Verkäufe der Kampfdrohne Bayraktar TB2 erfolgen nach Herstellerangaben mittlerweile in 24 Länder. Das türkische Militär setzt die Kampfdrohne auch selbst im In- und Ausland ein und folgt damit der völkerrechtswidrigen Praxis, die drei andere Regierungen etabliert haben.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat dem Vorstandsvorsitzenden des türkischen Rüstungskonzerns Baykar Makina am vergangenen Freitag den „Verdienstorden erster Klasse“ verliehen. Die Auszeichnung ging an Haluk Bayraktar, den Bruder des türkischen Geschäftsmannes Selçuk Bayraktar.
Die Firma der beiden produziert seit 2014 die gleichnamige Kampfdrohne TB2, die immer mehr Staaten weltweit bestellen. Auch die Ukraine erhielt im vergangenen Jahr eine erste Lieferung, die Systeme wurden anschließend gegen den russischen Einmarsch eingesetzt. Dort haben sie zu Beginn des Krieges für Erfolge gesorgt, darunter etwa die Wiedereroberung der von Russland besetzten Schlangeninsel.
Drohnenfabrik in der Ukraine
In der Ukraine genießt die Bayraktar TB2 Kultstatus, Nationalist:innen widmeten der Drohne sogar ein eigenes Lied. Darin werden die russischen Angreifer:innen als „Orks“ und der Kremlchef Wladimir Putin als „Unhold“ bezeichnet. In Litauen, Norwegen, Polen und Kanada sowie in der Ukraine selbst haben Unterstützer:innen Spendenkampagnen gestartet, um weitere TB2 zu finanzieren. Baykar Makina entschloss sich daraufhin, eine zusätzliche Kampfdrohne gratis zu liefern.
Nach eigenen Angaben hat der Rüstungskonzern nunmehr Verträge zur Lieferung der Kampfdrohne mit 24 Ländern geschlossen, darunter sind Katar, Kirgisistan, Turkmenistan, Pakistan, Somalia, Marokko und zuletzt Serbien. Als erster NATO-Staat hat Polen 24 TB2-Drohnen bestellt, in Rumänien muss die geplante Beschaffung von 18 Drohnen noch vom Parlament genehmigt werden.
Nur wenige Staaten haben die Drohnen schon erhalten, denn mit 20 Stück pro Monat ist die Produktionskapazität von Baykar begrenzt. Angesichts der hohen Nachfrage für die TB2 will Baykar die Produktion im kommenden Jahr verdoppeln. Dabei soll die Ukraine nun behilflich sein. Bei der Verleihung des Ordens haben Selenskyj und Bayraktar besprochen, ein Werk in der Ukraine zu eröffnen, um dort die TB2 zu montieren.
Newcomer China, Iran und Türkei
Seit der Jahrtausendwende waren die Vereinigten Staaten und Israel die einzigen Länder, die bewaffnete Drohnen herstellen und damit Angriffe durchführen. Später folgten Großbritannien und nun auch Frankreich, deren Kampfdrohnen aus den USA stammen. Als einziger Staat weltweit wird Deutschland bald mit bewaffneten Drohnen aus Israel beliefert.
Inzwischen hat sich die Anzahl der Hersteller deutlich vergrößert. Im vergangenen Jahrzehnt folgten mit China und dem Iran neue Akteure, die als Drohnenmächte gelten können. Von 2014 bis 2018 sollen chinesische Unternehmen mehr als 150 bewaffnete Drohnen an 13 Länder geliefert haben. Ein unbestrittener Newcomer ist die Türkei, deren Militär unter anderem die bewaffnungsfähige Anka fliegt. Sie wird von Turkish Aerospace Industries (TAI) hergestellt und kann über Satelliten gesteuert werden.
Der türkische Exportschlager ist aber die TB2, mit der das türkische Militär seit 2014 völkerrechtswidrige Angriffe im In- und Ausland fliegt. Die von Selçuk Bayraktar entwickelte Kampfdrohne ist nur halb so groß wie die aus den USA und Israel bekannten Modelle; mit rund zwei Millionen Euro Stückpreis ist sie auch erheblich kostengünstiger als viele andere Drohnen dieser Klasse.
Türkisches Militär verletzt Völkerrecht
Mit ihrer Politik „gezielter Tötungen“ haben das US-Militär und der Geheimdienst CIA, aber auch die britische und die israelische Luftwaffe Maßstäbe in der rechtswidrigen Nutzung unbemannter Systeme gesetzt. Gemäß dem humanitären Völkerrecht dürfen Kampfdrohnen – nach unterschiedlicher Auslegung – allenfalls im Rahmen eines Krieges oder eines internationalen bewaffneten Konflikts eingesetzt werden.
Trotzdem führen die USA, Großbritannien und Israel auch weiterhin solche außergerichtlichen Hinrichtungen in Afghanistan, dem Irak, Jemen, Syrien oder Gaza durch. Daran orientiert sich auch die Türkei, die mit der TB2 Einsätze in kurdischen Gebieten fliegt, oft getarnt als Operationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder anderer als terroristisch bezeichneten Organisationen.
Dabei verletzt auch das türkische Militär das Völkerrecht, etwa durch die unterschiedslose Tötung auch der Zivilbevölkerung. Ebenso lässt sich das von der Türkei gern bemühte Selbstverteidigungsrecht als Begründung der tödlichen Maßnahmen völkerrechtlich nicht herleiten.
Außergerichtliche Hinrichtungen auch in Nachbarländern
Wie die USA und Großbritannien setzt auch die Türkei ihre Kampfdrohnen im Ausland ein, ohne dass dort ein erklärter Krieg stattfindet. Das Rojava Information Center zählte laut einem Vortrag auf der Konferenz „10 Jahre Rojava“ von medico international allein in diesem Jahr 78 bewaffnete Einsätze in der selbstverwalteten kurdischen Region Nordostsyrien durch das türkische Militär.
Dabei wurden unter anderem am 18. August bei einem Drohnenangriff auf ein von den Vereinten Nationen unterstütztes Bildungszentrum vier Mädchen getötet, ein fünftes starb drei Wochen später an den Verletzungen.
Ähnliche Statistiken veröffentlicht das Community Peacemaker Team zum Nordirak, wo das Militär der Türkei seit 2015 bis zu 129 Zivilisten getötet und 180 verwundet hat. Im Juli starben bei einem solchen Angriff auf ein Tourismuszentrum acht Zivilist:innen. Ungewöhnlich deutlich hat der irakische Ministerpräsident des Landes, Mustafa al-Kadhimi, diesen Beschuss daraufhin als eklatante Verletzung der Souveränität des Landes kritisiert. Bisher konnte sich die Türkei auf die Zustimmung der Regierung und auch des Ministerpräsidenten Masrur Barzani verlassen, der das Gebiet kontrolliert.
Die tatsächlichen Zahlen für Tote und Verletzte durch die türkischen Drohnenangriffe liegen womöglich noch höher als vom Rojava Information Center und Community Peacemaker Team gezählt, denn nicht immer ist auch klar, ob es sich tatsächlich um bewaffnete Einsätze unbemannter Systeme handelte. Mitunter werden die tödlichen Raketen nicht von Drohnen selbst abgeschossen, sondern von Kampfflugzeugen oder der Artillerie. In diesen Fällen dienen Drohnen oft der Zielaufklärung und markieren diese per Laser.
Importe von deutschen Firmen
Anfangs war die türkische Drohnenindustrie bei Schlüsselkomponenten auf Importe angewiesen. Das betraf etwa Triebwerke, die zwar auch im Land produziert wurden, aber weniger leistungsfähig waren als Konkurrenzprodukte. Deshalb flog die TB2 mit Motoren von Rotax aus Österreich, bis die Firma ihre Lieferungen an Baykar Makina wegen der Unterstützung des aserbaidschanischen Angriffskriegs auf das armenische Arzach vor zwei Jahren stoppte.
Ursprünglich war die TB2 auch mit einem Sensormodul des kanadischen Herstellers Wescam ausgerüstet, es enthält optische und infrarotbasierte Kameras sowie Lasertechnologie zur Zielerfassung. Wescam hat seine Zusammenarbeit mit Baykar Makina vorläufig beendet, nachdem die Regierung in Ottawa anlässlich des Krieges um Arzach ein Exportverbot erließ. Diese Lücke hat der auf Sensortechnologie spezialisierte Hensoldt-Konzern aus Deutschland mit seinem Modul ARGOS-II gefüllt. Das Gerät wird vom Hensoldt-Ableger Optronics Pty in Südafrika gefertigt, daher müssen auch keine deutschen Exportkontrollvorschriften eingehalten werden.
Auch die Bewaffnung der TB2 mit lasergesteuerten Raketen erfolgte mit deutscher Hilfe. Seit 2010 hat das deutsche Außenministerium Exportgenehmigungen für eine Handvoll leichter Gefechtsköpfe und Anlagen zu deren Fertigung erteilt. Sie könnten als Vorlage für die Entwicklung eigener Mikro-Präzisionsmunition in der Türkei gedient haben. Die Raketentechnik stammte von der Firma TDW Wirksysteme GmbH aus dem bayerischen Schrobenhausen, einem Ableger des europäischen Raketenherstellers MBDA, die Verkäufe erfolgten mutmaßlich an die im Staatsbesitz befindliche türkische Rüstungsfirma Roketsan.
Drohnenexporte florieren
Mit der TB2 kann sich die Türkei auch im Bereich unbemannter Systeme als Rüstungs- und Militärmacht etablieren. Dabei halfen Einsätze in Libyen, Arzach und der Ukraine, wo die Drohne jeweils für militärische Erfolge sorgte oder sogar als „Gamechanger“ galt. Das ukrainische Militär setzte dabei wie zuvor Aserbaidschan auf die Demoralisierung, indem Videos vom Beschuss gegnerischer Einheiten mit martialischer Musik unterlegt in Sozialen Medien verbreitet wurden.
Baykar will noch höher hinaus und hat unter dem Namen Akıncı (Räuber) eine Langstreckendrohne mit zwei leistungsstarken Triebwerken entwickelt, die fast eine Tonne Munition transportieren kann. Vor einem Jahr wurden die ersten Exemplare im Beisein von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan an die türkische Luftwaffe und das Heer übergeben, inzwischen soll das Militär über etwa 20 Exemplare verfügen. Ursprünglich sollten die Motoren für die Akıncı in der Ukraine hergestellt werden, der dortige Krieg hat diese Pläne durchkreuzt.
Als Kızılelma („Roter Apfel“) arbeitet Baykar mit staatlicher Unterstützung außerdem an einem unbemannten Kampfflugzeug, das 2023 seinen Erstflug absolvieren soll. Es ist tarnkappenfähig und soll eine Vielzahl von Militäraktionen durchführen können.
Flugzeugträger mit Kampfdrohnen
Nach gegenwärtigen Plänen soll der Kızılelma auf dem Flugzeugträger TCG Anadolu stationiert werden. Der Drohnenflieger würde damit das US-Kampfflugzeug F35 ersetzen, das eigentlich für die Luftwaffe beschafft werden sollte. Die Türkei wurde jedoch vor drei Jahren von der Regierung in Washington aus dem Programm ausgeschlossen, nachdem Präsident Erdoğan den Kauf von Flugabwehrraketen aus Russland angekündigt hatte.
Neben mehreren Kızılelma will die Marine auch bis zu 50 TB-Systeme auf dem Flugzeugträger einsetzen. Hierzu entwickelt Baykar Makina die Version TB3 mit klappbaren Flügeln, damit sie platzsparend auf der Anadolu geparkt werden kann. So wird die Türkei nicht nur zur vierten Seemacht im Mittelmeer. Sie wäre auch das weltweit erste Land, das einen Flugzeugträger mit Kampfdrohnen bestückt.
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