Auskünfte zum Verfassungsschutz? Keine Chance. Vor zwei Jahren wollte das Innenministerium dem FDP-Abgeordneten Konstantin Kuhle keine Fragen beantworten. Zu Unrecht, wie nun das Bundesverfassungsgericht urteilte. Es nimmt die Bundesregierung in die Pflicht.
Nicht alles, was Geheimdienste tun, ist geheim. Auch wenn sich die Agent:innen gerne dagegen wehren, gibt es eine parlamentarische Kontrolle – und diese Kontrolle hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil am Mittwoch (Urt. v. 14.12.2022, Az. 2 BvE 8/21) grundsätzlich gestärkt. Konkret geht es dabei um die Rechte von Abgeordneten, die der Bundesregierung Fragen zur Arbeit der Geheimdienste stellen.
Das Urteil dreht sich um den FDP-Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle. Ende 2020 hatte Kuhle, damals noch in der Opposition, die Bundesregierung um Auskunft gebeten, wie viele Mitarbeiter:innen der Inlandsgeheimdienst 2015 bis 2019 ins Ausland entsandt habe. Diese Frage ist brisant, denn der Verfassungsschutz ist ein Inlandsgeheimdienst – und könnte dem im Ausland tätigen Bundesnachrichtendienst in die Quere kommen.
Das CSU-geführte Bundesinnenministerium (BMI) verweigerte in einem Schreiben vom 9. Dezember 2020 die Auskunft mit der pauschalen Begründung, dass diese das Staatswohl „in besonderem Maße“ berühre. Die Beantwortung der Frage könne daher nicht einmal als geheimhaltungsbedürftige Verschlusssache erfolgen. Kuhle sah seine Abgeordnetenrechte verletzt und strengte in Karlsruhe ein sogenanntes Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung an.
Nun befand der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts: Die Weigerung der früheren Bundesregierung sei nicht ausreichend begründet gewesen und habe Kuhle in seinem parlamentarischen Fragerecht verletzt. Das Gericht bestätigte damit, dass aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG und Artikel 20 Absatz 2 Satz 2 GG ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung folge.
Zwar sei dieser Informationsanspruch nicht grenzenlos. Im konkreten Fall sei aber nicht ersichtlich, inwiefern das Auskunftsersuchen die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigen könne. Kuhle habe weder nach Einsatzorten, Tätigkeitsschwerpunkten oder anderen Einzelheiten gefragt, so das Gericht.
Innenministerium ließ den Streit im März eskalieren
Bereits im vergangenen März war es zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht gekommen. Damals hätte das BMI den Streit ausräumen können. Denn die FDP war inzwischen Regierungspartei und anstelle von Horst Seehofer (CSU) amtiert Nancy Faeser (SPD) als Innenministerin.
Doch die Rechtsvertreter:innen des BMI hatten offenkundig kein Interesse daran, den Konflikt beizulegen. Vielmehr forderten sie, den Verfassungsschutz beim Fragerecht der Abgeordneten ausdrücklich auszunehmen.
Als Begründung führte das BMI die „Mosaiktheorie“ an. Demzufolge könnten ausländische Geheimdienste auch kleine Informationen dazu nutzen, um daraus ein Gesamtbild zu erstellen – wie bei einem Mosaik. Daher wolle die Regierung künftig ausschließlich Abgeordneten des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) Auskünfte geben.
Urteil nimmt Bundesregierung in die Pflicht
Den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts überzeugte die Argumentation des Ministeriums nicht. Er entschied nicht nur eindeutig im Sinne des klagenden Abgeordneten, sondern lehnte auch eine „Bereichsausnahme“ ab, die das BMI einforderte.
Die Vize-Präsidentin des Gerichts, Doris König, betonte bei der Urteilsverkündung, dass das Staatswohl „nicht allein der Regierung, sondern Bundestag und Bundesregierung gemeinsam anvertraut“ sei. Grundsätzlich müsse ein Ausgleich hergestellt werden: zwischen dem staatlichen Geheimhaltungsbedürfnis einerseits und dem parlamentarischen Auskunftsanspruch andererseits. Vor diesem Hintergrund werde die Argumentation des BMI, so König weiter, „den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verweigerung der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage nicht gerecht“.
Das PKGr seit laut Gericht ein zusätzliches Instrument parlamentarischer Kontrolle – sonstige parlamentarische Informationsrechte verdränge es nicht. Im konkreten Fall könne Konstantin Kuhle die Auskunft auch unter Auflagen erhalten, etwa in der Geheimschutzstelle des Bundestags und unter der Bedingung, die Informationen nicht mit anderen zu teilen.
Auch die vom BMI angeführte „Mosaiktheorie“ überzeugte das Gericht nicht. Eine damit begründete „Bereichsausnahme“ würde zu einem „völligen Leerlaufen“ des Fragerechts der Abgeordneten führen. Schließlich könne damit jede Detailinformation verwehrt werden, da sie für ausländische Geheimdienste potentiell ein wichtiger Mosaikstein sein könnte.
Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass es in diesem Urteil um weit mehr als die Anfrage eines Abgeordneten geht – nämlich um die Macht des Parlaments, die Arbeit der Geheimdienste effektiv zu kontrollieren. Und laut den höchsten Richtern dieses Landes ist die Bundesregierung dazu verpflichtet, den Abgeordneten dafür Auskunft zu erteilen.
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