In manchen Fällen können sich Nutzer:innen großer sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Youtube künftig besser wehren, wenn die Anbieter ihre Beiträge gelöscht oder fragwürdige Inhalte stehen gelassen haben. Das sogenannte Gegenvorstellungsverfahren greift aber bei weitem nicht in allen Fällen.
Gestärkte Rechte von Nutzer:innen zählen zu den Schlüsselpunkten der Novelle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), über die am heutigen Mittwoch der Rechtsausschuss und am Donnerstag der Bundestag abstimmt.
Der erweiterte Beschwerdeweg greift jedoch nur dann, wenn die ursprüngliche Meldung des Inhalts nach dem NetzDG erfolgt ist – selbst wenn die Anbieter später nach ihren sogenannten Gemeinschaftsstandards löschen. Nutzer:innen können dann vom Anbieter die Überprüfung dieser Entscheidung verlangen. Für alle anderen Moderationsentscheidungen der sozialen Netze gelten diese neuen Rechte nicht.
Schlupfloch Meldeweg
Zugleich will die Novelle ein früher gern genutztes Schlupfloch schließen: Meldungen womöglich rechtswidriger Inhalte sollen künftig leichter fallen, NetzDG-Formulare müssen dann direkt vom jeweiligen Inhalt aus erreichbar sein.
Vor allem Facebook versteckte bis vor Kurzem den NetzDG-Meldeweg besonders gut, stattdessen lenkte es Nutzer:innen auf die eigenen Beschwerdeformulare. Gelöscht hat das Unternehmen deshalb fast ausschließlich nach seinen Gemeinschaftsstandards, was auch die entsprechenden NetzDG-Transparenzreports entwertet hat.
Erst eine angedrohte Millionenstrafe und die anstehende Novelle ließen das Unternehmen einlenken: Mittlerweile ist die NetzDG-Beschwerde zwar immer noch nicht prominent platziert, taucht aber im normalen Meldeformular auf.
„Insbesondere die Einführung des Gegenvorstellungsverfahrens halten wir für ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Nutzerinnenrechte“, sagt der zuständige SPD-Berichterstatter Florian Post. „Dieses greift nun nicht mehr nur für Löschungen nach dem NetzDG, sondern auch bei Entscheidungen nach den Hausregeln der Plattform.“
Diese Klarstellung fand erst im Rechtsausschuss in den Gesetzentwurf und könnte dabei helfen, die Moderationspraxis der Unternehmen ein wenig besser und transparenter zu machen – aber eben nur dann, wenn Nutzer:innen auch tatsächlich den NetzDG-Meldeweg beschreiten. Die bessere Auffindbarkeit des NetzDG-Beschwerdeweges soll dazu führen, hofft Post, dass „dieser auch häufiger genutzt werden wird“.
„Wirrwarr“ an Verfahren
Der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat, Obmann der linken Fraktion im Rechtsausschuss, findet die Erweiterung des Gegenvorstellungsverfahren prinzipiell gut. Doch das „Wirrwarr aus drei verschiedenen, potenziell parallel verlaufenden Verfahren“ bei vermeintlich rechtswidrigen Inhalten sei nicht behoben worden.
Neben dem Gegenvorstellungsverfahren zählt der weiterhin mögliche Zivilrechtsweg dazu, sowie ein mögliches Verfahren vor einer anerkannten Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung. An eine solche Prüfstelle können sich Diensteanbieter wenden, wenn sie sich nicht sicher sind, ob ein gemeldeter Inhalt wirklich rechtswidrig ist.
Bislang kam dies nicht sonderlich oft vor: Im vergangenen Jahr prüfte das Expert:innengremium der Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) – die einzige diesbezüglich zugelassene Einrichtung – lediglich 23 Grenzfälle.
Neu hinzu kommen zudem denkbare Verfahren vor einer unabhängigen Schlichtungstelle. Damit könnten sich Streitigkeiten außergerichtlich beilegen lassen, sollte im Gegenvorstellungsverfahren keine befriedigende Lösung gefunden werden. Die Teilnahme an den Schlichtungsverfahren ist allerdings freiwillig.
Wiederherstellungsanspruch nicht klar
Renate Künast von den Grünen zeigt sich froh, dass diese „Hängepartie endlich ein Ende gefunden“ hat. Die Reform sei quasi seit seiner Verabschiedung des NetzDG überfällig. Meldewege zu vereinfachen und gegen unrechtmäßig gelöschte Inhalte vorgehen zu können, seien jahrealte grüne Forderungen.
„Das Gegenvorstellungsverfahren ist allerdings halbgar, denn es beinhaltet keinen tatsächlichen Wiederherstellungsanspruch der Inhalte“, sagt Künast. Die Novelle stellt lediglich klar, dass die Zustellungsbevollmächtigten des jeweiligen Anbieters auch für sogenannte Wiederherstellungsklagen zuständig sind.
Das soll es einfacher machen, gesperrte Inhalte oder Accounts wiederherzustellen. Darüber hinaus sollen erweiterte NetzDG-Transparenzberichte der Anbieter künftig aufführen, wie viele Gegenvorstellungen sie erhalten und wie viele Inhalte sie wieder eingestellt haben.
Den Grünen geht das nicht weit genug. Sie wollen das Gegenvorstellungsverfahren so ändern, dass Nutzer:innen „gegenüber den Plattformbetreibern einen Anspruch auf Wiederherstellung der Inhalte erhalten“, hießt es in einem Änderungsantrag, den sie im Rechtsausschuss einbringen werden.
Darin fordern sie auch, eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des NetzDG zu prüfen – etwa auf Kanäle von Messengerdiensten, die sich in manchen Fällen inzwischen zu sozialen Netzwerken entwickelt haben. „Rechter Hass und Hetze finden zunehmend in den riesigen Kanälen von Messengerdiensten wie Telegram statt, die jedoch weiterhin von jeglicher Regulierung ausgenommen werden“, sagt Künast.
Dass der Antrag der Opposition angenommen wird, ist so gut wie ausgeschlossen. Deshalb bleibe es wohl Aufgabe der nächsten Legislatur, so Künast mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl, „mit der Zivilgesellschaft endlich eine langfristige, ganzheitliche Strategie gegen Rechtsextremismus, Hasskriminalität und Desinformation umzusetzen“.
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