Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Pimmelgate Süd: Augsburger Polizei überzieht Klimaaktivisten mit weiterem Verfahren

Nachdem die Augsburger Polizei Wohnungen wegen Kreide-Malereien und eines gesetzten Links auf einen Zeitungsartikels durchsuchte, geht sie jetzt weiter gegen die lokale Klimabewegung vor. Die Aktivist:innen bezeichnen das Vorgehen der Polizei als Einschüchterungsversuch.

Demonstration für Klimaschutz. Mittig im Bild ist ein grünes Plakat mit der Aufschrift "It's not easy being green".
Aktivismus ist für die Augsburger Klimabewegung aufgrund polizeilicher Repression nicht immer einfach. (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Markus Spiske

Die Pimmelei geht offenbar weiter: Nach einer höchst umstrittenen Hausdurchsuchung bei dem Klimaaktivisten Alexander Mai, der einen AfD-Politiker indirekt als Pimmel bezeichnet hatte, ermittelt die Polizei nun erneut gegen den Aktivisten. Der Grund für das zweite Verfahren: Mai habe „verbotene Mitteilungen über die Gerichtsverhandlungen“ veröffentlicht. So steht es in der polizeilichen Vorladung, die netzpolitik.org einsehen konnte.

Für Mai und seine Mitstreiter:innen ist das Vorgehen der Polizei ein naiver Versuch, die Klimabewegung einzuschüchtern. „Der Staatsschutz merkt selbst, dass er nichts gegen mich in der Hand hat“, teilt Mai in einer Pressemitteilung des Augsburger Klimacamps mit. „Deswegen versucht er, uns mit langer und harter Repression unterzukriegen.“  

Zur Vorladung am vergangenen Mittwoch sei der Aktivist nicht gegangen. „Die Polizei hält mich wohl für einen Idioten, der gegen sich selbst aussagen geht“, so Mai gegenüber netzpolitik.org. Das zuständige Polizeipräsidium hat sich bisher nicht zum zweiten Verfahren gegen den Aktivisten geäußert.

Pimmel-Kommentar führt zu Razzia

Der 26-jährige Klimaaktivist aus Augsburg hatte im Oktober vergangenen Jahres einen Zeitungsbeitrag unter einem Facebook-Post des AfD-Politikers Andreas Jurca verlinkt. 

Screenshot des Facebook-Posts von Jurca im Oktober 2021. - Alle Rechte vorbehalten Verfasser:innen des Blogs Pimmelgate Süd. Bearbeitung: netzpolitk.org

Das Vorschaubild des Zeitungsartikels zeigt den Schriftzug „Andy, Du bist so 1 Pimmel“.

Der Schriftzug spielt auf die sogenannte Pimmelgate-Affäre an: Ein Twitter-Nutzer hatte den Hamburger Innensenator Andy Grote als Pimmel bezeichnet und damit eine vielbeachtete Hausdurchsuchung ausgelöst. Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat das Verfahren allerdings seit Monaten eingestellt

Jurca, AfD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Augsburg, fühlte sich von der indirekten Pimmel-Bezeichnung via Artikel-Link offensichtlich ebenfalls beleidigt und hat Mai angezeigt – und fand in der Augsburger Polizei offenbar dankbare Vollstrecker.

Rund ein halbes Jahr nachdem Mai diesen Kommentar verfasst hatte, durchsuchte die Abteilung „Staatsschutz“ der Augsburger Polizei das Haus des Aktivisten. Dabei haben die Polizist:innen private technische Geräte beschlagnahmt, darunter den Arbeitslaptop des Mathe-Studenten und IT-Entwicklers. 

Das Vorgehen der Polizei ist laut dem Klimaaktivisten völlig unverhältnismäßig. Besonders brisant ist etwa, dass Mai nicht seine Anwältin informieren durfte. Im polizeilichen Durchsuchungsprotokoll steht ebenfalls, dass die Abteilung „Staatsschutz“ dem Aktivisten diese Kontaktaufnahme verweigert hatte. Vor einigen Tagen haben Aktivist:innen des Augsburger Klimacamps aufgrund dieses „unprofessionellen und provokanten Verhaltens“ der Polizei eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. 

Aktivist:innen machen Repression öffentlich

Die Abteilung „Staatsschutz“ verfolge nach Angaben der Augsburger Klimabewegung seit mehr als zwei Jahren die Aktivitäten der Bewegung. Die Razzia bei Alexander Mai sei nicht die erste unverhältnismäßige Hausdurchsuchung der Polizei bei Klimaaktivist:innen gewesen. Allerdings hätte die Bewegung zuvor stattgefundene Razzien nicht veröffentlicht, da sie nicht von ihren eigentlichen Inhalten ablenken wollte, erklärt Mai. „Die Hausdurchsuchung bei mir hat das Fass aber zum Überlaufen gebracht.“

Mai und andere Klimaaktivist:innen haben diesen eklatanten Vorfall auf einer extra dafür angelegten Website namens pimmelgate-süd.de öffentlich gemacht. Sie haben auf der Website über das damals noch laufende Verfahren informiert und mehrere Dokumente veröffentlicht, etwa den Durchsuchungsbeschluss. Die Klimabewegung hat sich damit ein zweites polizeiliches Verfahren eingefangen. Die Augsburger Kriminalpolizei ermittelt nun wegen verbotenen Mitteilungen über die Gerichtsverhandlungen gegen Mai. 

Problematische Stigmatisierung

Martina Sulzberger, Anwältin von Mai, ist zuversichtlich, dass dieses Verfahren eingestellt wird. Auch ihr Mandant sieht keinen Grund, weswegen es vor einem fairen Gericht zu einer Verurteilung kommen sollte. Mai erklärt: „Schließlich wurden die veröffentlichten Dokumente ordentlich von uns geschwärzt.“ 

Im schlechtesten Fall würden zwei kleine Verurteilungen auf ihn zukommen, so Mai. Zum einen wegen der angeblichen Beleidigung, zum anderen wegen der Veröffentlichung der Dokumente. Die beiden Verurteilungen könnten dann zu einem Eintrag im Führungszeugnis führen. Der Mathe-Dozent sorgt sich vor negativen Konsequenzen, vor allem, da er im akademischen Bereich tätig ist. Er erklärt: „Die Stigmatisierung, die man für Einträge im Führungszeugnis in unserer Gesellschaft erfährt, ist natürlich immer problematisch für Aktivist:innen.“ 

Für Mai war es dennoch die richtige Entscheidung, die Dokumente über die Gerichtsverhandlungen öffentlich bereitzustellen. Schließlich zeige sein Fall, dass man sich nicht einmal mit geschwärzten Dokumenten öffentlich über Übergriffe der Abteilung „Staatsschutz“ beschweren dürfe. Mai schreibt:

Die Öffentlichkeit muss sehen, mit welchen Pimmeleien die Abteilung „Staatsschutz“ der Augsburger Polizei ihre Zeit verschwendet.

Frage nach Verhältnismäßigkeit

Die Augsburger Polizei begründet die Hausdurchsuchung bei dem Klimaaktivisten damit, nachweisen zu wollen, dass Mai der Urheber des Kommentars sei. Die Klimaaktivist:innen sehen den Vorwand der Beweissicherung als unsinnig an. Schließlich habe Mai den Kommentar unter seinem Klarnamen verfasst. Außerdem arbeite die Klimabewegung mit freien und öffentlich zugänglichen Strukturen. „Die Polizei hätte die Informationen auch herausfinden können, ohne meine Geräte zu beschlagnahmen“, sagt Mai. 

Auch für die zuständige Anwältin Sulzberger ist es fragwürdig, ob der Link zu einem Zeitungsbeitrag überhaupt eine Beleidigung darstelle. Ein entsprechender Screenshot zeigt, dass der Aktivist den AfD-Politiker nicht persönlich angesprochen hat. Sie bezeichnet das Vorgehen der Polizei als unverhältnismäßig: „Der polizeiliche Fokus auf die Aktivisten des Klimacamps empfinde ich im Allgemeinen als unwahrscheinlich hoch, insbesondere die Ermittlungen des Staatsschutzes.“ Die Aufgabe des Staatsschutzes ist vor allem die Bekämpfung von politisch motivierter Kriminalität.

Hausdurchsuchung bei 15-Jähriger wegen Kreide-Malerei

Das Klimacamp Augsburg ist jüngst mit einem weiteren Vorgehen der Abteilung „Staatsschutz“ an die Öffentlichkeit gegangen. Greenpeace Augsburg hatte im Jahr 2019 konsumkritische Botschaften mit abwaschbarer Kreide in die Innenstadt geschrieben. Diese Aktion diente der Polizei als Grund, um fünf Monate später eine Hausdurchsuchung bei den beiden Hauptverantwortlichen von Fridays for Future Augsburg durchzuführen. Betroffen waren die damals 15-jährige Schülerin Janika Pondorf und der 31-jährige Mathe-Dozent Ingo Blechschmidt.

Die Abteilung „Staatsschutz“ hat wegen Sachbeschädigung ermittelt. Das steht in den Durchsuchungsprotokollen, die gemeinsam mit weiteren Dokumenten zur Hausdurchsuchung auf der Website pimmelgate-süd.de öffentlich einsehbar sind. Laut den Klimaaktivist:innen konnte die Polizei keine Beweise für eine Beteiligung an der Kreide-Aktion finden. Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt.

Für die Aktivist:innen Pondorf und Blechschmidt waren die Razzien sehr einschneidende Erlebnisse. Schließlich habe die Polizei in ihren „intimen Schutzbereich“ eingegriffen, etwa, indem sie das Tagebuch der Schülerin gelesen hatten. Das habe bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung ausgelöst, so steht es in dem Blogbeitrag. Auch für den Mathe-Dozenten Blechschmidt hat das Vorgehen der Polizei einen starken Eindruck hinterlassen. Er teilt netzpolitik.org mit: „Als der „Staatsschutz“ bei mir und Janika im Kinderzimmer stand, offenbarte er uns zum ersten Mal sein Verständnis davon, wer bei uns in Deutschland als Staatsfeind gesehen wird.“

Dieser Verdacht habe sich mit der Hausdurchsuchung bei Alexander Mai bestätigt, so Blechschmidt. Die Klimakatastrophe sei zwar mit voller Wucht in Deutschland angekommen, aus Sicht der Polizei sei Klimaaktivismus aber weiterhin „staatsgefährdende Sabotage“. Der Klimaaktivist Ingo Blechschmidt sieht es deswegen für notwendig an, über solche Repressionen zu berichten. Er erklärt:

Durch unsere Veröffentlichungen kann sich die Öffentlichkeit ein akkurates Bild davon machen, mit wie viel Energie der „Staatsschutz“ friedlichen Klimagerechtigkeitsaktivismus verfolgt.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires