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Whistleblowing-Gesetz: „Entwurf lässt Hinweisgebende im Stich“

Erstmals soll eine gesetzliche Regelung Whistleblower:innen schützen. – Pixabay / Montage netzpolitik.org

Was der schwarz-roten Koalition nicht gelungen ist, will nun die Ampel nachholen. Der heute vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes soll Whistleblower:innen dabei helfen, Missstände zu melden, ohne Angst vor Repressalien haben zu müssen.

Obwohl der Regierungsentwurf über die Mindestvorgaben der EU hinausgeht, bleibt er doch hinter den Erwartungen zurück. Beispielsweise müsste ein deutscher Edward Snowden ähnlich viel Sorge vor rechtlichen Konsequenzen haben wie der nun in Russland sitzende US-Whistleblower. „Wer auf ein umfassendes Schutzgesetz für Whistleblowerinnen und Whistleblower gehofft hat, wird enttäuscht“, sagt David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). „Der Entwurf lässt viele Hinweisgebende im Stich und legt ihnen Steine in den Weg.“

Die Hoffnung auf einen umfassenden Schutz von Hinweisgeber:innen hatte die Regierung indes selbst geweckt. Im Koalitionsvertrag versprach sie, nicht nur Meldung von Verstößen gegen EU-Recht sicher zu gestalten. Auch sollten Hinweise über erhebliche Verstöße gegen Vorschriften oder sonstiges erhebliches Fehlverhalten geschützt sein, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt – unabhängig davon, ob es sich um Verstöße gegen EU-Recht oder deutsche Gesetze handelt.

Zu wenige Missstände abgedeckt

Tatsächlich weitet der Kabinettsentwurf den sogenannten sachlichen Anwendungsbereich aus. Allerdings bleibt dies auf bestimmte Bereiche beschränkt: Umfasst ist die Offenlegung strafbewehrter Verstöße, ebenso die von bußgeldbewehrten Informationen, sofern sie „Leben, Leib oder Gesundheit oder den Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane verletzen“. Darüber hinaus lassen sich unter anderem bestimmte Finanzverbrechen melden oder Verstöße, die die Produktsicherheit gefährden.

Im Vergleich zu früheren Entwürfen aus dem Bundesjustizministerium hätten sich fast keine Neuerungen ergeben, sagt Simon Gerdemann, der an der Universität Göttingen zum Whistleblowing-Recht forscht. Zwar seien Verstöße gegen nationales Kartellrecht jetzt weitgehend meldefähig. „Die im Koalitionsvertrag eigentlich vereinbarte Aufnahme erheblicher Missstände als Gegenstand des Whistleblowings fehlt aber nach wie vor“, sagt Gerdemann.

Grundsätzlich soll eine Meldung über interne und externe Meldestellen erfolgen. Whistleblower:innen können selbst entscheiden, ob sie auf Missstände zunächst im Unternehmen beziehungsweise einer Behörde hinweisen oder sich an etwa an das Bundesamt für Justiz wenden. Dort soll eine zentrale externe Meldestelle entstehen, daneben soll es spezialisierte Meldesysteme geben, unter anderem beim Bundeskartellamt.

Bitte nicht anonym und bitte nicht an die Presse

Anonyme Meldungen „sollten“ bearbeitet werden, wünscht sich die Bundesregierung. Eine Pflicht für entsprechende Meldekanäle sieht sie jedoch nicht vor. Das gehe an der Realität vorbei, sagt Werdermann von der GFF. „Aus Angst vor Repression wenden sich viele Menschen legitimerweise nur anonym an Meldestellen“, so der Jurist. Die Ermöglichung und Bearbeitung anonymer Meldungen sollte daher verpflichtend vorgeschrieben werden, „zumal es dafür mittlerweile zahlreiche IT-Lösungen gibt“.

Der Gang an die Medien soll nur dann möglich sein, wenn eine Meldung über die vorgesehenen Kanäle im Sand verlaufen ist. Das genüge aber weder dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit für Whistleblower:innen noch dem Informations- und Partizipationsanspruch einer demokratischen Gesellschaft, kritisiert Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk. „Die Norm muss den direkten Gang an die Öffentlichkeit schützen, wenn eine Offenlegung im öffentlichen Interesse liegt.“

Wirtschaftsblockade

Eigentlich war die Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtline bereits Ende des Vorjahres fällig gewesen. Streit gab es in der Vorgängerregierung vor allem darum, ob auch Verstöße gegen deutsches Recht erfasst werden sollten. Blockiert hatte das damals CDU-geführte Wirtschaftsministerium unter Peter Altmaier, der sich auf die Seite der Unternehmen gestellt hatte.

Gegen die nun geplante Ausweitung wehrt sich die Wirtschaft bis heute. Den Arbeitgeberverbänden zufolge sei sie „überflüssig“ und berge die Gefahr einer „Überfrachtung“. Zumindest müsse es eine Bagatellgrenze geben, schreibt der Verband in seiner Stellungnahme zu einem früheren Entwurf des Gesetzes, damit nicht jeder „kleinste Verstoß oder Missstand“ gemeldet werden kann.

Zivilgesellschaftliche Gruppen hatten hingegen auf einen möglichst breiten Schutz gedrängt. So sei etwa unklar, warnt der Deutsche Anwaltverein, ob Mängel in Lieferketten oder bei Sozialversicherungen erfasst sind. Auch die GFF sieht Schutzlücken. Rechtsextreme Chats von Polizeibeamt:innen müssten etwa eine hohe Schwelle der Strafbarkeit wie Volksverhetzung erreichen, um sie melden zu können.

„Dabei kann es auch bei solchem Fehlverhalten ein erhebliches öffentliches Interesse am Bekanntwerden geben“, sagt Werdermann. Dies gelte auch in anderen Bereichen, etwa in der Pflege: Selbst wenn kein Straftatbestand erfüllt wird, können vielen Missstände trotzdem skandalös und schädlich für das Gemeinwohl sein.

Geheim bleibt weitgehend geheim

Minimal hat sich die Regierung in Sachen geheimer Informationen bewegt. Ein früherer Gesetzentwurf hatte noch völlige Stillhaltepflicht verlangt. Nun sollen zumindest Informationen des schwächsten Geheimhaltungsgrades (Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch) unter bestimmten Bedingungen gemeldet werden dürfen – allerdings nur an eine interne Meldestelle.

Die schwache Regelung ärgert die linke Bundestagsabgeordnete Martina Renner. „Indem ’nationale Sicherheit oder wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates‘ pauschal Vorrang haben sollen, werden ‚illegale Geheimnisse‘ durch ihre Einstufung als Verschlusssachen gegen Whistleblowing immunisiert“, sagt die Geheimdienstexpertin. Anregungen wie unabhängige Anlaufstellen, die die Einstufung als Verschlusssache auf Aufforderung potenzieller Whistleblower:innen prüfen könnten, seien nicht berücksichtigt worden. „Die Ampel bleibt damit selbst hinter ihrem eigenen Koalitionsvertrag zurück.“

Der Ball liegt nun beim Bundestag und Bundesrat. Die beiden Kammern müssen dem Entwurf noch zustimmen.


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