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Kryptowährungen und Blockchain: Die große Ernüchterung?

Sowohl Kryptowährungen als auch Anwendungen auf Grundlage der Blockchain-Technologien haben ein hartes Jahr hinter sich. Was sind die Gründe für den Kurs- und Bedeutungsverlust? Und welche Aussichten zeichnen sich ab?

Der FTX-Gründer Sam Bankman-Fried neben einem Polizisten am 3. Januar 2023 in New York City auf dem zur Gerichtsverhandlung
Der FTX-Gründer Sam Bankman-Fried am 3. Januar 2023 in New York City auf dem zur Gerichtsverhandlung – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Everett Collection

Sam Bankman-Fried gründete die weltweit zweitgrößte Kryptowährungsbörse FTX. Mittlerweile steht er in den Vereinigten Staaten unter Anklage. Die US-Behörden werfen dem 30-Jährigen „Betrug epischen Ausmaßes“ und Geldwäsche vor. Im Oktober beginnt der Gerichtsprozess gegen den Unternehmer, der vermutlich auch die Abgründe des Handels mit Kryptowährungen ausleuchten wird.

Als Bankman-Fried am 12. Dezember 2022 festgenommen wird, bestätigt sich für viele Beobachter:innen der Szene ein bereits seit langem anhaltender Trend: der Niedergang der Kryptowährungen. Tatsächlich hält der sogenannte Krypto-Winter die Branche bereits seit etlichen Monaten fest im Griff. Wie aber gerieten Bitcoin, Ethereum und Co. an diesen Tiefpunkt? Und wie wirkt sich deren Talfahrt auf die noch vor kurzem viel gepriesene Blockchain-Technologie aus, auf der auch Kryptowährungen basieren?

Kryptowährungen: hochspekulativ und verlustreich

Gut ein Jahr vor der Festnahme Bankman-Frieds scheint die Welt der Kryptowährungen für viele noch in Ordnung. Im Oktober 2021 erklimmt der Bitcoin-Kurs mit über 66.000 US-Dollar sein Allzeithoch. Doch schon damals mahnen Börsenexpert:innen vor einer Überbewertung. Tatsächlich fällt der Kurs innerhalb des darauffolgenden Jahres um rund 65 Prozent.

„Vergangenes Jahr sind zahlreiche Geschäftsmodelle aus der Krypto-Branche regelrecht implodiert“, sagt Philipp Sandner gegenüber netzpolitik.org. Er ist Chef der Frankfurt School Blockchain Centers an der Frankfurt School of Finance and Management und zählt zu den Verfechter:innen von Kryptowährungen im deutschsprachigen Raum. „Aufgrund der vielen Pleiten mussten viele Bitcoin-Bestände verkauft werden.“ Im vergangenen Sommer dümpelte der Kurs nur noch auf der Marke von 20.000 Dollar.

Angesichts des Ukraine-Krieges erklären viele den Abwärtstrend zunächst mit einem Sicherheitsbedürfnis der Anleger:innen, die in Krisenzeiten konventionelle Anlageformen wie Gold bevorzugen. Dass diese Erklärung allein nicht ausreicht, zeigt sich spätestens am 11. November, als die weltweit zweitgrößte Kryptowährungsbörse FTX Insolvenz beantragt.

Bis dahin wurde deren CEO, Sam Bankman-Fried, weit über die Krypto-Szene hinaus dafür gefeiert, dass er die digitalen Währungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Nun drohen ihm bei einer Verurteilung bis zu 115 Jahre Gefängnis. Bankman-Fried beteuert in allen Anklagepunkten seine Unschuld. Dessen ungeachtet erschüttert die FTX-Pleite die Krypto-Welt schwer und lässt den Kurs vieler Digitalwährungen noch tiefer einbrechen.

Kryptowährungen haben keinen intrinsischen Wert

Dass es überhaupt zu derart starken Kursschwankungen kommen kann, hat auch systemische Gründe. „Um das zu verstehen, zieht man am besten den Vergleich zum Euro“, sagt Michaela Hönig von der Frankfurt University of Applied Sciences. Als Professorin beschäftigt sie sich dort schwerpunktmäßig mit Finanzen und Asset Management. „Der überwiegende Teil unseres Geldes ist eine Forderung an die Zentralbank oder an eine Geschäftsbank. Jeder Euro Bargeld und jeder Euro Guthaben auf einem Zentralbankkonto sind eine Verbindlichkeit für das Eurosystem. Hinter dem Euro steht ebendieses Eurosystem mit seinen Zentralbanken, darunter der Bundesbank, und damit ein Emittent mit gesetzlichem Mandat.“

Dieses Mandat fehlt den meisten Kryptowährungen – und macht sie so volatil. „Virtuelle Währungen werden wie ein Gut übertragen, haben aber keinen intrinsischen Wert, sondern nur einen Tauschwert. Sie haben keinen Emittenten, der sie zurücknehmen muss, und es gibt kein Pfand als Sicherheit. Sie sind somit frei erfunden. Kryptos vermehren sich nach einem festgesetzten Schema in virtuellen Systemen, die formal durch Mehrheitsentscheidung der Nutzer:innen geändert werden können. In der Praxis geschieht dies aber nach dem Belieben einer kleinen Gruppe an Nutzer:innen“, konstatiert Hönig. „Was fehlt, ist Qualität, Sicherheit, Vertrauen, Transparenz.“

„Machtverhältnisse lassen sich nicht wegcoden“

Dabei hatten sich die Krypto-Erfinder:innen ebendiese Werte meist groß auf ihre Fahnen geschrieben. Allerdings konnten die digitalen Währungen diese nicht einlösen, ganz im Gegenteil.

Vielen Kryptowährungen liegt die Idee zugrunde, die fiskalpolitische Abhängigkeit von Regierungen und Zentralbanken zu beenden. „Krypto war ein Versuch der Entpolitisierung von Prozessen. In der Entmachtung von Institutionen sahen viele das Heilsversprechen von Vereinfachung und Effizienz“, sagt Michael Seemann, Kulturwissenschaftler und Autor. „Außer acht gelassen wurde, dass eine Welt durch Machtverhältnisse strukturiert bleibt, sie lassen sich nicht wegcoden. Krypto schafft kein Vertrauen, sondern will es ersetzen. Aber in Wirklichkeit verschiebt die Technologie nur den Punkt, an dem man dann doch wieder vertrauen muss. Zum Beispiel Akteuren wie FTX.“ Michael Seemann kritisiert daher auch die Euphorie, die Kryptowährungen vielerorts entgegenschlug: „Das Finanzprodukt hat kaum jemand verstanden – es hat sich einfach gut angehört, und das hat gereicht.“

In der Tat sind die Schwächen der Krypto-Idee von Anfang an in vielerlei Hinsicht gravierend. Die proklamierte Anonymität ist tatsächlich eine Pseudonymität, denn die Bitcoin-Adressen können zwar keiner einzelnen Nutzerin zugeordnet werden, sie bleiben aber nachverfolgbar. Darüber hinaus verbraucht die Bitcoin-Blockchain Unmengen an Strom, was dem aufwendigen Konsensprinzip Proof-of-Work geschuldet ist. Im Jahr 2020 errechnet das Cambridge Centre for Alternative Finance an der Cambridge University, dass Bitcoin aufs Jahr hochgerechnet mehr Energie verbrauche als die gesamten Niederlande.

Um diesem Problem zu begegnen, steigt beispielsweise das Ethereum-Netzwerk – nach Bitcoin die bekannteste Kryptowährung – im September 2022 vom Proof-of-Work auf den Proof-of-Stake um. Der Wechsel des Konsensmechanismus soll 99,95 Prozent des Energieverbrauches einsparen und und Ethereum als „grüne Blockchain“ stärken. Proof-of-Stake hat jedoch Nachteile. Diese betreffen unter anderem die erhöhte Anfälligkeit des Netzwerkes für potentielle Hacks.

Die bekannten Schwächen von Kryptowährungen werden jedoch ignoriert, solange die Renditen stimmen. In Kombination mit fehlenden Regulierungen vor allem in den USA florieren intransparente und zweifelhafte Geschäftsmodelle. Mit dem Ende der steigenden Kurse brechen vergangenes Jahr weite Teile der eng miteinander verwobenen Branche wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

MiCA und TFR: Wie die EU Kryptowährungen reguliert

Auch in politischer Hinsicht geraten Kryptowährungen zunehmend unter Druck. Denn parallel zum Kursverfall der vergangenen Monate erarbeitet die Europäische Kommission mit der Markets-in-Crypto-Assets-Verordnung (MiCA) und der Transfer of Funds Regulation (TFR) erstmals ein umfassendes Regulierungspaket.

MiCA steckt derzeit noch im EU-Gesetzgebungsverfahren fest. Das Mammutprojekt soll der bisher kaum regulierten Krypto-Industrie Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit setzen und die behördlichen Zuständigkeiten regeln. Die TRF-Regelung zielt hingegen auf die Geldwäscheabwehr und die Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung ab, indem sie der Industrie umfassende Datensammlungspflichten auferlegt. „Mit der zunehmenden Regulierung wird es für Anleger:innen in Zukunft transparenter und rechtssicherer. Dies schützt vor Betrügereien – nicht aber vor hoher Volatilität bis hin zum Totalverlust des Kryptowertes“, sagt Michaela Hönig.

Blockchain: Das Ende eines Hypes

Damit kommen wir zur zweiten Frage: Welche Auswirkungen hat der Vertrauensverlust in die Kryptowährungen auf die Zukunft der Blockchain-Technologie?

Mit den Kryptowährungen ist auch die ihnen zugrundeliegende Blockchain-Technologie in der Gunst vieler gefallen. Das wichtigste Indiz hierfür ist die Streichung des Begriffs aus der im August 2022 verabschiedeten Digitalstrategie der Bundesregierung, nachdem der Referentenentwurf ihn noch aufgeführt hatte.

Die Blockchain-Technologie ist eine spezifische Art der Distributed-Ledger-Technologien (DLT), deren Funktionsweise auf der Verkettung von Datenblöcken basiert. Kryptowährungen sind nur ein von vielen Anwendungsfällen dieser Technologien, ihre Nutzbarkeit geht aber deutlich weiter.

Vor dem Crash-Jahr 2022 ist die Technologie noch in aller Munde. Etliche Implementierungsmöglichkeiten fasst die Bundesregierung 2019 in ihrer Blockchain-Strategie zusammen. In der gemeinsam von Wirtschafts- und Finanzministerium erstellten Publikation heißt es: „Mittels Blockchain-Technologie können alle erdenklichen Werte, Rechte und Schuldverhältnisse an materiellen und immateriellen Gütern durch Token repräsentiert und deren Handel- und Austauschbarkeit potenziell vereinfacht werden.“ Token lassen sich als Einheiten verstehen, die die Grundlage für Transaktionen auf der Blockchain bilden. Neben klassischen Krypto-Token wie Bitcoin (BTC) und Ethereum (ETH) existieren funktionsbestimmte Utility-Token oder Asset-Token, die physische oder digitale Besitztümer abbilden.

Zu den erfassten Anwendungsfeldern gehören damals neben dem Finanzsektor unter anderem die Energiewirtschaft, nachhaltige Wertschöpfungsketten und die öffentliche Verwaltung. Die Bundesregierung hat seit der Veröffentlichung der Strategie auf Nachfragen allerdings wiederholt eingeräumt, dass deren Umsetzung sich mehrheitlich auf Pilotprojekte und Machbarkeitsstudien beschränkt.

Blockchain-Anwendungen im Realitätscheck

Die Blockchain-Technologie soll etwa dazu beitragen, die Transparenz und Sicherheit in globalen Lieferketten zu verbessern, beispielsweise beim Handel mit Kaffee, Medikamenten oder Diamanten. Entsprechende Daten werden dazu während des gesamten Lieferprozesses wie in einem manipulationssicheren Reißverschlusssystem gespeichert. Später sind diese Informationen dann lückenlos einsehbar.

So entwickelt das Berliner Unternehmen Minespider mit Hilfe der Blockchain-Technologie digitale Produktpässe für Rohstoffe, die Nachhaltigkeitsinformationen enthalten. Global agierende Unternehmen können auf diese Weise nachverfolgbare Dokumentationen ihrer Lieferkettenverläufe oder ihres CO2-Ausstoßes generieren. Nathan Willams, CEO von Minespider, beobachtet ein wachsendes Interesse an solchen Angeboten. „Die Hürden in der Großindustrie liegen weniger in der Blockchain-Skepsis als vielmehr in der Geschwindigkeit der Technologieeinführung“, sagt er gegenüber netzpolitik.org. Die Verdichtung regulatorischer Maßnahmen im Nachhaltigkeitsbereich wecke vermehrt das Bedürfnis nach universellen, sicheren und transparenten Lösungen für das eigene Engagement in dieser Hinsicht – sodass die Einführung Blockchain-basierter Lieferkettendokumentationen ungeachtet der vielen Krypto-Crashs stark nachgefragt werde.

Allerdings ist die Blockchain hier keine Rundumlösung. Zwar gewährleistet sie die Unveränderbarkeit der Dateneinträge entlang komplexer globaler Lieferketten und erleichtert somit die Kontrolle. Allerdings schützt die Technologie nicht vor Falschinformationen innerhalb der Dateneinträge: „Herumpfuschen an Lieferketten ist nicht das Problem, die Einträge werden im Allgemeinen nicht manipuliert. Das Problem ist eher, dass in den Dateneinträgen gelogen wird: Das geht aber auch mit Blockchain“, sagt auch Michael Seemann.

Als geradezu ineffektiv und aus datenschutzrechtlicher Perspektive riskant erwies sich die Implementierung der Technologie hingegen im Bereich digitaler Identitäten. So stößt die von verschiedenen Bundesministerien entwickelte App ID Wallet im Herbst 2021 auf massive Kritik von Datenschutzaktivist:innen. Mit Blick auf das gescheiterte Projekt erklärt IT-Sicherheitsexpertin Lilith Wittmann damals in einem Interview mit netzpolitik.org: „Für mich gibt es keine sinnvolle Begründung, so ein Projekt mit einer Blockchain umzusetzen.“

Einen ähnlichen Rückschlag erlebt das Bundesland Sachsen-Anhalt, als es die Bundesdruckerei mit der Ausarbeitung von digitalen Schulzeugnissen auf Basis der Blockchain-Technologie beauftragte. Nicht nur das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) verwies auf Sicherheitsprobleme. Auch Lilith Wittmann demonstriert im Februar vergangenen Jahres, wie leicht sich in dem System Zeugnisse fälschen ließen. Das Projekt wird daraufhin auf Eis gelegt.

Ernüchterung nach dem Rausch

Unterm Strich hat der Blockchain-Rausch der vergangenen Jahre somit ebenfalls zu einem Kater und dann zu großer Ernüchterung geführt.

Das Jahr 2022 hat Kryptowährungen an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Gleichzeitig gibt es mit MiCA und TRF erstmals einen Rechtsrahmen für die Branche und Rechtssicherheit für User.

Und auch die den Kryptowährungen zugrundeliegende Blockchain-Technologie verliert an politischer Bedeutung: Viele Projekte scheitern, die überhöhten Erwartungen an die Technologie wurden nicht erfüllt. Aber wie geht es nun weiter?

In wenigen Jahren werde es nur noch vereinzelte Anwendungen geben, vermutet Kulturwissenschaftler Seemann: „Ich würde mich darauf festlegen, dass Blockchain in fünf Jahren kein großes Thema mehr ist. Selbst wenn doch noch ein neuer, innovativer Use Case auftaucht, wird es keine Revolution, sondern höchstens einen Einsatz für spezielle Anwendungen im Hintergrund geben, der außerhalb von Fachdiskursen kaum Resonanz findet.“

Dennoch hat sich ihr Einsatz etwa in der Logistik bewährt. Somit lohnt es sich, Kryptowährungen und Blockchain nüchtern zu bewerten – um sie dort, wo ihre Anwendung tatsächlich Nutzen bringt, nicht aus dem Blick zu verlieren.

Polina Khubbeeva hat ihre Masterarbeit zu Kryptowährungen im politischen Diskurs verfasst. Neben ihrem Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin hat sie als freiberufliche Redakteurin für BTC-ECHO und Zitty/Tip zu digitalpolitischen Themen geschrieben. 


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