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Drohnenkrieg: Die TikTokisierung des Grauens

Im Russisch-Ukrainischen Krieg kommen täglich hunderte Drohnen zum Einsatz. Sie dienen nicht nur der Aufklärung und Tötung, sondern liefern auch hochauflösende Bilder des brutalen Konflikts. Diese landen als ästhetisierte Kurzclips auf unseren Bildschirmen.

Screenshot eines Videos
Ein Soldat blickt in die Kamera einer Drohne (Screenshot eines auf Reddit veröffentlichten Videos)

Dieser Text enthält Beschreibungen extremer Gewalt und verlinkt unter anderem auf Videos, die Darstellungen extremer Gewalt enthalten.

Die Drohne fixiert einen Soldaten, der in einem Erdloch schläft. Im Hintergrund des Videos läuft „The Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel. Die ersten Zeilen des Songs untermalen das Geschehen auf gespenstische Weise: „Hello Darkness my old friend, I’ve come to talk with you again, because a vision softly creeping, left its seeds while I was sleeping“. Die Drohne klinkt eine Granate aus. Sie detoniert neben dem Erdloch des Soldaten. Schnitt. Der Refrain setzt ein. Der Soldat liegt auf offenem Feld, barfüßig und unbewaffnet. Er hebt die Hand zum Kopf, scheint sich zu bekreuzigen. Die Drohne klinkt eine weitere Granate aus. Dieses Mal schlägt sie direkt zu den Füßen des Soldaten ein. Er krümmt sich zusammen, rollt zur Seite. Schnitt. Der Soldat liegt still.

A day in the life of an orc“ lautet der Titel des Videos, das mit dem Hashtag „Shrapnel“ versehen in dem Subreddit namens „DronedOrc“ veröffentlicht wurde. Ein Zuschauer kommentiert lakonisch: „An diesem Punkt erfüllt der Drohnenpilot den Job eines Jägers: Er jagt nicht aus Spaß, sondern er befreit das Land von bösen Tieren – kranke Tiere und invasive Arten, die eine Gefahr für andere darstellen. Mit einem Gnadenschuss befreit er das kranke Tier von seinem Leid.“

Wie Drohnen den Krieg prägen

Die Aufnahme reiht sich in hunderte Drohnenclips ein, die unzensiert das Töten auf den Schlachtfeldern der Ukraine zeigen. Die unbemannten Luftfahrzeuge können aus der Ferne gesteuert werden und kommen im Ukrainekrieg zigtausendfach zum Einsatz – vom kleinen Flieger bis zur Hightech-Kampfdrohne. Pro Monat verliert die ukrainische Armee rund zehntausend Drohnen, also rund 300 Drohnen pro Tag. Sie verfügt auch über eigene Drohnen-Staffeln.

Drohnen sollen militärische Aufklärung betreiben, können aber auch feindliche Stellungen angreifen. Sowohl die ukrainische als auch die russische Seite verwendet dabei „Loitering Munition“, sogenannte Kamikaze-Drohnen wie die amerikanische „Switchblade 600“. Sie kreisen über dem Zielgebiet und greifen den Feind direkt an, indem sie sich dabei selbst zerstören. Aber auch handelsübliche Sportdrohnen, die Soldat:innen eigenhändig mit Granaten und Brandsätzen bestücken, kommen zum Einsatz. Die kleinsten Modelle lassen sich in einem Rucksack verstauen und können von einer einzelnen Person bedient werden.

Bildmaterial von der Front findet sich auch im Internet wieder. Kampfhandlungen lassen sich darin aus unterschiedlichen Perspektiven verfolgen – die Drohnen geben die Vogelperspektive wieder, die Helmkameras der Soldat:innen die Sicht wie in einem Ego-Shooter, dank Thermalkameras geht das sogar bei Nacht. Häufig erinnern die Szenen an die Ästhetik von Videospielen.

Verflechtung von Krieg und Medien

Gänzlich neu sind weder der Einsatz von Drohnen noch die Ästhetisierung des Krieges selbst. Schon der Amerikanische Bürgerkrieg wurde in größerem Umfang fotografisch festgehalten. Allerdings zeigte die Kriegsfotografie durch ihre anfangs begrenzten technischen Möglichkeiten meist ein „Vorher“ oder ein „Danach“, aber kein „Währenddessen“.

Erst die Entwicklung mobiler Kleinbildkameras ermöglichte „Schnappschüsse“ unmittelbar von der Front, wie etwa der „Der Fallende Soldat“ des Kriegsberichterstatters Robert Capa aus dem Jahr 1936. Das weltbekannte Foto hält den vermeintlichen Todesmoment eines anarchistischen Milizionärs im Spanischen Bürgerkrieg fest, der von einer feindlichen Kugel getroffen zu Boden sinkt. Auch Hollywood hat die Erinnerung an Kriege maßgeblich geprägt. Der Vietnamkrieg erfuhr eine beispiellose popkulturelle Erhöhung durch Filme wie „Apocalypse Now“ oder „Full Metal Jacket“.

Die Aufnahmen des Massakers von My Lai des Kriegsreporters Ronald Haeberle erschütterten dann Ende der 1960er-Jahre die US-amerikanische Öffentlichkeit nachhaltig, ebenso wie 2004 die Fotos aus dem Foltergefängnis Abu Ghraib im Irak. Im syrischen Bürgerkrieg ab 2011 zeichneten die Kämpfer:innen dann erstmals mit Smartphone und GoPro-Kameras ihre Gefechte aus nächster Nähe auf, was geradezu eine Gewaltspirale in Gang setzte.

Kontextlose Gewaltästhetik

Schaut man sich die aktuellen Aufzeichnungen aus dem Ukrainekrieg an, wecken diese aber vor allem Erinnerungen an einen anderen weltbekannten Film: das von Wikileaks veröffentlichte Video „Collateral Murder“. Es zeigt einen tödlichen Angriff US-amerikanischer Helikopterpiloten auf eine Gruppe irakischer Männer. Unter ihnen zwei Kriegsberichterstatter, die für die Nachrichtenagentur Reuters arbeiteten.

Der Unterschied zwischen Collateral Murder und den Drohnenclips liegt allerdings im mitgegebenen Kontext, der Rezipient:innen eine Einordnung des gezeigten Geschehens ermöglicht. Bei Collateral Murder kennen wir die Namen der Opfer, wir hören den Funkverkehr der Helikopterschützen, wir können durch die Einblendung von Text dem genauen Ablauf des Angriffs folgen. Weder ist Musik unterlegt noch lenken schnelle Schnitte vom Geschehen ab.

Die Drohnenclips aus dem Ukrainekrieg dienen hingegen nicht dazu, mögliche Kriegsverbrechen aufzudecken. Sie verfolgen keinen aufklärerischen Zweck. Die Videos im Subreddit DronedOrc ästhetisieren vielmehr die Kriegshandlungen im Stil von Tiktok-Clips – ungeachtet der dort geltenden Regeln: „Die Glorifizierung von Gewalt ist strengstens verboten, unabhängig der Nationalität oder ethnischer Zugehörigkeit. Wir alle sind Menschen!“

Dessen ungeachtet schneiden die Follower:innen hochauflösende Drohnenaufnahmen mit viralen Memes wie den „Coffin Dance“ oder bekannten Pop-Songs so zusammen, dass „Höhepunkte“, wie die Explosion einer Granate mit einem Beat-Drops zusammenfällt. Die anonymen Opfer werden bereits in den Titeln der Videos entmenschlicht und verhöhnt. Sie lauten beipielsweise „The drone operator drove the orc to suicide“ oder „Orc remains in eternal Memory“.

Die meisten Videos entstammen dem Messengerdienst Telegram. Häufig kommen sie direkt von den Soldat:innen an der Front. Aus Nischengruppen namens „Escadrone“, „Supernova+“ oder „Karymat“ gelangen die Inhalte in unterschiedliche soziale Medien. Am Ende landen sie dann etwa im Instagram-Kanal „ukrainian_war_footage“, der mehr als einhunderttausend Follower:innen hat. Reddit’s „r/combatFootage“ folgen 1,4 Millionen Menschen. Und auch auf Tiktok generieren die grausamen Videos zigtausende Likes und Kommentare.

Verschwimmende Grenzen

Auch das Kommando der Spezialeinheiten der ukrainischen Streitkräfte veröffentlicht mutmaßlich Drohnenaufnahmen, die als Vorlage für die Clips dienen, oder leiten diese an Medien wie die britische Boulevardzeitung „The Sun“ weiter, die die Aufnahmen dann in ihren YouTube-Kanal hochlädt. Eine journalistische Einordnung unterbleibt dabei in der Regel. Damit verschwimmt die Grenze zwischen Kämpfer:innen und Content-Produzierenden, Aktivismus und Berichterstattung, Nachricht und Propaganda.

Die russische Seite geht ähnlich vor. Diese Videos sind für nicht-russischsprachige Menschen meist schwieriger zu finden, da die Inhalte hauptsächlich über die Telegram-Gruppen der Kriegsblogger und regierungsnahen Propagandakanäle geteilt werden. Deren Reichweite ist im Westen wegen der Sprachbarriere häufig eingeschränkt. Eine Ausnahme bildet TikTok: Hier werden einem Videos beider Seiten angezeigt.

Mit ihrem Informationskrieg wollen sowohl die Ukraine als auch Russland ihre Überlegenheit auf dem Schlachtfeld demonstrieren, indem sie feindliche Soldat:innen und Stellungen als leichte Ziele darstellen. Dabei zählt auch auf dem digitalen Schlachtfeld das Recht des Stärkeren: Wer die „besseren“ Bilder liefert, sprich wer über eine größere Anzahl an Drohnen verfügt und mehr Schlagkraft auf den sozialen Medien besitzt, gewinnt im Informationskrieg die Oberhand.

Verzerrung der Wirklichkeit

Hinter der videoclipartigen Ästhetik verblassen jedoch die zahlreichen Toten, der Schmerz der Angegriffenen und die körperlichen und mutmaßlich traumatischen Folgen für die Überlebenden. Zugleich sollen die mit viralen Hits untermalten Videos, wie „Run“ von AWOLNATION, den Feind buchstäblich das Fürchten lehren.

Die zynische „Verniedlichung“ durch das Zusammenspiel aus Titel, Schnitt und Musik erschwert ein neutrales Studium der Aufnahmen. Stellt der Charakter der Musik gezielt einen Kontrast zum Bildinhalt her, spricht man in der Filmtheorie von Kontrapunktierung. Durch dieses Stilmittel ergibt sich eine neue Aussage, die nicht der Intention jeweils von Musik oder Bild entspricht.

Gleichzeitig erwecken die Videos den Eindruck, dass Krieg aus videospielartigen Missionen besteht, in denen Soldat:innen den Gegenspieler aus sicherer Entfernung abschießen. Die Parallelen zwischen den Clips von Kamikaze-Drohnen, die mit Sprengsätzen bestückt feindliche Soldaten ausschalten, und Videospielklassikern wie Call of Duty sind offensichtlich. Der Komplexität des Krieges werden die Clips damit nicht gerecht. Sie zeigen lediglich einen subjektiven Ausschnitt aus dessen Alltag, szenisch aufbereitet für Schaulustige im Netz.

Hinzu kommt, dass sich der brutale und im wahrsten Sinne des Wortes todernste Inhalt im TikTok-Feed mit putzigen Tiervideos und Werbung vermischt, was einer Hierarchisierung der Bilder entgegenwirkt. Umso mehr befördert dies einen voyeuristischen Blick, der alleine der Stimulierung des Gehirns dient, das die Schnelligkeit des fortwährenden Feeds ohnehin überfordert. Eigentlich setzen die Clips eine Reflexion und damit ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit voraus. TikTok bietet dafür keinen angemessenen Raum.

Konsumhaltung und brutale Kriegsrealität

Was aber machen diese Bilder mit uns? In ihrem Essay „Das Leiden anderer betrachten“ stellt Susan Sonntag fest, dass die konstante Berieselung mit Schreckensbildern nicht zwangsläufig dazu führt, dass wir uns an die gezeigten Grausamkeiten gewöhnen und abstumpfen. Im Gegenteil könnten die Bilder gequälter und verstümmelter Körper geradezu eine „Neigung zum Grauenhaften“ befördern.

Gemäß der weitgehend positiven Rezeption der Drohnenvideos in den sozialen Medien fällt es vermutlich schwer sich der Faszination dieser Bilder zu entziehen – zumal wenn das Wissen um die eigene moralische Überlegenheit die einst nachdrückliche Antikriegshaltung aufweicht oder gar in Begeisterung umwandelt.

Den Betroffenen, insbesondere den Menschen aus der Ukraine, mag es ein Gefühl der Ermächtigung verschaffen, die Invasoren in der Rolle der Erniedrigten und Gefallenen zu sehen. Die Zuschauer:innen im Westen genießen hingegen das Privileg, auch das betont Susan Sonntag, nurmehr eine reine Konsumhaltung gegenüber der brutalen Kriegsrealität einnehmen zu können. Like. Nächster Clip. Und weiter.


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