstück über doppelgesichtige Politik, die Rechtssicherheit für Open-Data-Nutzende verhindert und falsche Anreize setzt.

Luftaufnahme eines Wohngebiets
Geodaten sollten endlich frei zugänglich sein. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Raphaël Biscaldi

Am 25. Januar 2023 fand die mündliche Verhandlung der Klage des Freistaats Bayern gegen den durch Wikimedia Deutschland unterstützten Markus Drenger in München statt. Wie netzpolitik.org berichtete, verklagt der Freistaat den Open-Data-Aktivisten wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen bei der Wiederveröffentlichung bereits öffentlich einsehbarer Daten.

Gleichzeitig verkündete die Bayerische Staatsregierung in einer Pressemitteilung vom 16. Januar 2023, dass die Vermessungsverwaltung neuerdings selbst Geobasisdaten zur Verfügung stellt. Das soll wohl großzügig klingen, ist aber letztlich nur ein erster Schritt bei der Umsetzung von Regeln, die sich nicht der Freistaat Bayern ausgedacht hat. Sie stammen von der EU und verpflichten Mitgliedstaaten, künftig hochwertige Datensätze (sogenannte High Value Datasets) möglichst frei für die Öffentlichkeit wiederverwendbar zu machen. Die hochwertigen Datensätze – und dazu gehören unter anderem auch Gebäudegrundrisse und Adressen – sollen demnach beispielsweise unter der Lizenz Creative Commons Zero oder der Lizenz Namensnennung 4.0 veröffentlicht werden.

Die bayerischen Daten sind derweil teilweise nur unter CC-BY ND 4.0 verfügbar. Der Zusatz ND bedeutet „No derivatives“, die Lizenz erlaubt also keine Veränderungen. Landesregierung und Behörden handeln hier also nicht nur widersprüchlich, indem Menschen für etwas verklagt werden, womit sich der Freistaat dann selbst brüstet. Sie halten dabei auch noch die für ganz Europa vorgesehenen Freigabestandards nicht ein. Das verstärkt die Rechtsunsicherheit bei Open Data für Ehrenamtliche und alle potenziell Datennutzenden.

Auch Markus Drenger als direkt Betroffener befürchtet eine abschreckende Wirkung und spricht von einem Chilling-Effekt: „Wie soll die öffentliche und parlamentarische Kontrolle der öffentlichen Verwaltung funktionieren, wenn man deren Bekanntmachungen nicht nutzen darf? Das Problem trifft ja nicht nur Ehrenamtliche, sondern auch wissenschaftliche Einrichtungen, Start-ups oder Projekte der öffentlichen Hand, die nutzen ja regelmäßig von Bundesbehörden bereitgestellte Daten.“

Doppelgesichtige Politik statt Rechtssicherheit und Unterstützung

Bundes- wie Landesregierungen erklären immer wieder die Absicht, Vorreiterinnen bei Open Data werden zu wollen – nachzulesen etwa in der Open-Data-Strategie der Bundesregierung. Folgerichtig müsste der Staat dafür, wo immer es möglich ist, die Nutzung behördlicher Daten im öffentlichen Interesse unterstützen.

Entsprechend unverständlich ist es, wenn sich öffentliche Stellen über den im seit Juli 2021 geltenden Datennutzungsgesetz ausgedrückten Willen des Bundesgesetzgebers hinwegsetzen, anstatt vorausschauend die Wiederverwendung dieser Daten als gesetzgeberisch gewollt zu akzeptieren.

Bayern führt die guten Vorsätze derzeit öffentlich ad absurdum: Wer in Deutschland Geodaten wiederverwendet, die für alle zugänglich sein sollten, läuft Gefahr, verklagt zu werden. Nur verletzter Behördenstolz oder doch eher eine Einschüchterungstaktik, die andere davon abhalten soll, freies Wissen auch tatsächlich aktiv für alle freizugeben? In jedem Fall schwächt dieses Vorgehen das Vertrauen in die Integrität und Ernsthaftigkeit, mit der eine Open-Data-Politik im öffentlichen Interesse betrieben wird.

Zumal es sich im Fall Bayern gegen Drenger um Daten handelt, die zum größten Teil mit öffentlichen Geldern erhoben wurden – und zwar von ganz anderen Stellen als der nun klagenden Behörde. Wir alle haben dafür mit Steuergeldern bezahlt. Wir alle sollten deshalb auch Zugang zu diesen Daten haben und sie nutzen dürfen – gemäß der Forderung „Öffentliches Geld? Öffentliches Gut!“.

Nahezu alle Geodaten, um die es in dem Gerichtsverfahren geht, hat die Bayerische Vermessungsverwaltung Anfang 2023 selbst im Online-Angebot BayernAtlas veröffentlicht. Dass sich gleichzeitig ein Ehrenamtlicher vor Gericht verantworten muss, weil er diese öffentlich finanzierten Daten im Interesse aller geteilt hat, ist empörend, gerade für all diejenigen, die sich in den Behörden oder ehrenamtlich für Open Data einsetzen.

„Entweder man möchte, dass Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von freien Daten profitieren, oder man legt dem Ganzen Steine in den Weg“, fasst Markus Drenger das Problem zusammen. „Da sollte sich der Minister auch mal anschauen, wie die Parlamente die Datennutzung geregelt haben.“

Öffentliche Hand sollte Daten nicht verkaufen

Juristisch argumentiert das Bayerische Landesamt mit einem Verweis auf das immer wieder kritisierte Leistungsschutzrecht für Datenbankhersteller. Dieses Datenbankherstellerrecht verleiht Datenbanken einen urheberrechtlichen Schutz, wenn für ihren Aufbau eine „wesentliche Investition“ notwendig war – auch wenn die eigentlichen Daten oder die Struktur der Daten nicht geschützt wären.

Auch gebe es einen Refinanzierungsbedarf bei der Bereitstellung offener Daten – eine Argumentation, die den Wunsch nach einer systematischen Monetarisierung öffentlicher Daten durch Kommunen erkennen lässt. Diese grundfalsche Stoßrichtung stammt aus der Reformverwaltungs-Denke der ausgehenden Thatcher-Ära und passt nicht mehr in die Zeit und zu den Vorgaben, die EU und Bund durch die Open-Data-Richtlinie und das Datennutzungsgesetz heute zu Recht machen.

Die Daten, um die nun vor Gericht gestritten wird, sind „High Value Datasets“ im Sinne der EU. Sie müssten gemäß der im Dezember 2022 angenommenen Durchführungsverordnung ohnehin bald unter CC-0 oder CC BY lizenziert werden. Auch ein im Dezember veröffentlichter juristischer Fachaufsatz von Martini, Haußecker und Wagner stellt klar: Der Bund hat mit dem Datennutzungsgesetz den New-Public-Management-Wunschtraum der Daten-verkaufenden Kommune – endlich! – weitgehend beerdigt.

Gelebte Praxis der letzten Jahrzehnte ist hingegen, dass Behörden, insbesondere Vermessungsbehörden, Anreize für Geschäftsmodelle mit öffentlichen Daten bekommen. Die Bereitstellung von Daten oder geobasierten Auswertungen wird in Rechnung gestellt, sowohl behördenintern als auch externen Abnehmern gegenüber. Das Radwegenetz gibt es dann beispielsweise nur als gedruckte Karte gegen Geld, nicht aber als freien Datensatz, der mit der OpenStreetMap verglichen werden kann.

Derweil sind die Informationen meist bereits mehrfach aus öffentlichen Mitteln anderer Stellen bezahlt, und die Einnahmen aus dem Handel mit Daten sind überschaubar. Gleichzeitig verursachen Abrechnung und Rechnungsstellung Verwaltungskosten, die in die Gesamtrechnung einbezogen werden müssen. Gesellschaftlich fatale Folgen wie die aktuelle Klage sind der Preis einer insgesamt vernachlässigbaren Geldquelle.

Geodaten müssen endlich frei zugänglich sein

Öffentliche Daten wie Wetter-, Verkehrs- oder Geodaten können für innovative, offene Anwendungen genutzt werden, die den Alltag erleichtern – wenn die Behörden, die diese erheben, sie allen Bürgerinnen und Bürger frei zugänglich machen. In einigen Bundesländern werden Geodaten auch bereits kostenlos und frei zugänglich bereitgestellt, etwa in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen.

In der Praxis sorgen jedoch ein mangelnder Rechtsanspruch und die vielen Ausnahmeregelungen im eGovernment-Gesetz dafür, dass die theoretische Bereitstellungspflicht durch die Behörden mit Verweis auf technische Gründe quasi unbegrenzt aufgeschoben werden kann. Statt Anreize für die Wiederverwendbarkeit von Informationen und den Aufbau von IT-Infrastruktur zu schaffen, werden Behörden derzeit animiert, noch möglichst lange das längst tote Pferd des Datenhandels weiter zu reiten.

Rechtsanspruch auf Open Data

Als wichtigen Baustein für mehr Rechtssicherheit im Bereich Open Data muss die Bundesregierung dieses Jahr ihrer Selbstverpflichtung nachkommen und den Rechtsanspruch auf Open Data umfassend und ohne Bereichsausnahmen umsetzen (siehe dazu auch das Positionspapier von Wikimedia Deutschland sowie einen Beitrag in der Publikationsreihe böll.brief).

Damit könnte die Ampel ihr selbstgestecktes Ziel eines digitalpolitischen Aufbruchs zumindest im Bereich Open Data von der Absichtserklärung in die Realität umsetzen. Besonders wichtig ist hierbei, die Perspektive derjenigen aktiv einzubeziehen, die am Ende mit offenen Daten arbeiten wollen und sollen.

Der nächste Verhandlungstag im Fall Bayern gegen Markus Drenger findet im April statt. Denkbar ist, dass die Klage abgewiesen wird, oder aber ein weiterer Beweisbeschluss ergeht und sich der Fall somit noch länger hinzieht. Wir bleiben aufmerksam und begleiten den Fall weiter. Denn jenseits nüchterner Urheberrechtsauslegung hat er auch eine politische Dimension: Es geht um die Ausgestaltung von Regeln für den freien Austausch von Wissen – heute und in Zukunft.


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