„Deine Kurven brechen mir das Herz“, schreibt jemand unter ein Foto von Mocha. Darin zeigt Mocha sich nackt, ein Bein aufgestellt, eine Hand lässig auf den Oberschenkel gelegt. Mochas Fingernägel: altrosa, passend zur Tür im Hintergrund. Das Bild reicht nur bis zum Hals, ihr Gesicht bleibt verborgen. Veröffentlicht hat sie das Bild an einem Ort namens GoneWildCurvy auf dem sozialen Netzwerk Reddit. Selbstbeschreibung: „eine sichere Community, in der weibliche Redditoren ihre nackten oder teilweise nackten Körper zeigen können.“
GoneWildCurvy unterscheidet sich von vielen anderen Nackt-Communitys im Netz. Hier darf kein Bild online sein, wenn sich die darauf gezeigte Person nicht zuvor verifiziert hat. Dafür genügen ein Blatt Papier und ein Stift. So hat es auch Mocha gemacht: Auf das Papier kommen der eigene Nickname, das Datum und der Name der Community, GoneWildCurvy. Dann das Papier vor den Körper halten und drei Fotos aus verschiedenen Winkeln knipsen. „Merkt euch, dass alle Beteiligten verifiziert sein müssen“, mahnen die Moderator:innen der Community. Das gilt auch für Paare, wenn von einer Partner:in nur die Hände im Foto zu sehen sind.
GoneWildCurvy gibt es seit zehn Jahren und zählt rund 652.000 Mitglieder. Die meisten davon schauen wohl nur zu. „Wir haben über die Jahre lange und hart darüber nachgedacht, wie wir Nutzer:innen schützen können und zugleich sicherstellen, dass sie Inhalte nur mit vollem Einverständnis veröffentlichen“, schreibt Maeby im Gespräch mit netzpolitik.org auf Englisch. Maeby ist Moderatorin bei GoneWildCurvy – und auch bei der Schwester-Community GoneWildColor. Das heißt, sie wacht gemeinsam mit anderen Freiwilligen über die Regeln.
„Wir haben Worst-Case-Szenarien im Blick und versuchen, uns darauf vorzubereiten“, erklärt Maeby. Das spiegelt sich auch in den Regeln wieder. Mindestens eines der Fotos zur Verifikation soll vom Hals bis zu den Knien gehen. „Wir müssen deinen Körper sehen, um ihn zu verifizieren“, heißt es auf einer Erklärseite. Das Papier soll zerknittert sein, damit es umso schwerer per Bildbearbeitung gefälscht werden kann. Schlecht beleuchtete, unscharfe oder nachbearbeitete Bilder würden nicht akzeptiert.
EU könnte anonyme Porno-Uploads verbieten
Die Mitglieder der beiden Nackt-Communitys packen damit konstruktiv Probleme an, an dem sich Porno-Imperien und Politiker:innen derzeit international abarbeiten. Seit Jahren berichten Nachrichtenmedien über nicht-einvernehmliche Aufnahmen auf den größten Pornoseiten der Welt. Umgangssprachlich ist von „Rachepornos“ die Rede, Fachleute sprechen lieber von bildbasierter Gewalt. Betroffene wehren sich mit Sammelklagen gegen die Pornoseiten. Petitionen sammeln Millionen Unterschriften. Politiker:innen in den USA und Europa planen schärfere Gesetze.
Wie lässt sich verhindern, dass Täter:innen Nacktaufnahmen ohne Einverständnis verbreiten? Aktuell verhandelt die Europäische Union über neue Regeln für Pornoseiten. Das passiert im Zusammenhang des Digitale-Dienste-Gesetzes. Dieses umfassende Paket zur Internetregulierung ist fast fertig. Der darin geplante Paragraf für Pornoseiten unterscheidet sich jedoch komplett von den anonymen Verfahren. Demnach sollen sich alle Porno-Uploader:innen mit E-Mail und Telefonnummer verifizieren müssen. Dafür gibt es scharfe Kritik – dazu später mehr.
Der Gedanke hinter der Registrierung per Telefonnummer ist zunächst: Sie macht Porno-Uploader:innen identifizierbar. In vielen EU-Ländern lassen sich offiziell keine anonymen SIM-Karten mehr kaufen. Verbreitet jemand bildbasierte Gewalt, könnten Ermittlungsbehörden über den Telefonprovider Verdächtige ausfindig machen.
Porno-Regulierung der EU steht auf der Kippe
Außerdem würden potentielle Täter:innen zum Nachdenken gezwungen, wenn sie eine Telefonnummer angeben müssen, wie Europa-Abgeordnete Alexandra Geese (Grüne) im Gespräch mit netzpolitik.org erklärt. Sie hat den Porno-Paragrafen gemeinsam mit Fraktionskolleg:innen der Grünen und der liberalen Fraktion Renew eingebracht. Derzeit ist allerdings nicht klar, ob der Paragraf es überhaupt ins Gesetz schafft.
Aktuell sind die Verhandlungen zum Digitale-Dienste-Gesetz in den letzten Zügen. Eine Einigung könnte es noch diese Woche Freitag geben, so Geese. Ob es die Regulierung für Pornoseiten in das Gesetz schafft, ist aber wohl unklar. „In den Verhandlungen gibt es eine komplexe Gemengelage. Die Situation ändert sich ständig“, sagt Geese. Sie könne nicht ausschließen, dass die Regulierung für Pornoseiten nur in einem Erwägungsgrund lande und kein eigener Artikel werde. „Dann wäre es eine zahnloser Tiger. Das wäre eine herbe Niederlage.“
Die Initiative Anna Nackt vertritt in Deutschland die Interessen von Menschen, deren Nacktaufnahmen gegen ihren Willen im Internet verbreitet wurden. Die Initiatorin ist selbst von bildbasierter Gewalt betroffen, möchte in der Öffentlichkeit anonym bleiben und nennt sich daher Anna Nackt. Sie kritisiert das mögliche Scheitern einer Regulierung von Pornoseiten im Digitale-Dienste-Gesetz gegenüber netzpolitik.org. Das wäre das ein „Schlag ins Gesicht“ für die „tausenden Frauen und Mädchen in Europa und weltweit, deren privaten Bilder illegal im Internet verbreitet werden“.
Anonymität schützt Uploader:innen vor Gewalt
Die geplante verpflichtende Registrierung per Telefonnummer käme jedenfalls einem Verbot anonymer Porno-Uploads gleich – und das wirft viele Probleme auf. Um den Wert der Anonymität für Uploader:innen zu verstehen, muss man vor allem zwischen zwei Gruppen unterscheiden.
Da sind einmal Menschen, die sich ohne kommerzielle Interessen gerne nackt oder bei Sex zeigen möchten. Das ist gelebte sexuelle Selbstbestimmung. Anonymität ist dabei für einige einfach Schutz der Privatsphäre; für andere bedeutet es Schutz vor Diskriminierung und Gewalt. In Communitys wie RepressedGoneWild posten etwa Frauen aus repressiven Staaten Nacktfotos, um sich gegen die Unterdrückung ihrer Sexualität zu wehren. „Ich poste auf RepressedGoneWild, um den religiösen Extremisten ein großes ‚Fuck you‘ zu zeigen“, schrieb eine Nutzerin dem VICE-Magazin. Wenn ihre Identität auffliegt, könnte sie getötet werden.
Die zweite Gruppe, die Wert auf Anonymität legt, sind kommerzielle Darsteller:innen. Sie verdienen mit Nacktaufnahmen Geld und stehen teilweise auch jenseits von Pornoseiten in der Öffentlichkeit. Trotzdem sind Datenschutz und Privatsphäre für sie ein Thema. Das unterstreicht die European Sex Workers Rights Alliance (ESWA) im Gespräch mit netzpolitik.org. Mitglied der ESWA sind mehr als 90 Organisationen und Verbände, zwölf davon aus Deutschland.
Sexarbeiter:innen-Verband gegen Handynummern-Pflicht
„Sexarbeit ist weltweit eine stark stigmatisierte Tätigkeit und in vielen Ländern auch kriminalisiert“, schreibt ESWA-Sprecher Yigit Aydin auf Englisch. Vielen Sexarbeiter:innen drohe Diskriminierung, Verfolgung, Abschiebung, Verhaftung und körperlicher Gewalt. In vielen Fällen seien Sexarbeiter:innen erpresst worden, nachdem ihre private Daten in die falschen Hände geraten sind. „Für Sexarbeiter:innen ist Online-Sicherheit gleich Offline-Sicherheit“, schreibt Aydin.
Es stimme zwar, dass große Plattformen schon jetzt viel mehr Daten sammeln. Aber ESWA plädiere für Datenminimierung. „Indem Plattformen so sensible Daten sammeln, bringen sie Sexarbeiter:innen in Gefahr und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Datenlecks, die ihnen das Leben kosten können“, schreibt Aydin. ESWA lehnt den EU-Vorstoß ab, wonach Uploader:innen einer Pornoseiten ihre Telefonnummer offenlegen müssen. „Es ist eine Verletzung unseres Rechts auf Privatsphäre und ein populistischer, übereilter und diskriminierender Entwurf.“
Andere Routinen bei professionellen Porno-Drehs
Zumindest für die größten Anbieter wie xHamster und Pornhub dürfte die Sammlung von Handynummern keinen großen Unterschied machen. Beide verlangen schon jetzt viel mehr. Uploader:innen sollen etwa Selfies mit ihrem Personalausweis hochladen, und damit deutlich sensiblere Daten herausrücken als eine Telefonnummer. Zugleich sind Ausweiskontrollen eine verlässliche Methode, um zu überprüfen, dass Darsteller:innen volljährig sind.
Für Profis ist die Überprüfung von Einvernehmlichkeit am Filmset zudem längst Routine. Besonders anschaulich beschreibt das Porno-Darstellerin Texas Petti im BR-Podcast Wild Wild Web. Sie erzählt darin von der Routine beim Dreh für die Pornhub-Schwester Brazzers. „Die Kamera läuft, und bevor dein Shoot startet, hast du deine ID-Card in der Hand“. Dann müsse man eine Menge Fragen beantworten, etwa: „Bist du dir im Klaren, dass wir gleich pornografisches Material aufnehmen?“ Eine zweite Fragerunde gebe es nach dem Dreh: „Bist du zufrieden mit dem Material und fühlst du dich gut dabei, dass dieses Material veröffentlicht werden darf?“ Wir haben Brazzers gefragt, wie diese Routine entwickelt wurde und keine Antwort bekommen.
Die am Set dokumentierten Gespräche sind jedenfalls ein großer Unterschied zur bloßen Angabe einer Telefonnummer. Beim Upload lässt sich allein mit einer Telefonnummer nicht überprüfen, ob eine Person in einer Nacktaufnahme mit der Verbreitung einverstanden ist. Das mag im Profi-Bereich weniger relevant sein, bei nicht-kommerziellen Nutzer:innen aber umso mehr. Eine Telefonnummer kann zwar dabei helfen, Verdächtige zu ermitteln. Aber in diesem Szenario ist die bildbasierte Gewalt schon geschehen, wurde bemerkt und Behörden haben Ermittlungen gestartet. Bis all das passiert, kann sich eine Aufnahme millionenfach verbreiten – ein deutlicher Nachteil dieser Methode.
Geese: anonyme Verifikation „sehr interessant und spannend“
Im Gespräch mit netzpolitik.org zeigt Alexandera Geese Verständnis für die Kritik an einer verpflichtenden Registrierung per Telefonnummer. „Die Kritik ist nachvollziehbar und ich teile sie auch. Das ist nicht unproblematisch.“ Die Angabe einer Telefonnummer sei das Ergebnis einer Abwägung gewesen. „Der konkrete Schaden durch digitale sexuelle Gewalt ist jedoch so groß, dass wir das in Kauf nehmen.“ Bei betroffenen Frauen seien die Schäden durch die Verbreitung solcher Aufnahmen teilweise so groß wie durch einen körperlichen, sexuellen Missbrauch.
Eine anonyme Verifikation per Selfies aller Beteiligten bezeichnet Geese als „sehr interessant und spannend“. Die Methode „wäre eine sehr hohe Anforderung für die Moderation von Inhalten, aber ich kann mir dieses Verfahren sehr gut vorstellen“, so Geese. Sie werde das in die aktuell laufenden Verhandlungen zum DSA miteinbringen. Offenbar war diese Methode bislang nicht auf dem Schirm der Gesetzgeber:innen. „Wir wollen nicht verhindern, dass Menschen Pornos hochladen, sondern dass Aufnahmen gegen den Willen der gezeigten Personen verbreitet werden“, sagt Geese.
Interessenverbände bewerten anonyme Verifikation positiv
Anna Nackt von der gleichnamigen Initiative gegen bildbasierte Gewalt zeigt sich aufgeschlossen gegenüber einer anonymen Verifikation für Porno-Uploads. Wenn sich alle Beteiligten von Nacktaufnahmen anonym verifizieren, dann erscheint die Methode auch für Anna Nackt „sehr sinnvoll“. Es greife zwar recht stark in das Geschäftsmodell der großen Seiten ein, da es deutlich mehr Aufwand bedeute. „Aber das ist ja nichts Schlechtes.“
GoneWildCurvy-Moderatorin Maeby, die selbst anonyme Verifikation für ihre Communitys durchführt, schreibt über die großen Pornoseiten: „Ich bezweifle stark, dass sie freiwillig etwas implementieren, dass ihre Einnahmen bedroht“.
Die ESWA bewertet eine anonyme Verifikation ebenso positiv: „Wir begrüßen solche Praktiken einiger Plattformen, die innovative Wege finden, um den Nutzer:innen mehr Anonymität und Privatsphäre zu ermöglichen und gleichzeitig sicherzustellen, dass eine Zustimmung vorliegt.“ Zugleich betont ESWA-Sprecher Aydin, dass technische Lösungen allein nicht reichen. „Probleme wie bildbasierte sexuelle Gewalt lassen sich am besten angehen, indem man gegen Frauenfeindlichkeit und die Stigmatisierung von Sexarbeiter.innen vorgeht“. Außerdem brauche es eine umfassende Sexualerziehung, die darauf abziele, alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu bekämpfen.
Weltgrößte Pornoseite verifiziert anonym – aber halbherzig
Nur wenige versuchen derzeit den Spagat zwischen Einvernehmlichkeit und Anonymität. Ein interessantes Beispiel ist die meistbesuchte Pornoseite der Welt, XVideos. Hier verifizieren sich Nutzer:innen nicht über Ausweise wie bei Pornhub und xHamster, sondern über ein Video. In dem Video sollen sie ihren Nicknamen und „XVideos“ auf ein Blatt Papier oder ihren Körper schreiben. Das Verfahren ähnelt der Verifikation bei GoneWildCury und GoneWildColor. Der entscheidende Unterschied: Es ist nicht verpflichtend. Entsprechend lassen sich mutmaßliche Aufnahmen sexualisierter Gewalt dennoch auf der Plattform verbreiten, wie unsere Recherchen im März zeigten.
Auch die populäre Reddit-Community GoneWild arbeitet mit anonymer Verifikation. Die bereits erwähnten Communitys GoneWildCurvy und GoneWildColor sind sozusagen kleinere Ableger des großen GoneWild, das rund 3,8 Millionen Mitglieder zählt. „Nicht alle werden sofort gefragt, sich zu verifizieren“, erklärt ein GoneWild-Moderator gegenüber netzpolitik.org. „Aber die meisten Accounts werden während ihrer ersten Uploads gefragt oder bevor sie viele Views bekommen.“ Man versuche, mögliche nicht-einvernehmliche Accounts auszusortieren, wolle es neuen Accounts aber auch einfach machen, zu posten.
Die nächsten Tage könnten entscheiden
Ansätze für anonyme Verifikation gibt es also schon außerhalb der Nische. Sie werden aber nicht flächendeckend angewandt. Die schlauste Methode bringt wenig, wenn die Schlufplöcher groß sind. Diese Erfahrung hat auch GoneWildCurvy-Moderatorin Maeby gemacht. Sie zeige sich inzwischen nicht mehr öffentlich nackt im Netz, schreibt sie – weil Fremde ihre Fotos gegen ihren Willen an anderen Orten verbreitet hätten. Sie habe sie zwar löschen lassen, aber sie seien wieder aufgetaucht . „Es war wie eine Hydra mit vielen Köpfen.“
Eine mögliche Regulierung durch die EU kann also nicht mehr als ein erster Schritt sein. Mit Sicherheit wird es viele Orte im Netz geben, die sich nicht daran halten. Was genau dazu im Digitale-Dienste-Gesetz zu lesen sein wird, ist derzeit offen.
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