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Nachhaltige Produkte: Wir müssen über geistiges Eigentum reden

Auseinandergenommenes Smartphone von hinten
Ein Reparaturversuch wird schnell kompliziert (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Clint Bustrillos

Maximilian Voigt arbeitet für die Open Knowledge Foundation Deutschland an den Themen Open Education und Open Hardware. 2022 startete er den Prototype Fund Hardware.

In nur fünf Jahren hat die Menge an Elektroschrott um 21 Prozent zugelegt. Ein Bruchteil wird recycelt. Deutschland ist in der traurigen Statistik ganz vorne dabei, zeigt der weltweite Elektroschrott-Monitor 2020. Oft landen Geräte auf dem Müll, weil etwa Akkus in die Jahre gekommen sind. Die verstecken sich immer häufiger in eingeschweißten oder verklebten Gehäusen. Elektrische Zahnbürsten stellen uns vor die Wahl: aufsägen oder wegwerfen?

Die EU-Kommission arbeitet seit 2019 daran, das zu ändern und möchte in der EU in Verkehr gebrachte Produkte nachhaltiger machen. Mit der sogenannten „Sustainable Product Initiative“ möchte sie die Ökodesign-Richtlinie überarbeiten und gegebenenfalls zusätzliche Maßnahmen vorschlagen. Dazu hat die Kommission nun einen ersten Verordnungsentwurf vorgelegt, der zur öffentlichen Kommentierung stand.

Die Initiative soll sämtliche Produkte betreffen, die in der EU in Verkehr gebracht werden sowie deren Einzelteile. Sie sollen langlebiger, leichter wiederverwendbar, reparierbarer, recyclingfähiger und energieeffizienter werden. Dazu möchte die Kommission Leistungs- und Informationsanforderungen vereinheitlichen und einen EU-weiten Produktpass entwickeln.

Dieser habe das Ziel, nachhaltige Produkte und kreislauforientierte Verfahren in allen Mitgliedstaaten zu fördern, „wodurch ein größerer und effizienterer Markt und somit stärkere Anreize für die Industrie zur Entwicklung dieser Produkte geschaffen“ werde.

Anreize statt klarer Designvorgaben

Das bedeutet: Wer in Zukunft zum Beispiel eine elektrische Zahnbürste kaufen möchte, soll auf einen Blick sehen können, ob der Akku austauschbar ist oder wie das Gerät im Vergleich zu besonders langlebigen Zahnbürsten abschneidet. Wenn die Verbraucher*innen daraufhin häufiger zum nachhaltigen Produkt greifen, verbessert sich die Langlebigkeit von Produkten insgesamt, so die Hoffnung.

Dabei beschränkt sich der Entwurf auf allgemeine Leistungsvorgaben wie Mindest- oder Höchstwerte in Bezug auf Produktparameter sowie Informationsanforderungen zu solchen Parametern. Bei diesen handelt es sich um allgemeine Angaben, die über die Leistung von Produkten aufklären sollen, wie Indikatoren für die „einfache Reparatur und Wartung“. Das seien „Merkmale, Verfügbarkeit und Lieferzeit von Ersatzteilen, Modularität, Kompatibilität mit allgemein verfügbaren Ersatzteilen“ und anderes. Eine Verpflichtung, Produkte modular und kompatibel zu gestalten, ist nicht geplant. Das soll der Markt regeln.

Eine Vergleichbarkeit von Produkten in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit ist überfällig, doch sie reicht nicht. Ob Produkte reparierbar designt sind, relevante Informationen für ihre Reparatur zur Verfügung stehen und wie Ersatzteile konkret bereitgestellt werden, darf nicht davon abhängen, wie hoch die Nachfrage danach ist und wie Hersteller*innen darauf reagieren.

Ob beispielsweise Produkten Reparaturanleitungen beigelegt sind, sagt nichts über ihre Qualität und Reparaturfähigkeit aus. Neben allgemeinen Informationen zu Produkten braucht es daher Designkriterien und Vorgaben, wie Hersteller reparaturrelevante Informationen bereitstellen müssen. Doch die fehlen.

Open Design und offene Hardware unterstützen Nachhaltigkeit

Der Verordnungsentwurf erwähnt, dass nachhaltige Produkte wiederverwendbar, aufwertbar, reparierbar und recyclebar sein sollten. All das wird deutlich niederschwelliger – und damit wahrscheinlicher -, wenn ein Design offen ist. Das zeigt beispielsweise Jérémy Bonvoisin in seiner Publikation „Limits of ecodesign: the case for open source product development„.

Der Produktentwickler analysiert darin 18 Beispiele von Musikinstrumenten über Kleidung bis hin zu Traktoren und arbeitet heraus, wie Open Source und nachhaltige Produktentwicklung zusammenhängen. Auch das deutsche Forschungsministerium hebt in seinem Bericht „Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft“ hervor, dass Open Design sowie Open Source wichtige Bedingungen für die Kreislaufwirtschaft sind.

Eine offene Produktentwicklung ist also wichtig für die nachhaltige Produktion. Produkte aus allseits verfügbaren Teilen und Materialien mit einem leicht nachvollziehbaren, modularen Design sind meist einfacher kreativ wiederzuverwenden, anzupassen, zu reparieren und zu recyceln.

Hinter Open Design und offener Hardware verbirgt sich die Idee, Produkte und deren Produktion zugänglicher zu machen. Das geschieht etwa durch die einfache und leicht verständliche Gestaltung, die Nutzung allgemein bekannter und zugänglicher Materialien und Bauteile sowie den Einsatz von Produktionstechniken und -verfahren, die vielen offen stehen. Wichtig ist auch eine verfügbare Dokumentation, die Hersteller*innen und Konsumierenden die Arbeit mit einem Produkt vereinfachen.

Offene Hardware, beziehungsweise Open Source Hardware legt zudem Wert darauf, dass die so gestalteten Produkte und deren Dokumentation nicht durch Schutzrechte wie etwa Patente oder Design Rights geschützt sind. Alle dürfen und sollen damit arbeiten können – auch kommerziell.

Die heilige Kuh: Geistiges Eigentum

Diese Aspekte sollte eine zukunftsgewandte EU-Initiative mitdenken und konkrete Kriterien für die offene, modulare Gestaltung von Produkten sowie die Öffnung von Hardware vorgeben, indem beispielsweise CAD-Zeichnungen von Verschleißteilen oder Schaltpläne für die Fehlersuche bereitgestellt werden müssen.

Doch diese Vorgaben fehlen und das mag kein Zufall sein. Denn hier stehen weit verbreitete Vorstellungen und die 2020 mit dem Green Deal veröffentlichte „neue Industriestrategie für Europa“ im Weg. Dieser „Aktionsplan für geistiges Eigentum“ sieht die „Verbesserung der Bekämpfung des Diebstahls von geistigem Eigentum“ vor. Statt Produkte offener zu gestalten, sollen also Mechanismen entwickelt werden, die das Gegenteil bewirken.

So ergibt sich das Bild einer Politik, die mehrheitlich im Sinne einer etablierten Wirtschaft handelt, statt innovative Maßnahmen für nachhaltige Produkte und Produktion einzuleiten.

„Haben Sie ein Patent?“ Das ist häufig eine der ersten Fragen, die einem Startup nach einem Pitch gestellt werden. Statt der Folklore „Ohne Schutzrecht kein Business“ brauchen wir eine intelligente, offene Disussion und vor allem Gestaltung von Schutzrechten. Und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die daran angelehnt sind. Konkrete Beispiele dafür gibt es, wie den in Berlin entwickelten Laptop MNT Reform. Der ist so konzipiert, dass Nutzer*innen ihn selbst reparieren können: Jedes Teil des Gerätes kann ersetzt werden. Dafür veröffentlicht die Firma alle Bauanleitungen und die kompletten Designfiles, damit sich zum Beispiel einzelne Ersatzteile auch in einem 3-D-Drucker nachdrucken lassen. „Es geht ja nicht nur um das Material, was ich verkaufe. Dazu gehören ja eine Marke, ein Ökosystem und Serviceleistungen“, sagt der Gründer zu dem Geschäftsmodell.

Das standardmäßige Zurückfallen auf Monopolrechte hingegen steht einem Umbau unserer Produktwelten in Richtung Nachhaltigkeit im Weg. Ein Produktpass, wie ihn der Verordnungsentwurf vorsieht, reicht nicht aus, um diesen Wandel einzuleiten.


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