Google News liefert nicht, was es verspricht. „Vertrauenswürdig“ und „verlässlich“ soll die Nachrichten-Suche sein. Doch unsere Auswertung von Tausenden Suchergebnissen zeigt: Neben seriösen Angeboten präsentiert Google News auch chinesische Staatspropaganda und für Falschmeldungen bekannte rechte Blogs.
Ein prominenter Klimaforscher wird der Lüge überführt. Ein Bericht der US-Börsenaufsicht weckt Zweifel an der Corona-Impfung. Und der Vizepräsident der EU-Kommission ruft zum Völkermord auf. – All diese Meldungen sind falsch, und sie kommen nicht etwa aus Verschwörungskanälen auf Telegram oder Facebook. Nein, wir haben sie über eine renommierte Suchmaschine gefunden, die zum Alltag vieler Menschen gehört: Google News.
Die Ergebnisse von Google News erscheinen weltweit auf Abermillionen Bildschirmen. In 40 Sprachen und 125 Ländern ist Google News nach eigenen Angaben verfügbar. Das Angebot ist auf google.com prominent hervorgehoben und verfügt über eine eigene mobile App. Der Google-Konzern präsentiert News auch in seiner normalen Suche in einem Vorschaukasten. Landen Medienhäuser mit ihrer Website bei Google News, dürfen sie sich glücklich schätzen und auf eine deutlich zunehmende Reichweite hoffen.
Vor 20 Jahren, am 22. September 2002, ist Google News gestartet. Die Nachrichten-Suchmaschine bringt Nutzer:innen seither „aktuelle, glaubwürdige Nachrichten und Informationen“ – zumindest behauptet Google das. Der Konzern weckt damit die Erwartung, Google-News sei die qualitativ hochwertige Schwester der breit genutzten Google-Suche, verlässliche Quellen für das große Publikum.
Doch eine Recherche von netzpolitik.org zeigt, dass das nicht immer stimmt. Wir haben rund 5.200 Suchergebnisse von Google News ausgewertet und dabei zahlreiche eindeutig nicht vertrauenswürdige Quellen gefunden. Rechtspopulistische Blogs mit Falschmeldungen sind dort ebenso zu finden wie Websites von Parteien, Behörden und PR-Meldungen von Unternehmen. Gefunden haben wir auch mindestens sechs Fälle von Staatspropaganda, vier davon aus China. OK, Google?
Google will Quellen auf Autorität und Fachwissen überprüfen
In den untersuchten Google-News-Ergebnissen fanden wir außerdem mindestens acht Angebote, die wiederholt und nachweislich Falschnachrichten verbreitet haben. Viele solcher Quellen fanden wir durch Suchanfragen mit rechten Kampfbegriffen. Als wir etwa „Staatsfunk“ eintippen, empfahl Google News schon auf der ersten Ergebnisseite einen rechtspopulistischen Blog, der für Falschmeldungen bekannt ist. Google News servierte uns statt „glaubwürdigen Informationen“ auch fragwürdige Meldungen zu Migration und der Corona-Pandemie.
Wir haben Google mit unseren Recherche-Ergebnissen konfrontiert. Ein Sprecher teilte mit, zu den Richtlinien von Google News gehöre die Unterbindung „schädlicher oder hasserfüllter Inhalte.“ Mehr als 10.000 Tester:innen würden die Ergebnisse der Google-Suche auf Fachwissen, Autorität und Vertrauenswürdigkeit prüfen. Inwiefern die Tester:innen für Google oder Google News arbeiten, hat der Konzern nicht ausgeführt. Wir wollten konkret wissen, ob die von uns entdeckten Angebote den Richtlinien von Google News entsprechen – also Staatspropaganda und für Falschmeldungen bekannte rechtspopulistische Blogs. Google hat uns das nicht beantwortet.
Der Konzern betont dagegen, dass die Algorithmen von Google News Nachrichten aus „zuverlässigen und Experten-Quellen“ besonders hervorheben. Dieses Versprechen hält Nicolas Kayser-Bril von der gemeinnützigen NGO AlgorithmWatch für wenig glaubwürdig. AlgorithmWatch recherchiert dazu, wie sich automatisch entscheidende Systeme auf die Gesellschaft auswirken. „Die Algorithmen von Google sind insgesamt darauf ausgelegt, die Werbeeinnahmen zu maximieren“, sagt Kayser-Bril auf eine Anfrage von netzpolitik.org. „Das Unternehmen hat in seiner kurzen Geschichte nicht darauf schließen lassen, dass es seine Einnahmen nicht mit allen Mitteln maximieren möchte.“
So haben wir rund 900 Quellen bei Google News ermittelt
Google führt keine öffentliche Liste darüber, welche Quellen bei Google News landen und welche nicht. Aber der Konzern schreibt, die Quellen seien vertrauenswürdig. Wir wollten herausfinden, was genau Google News darunter versteht. Um ein möglichst breites Spektrum an Quellen einzusehen, haben wir eine Stichprobe gemacht und Anfang September mithilfe einer Software rund 50 Suchbegriffe abgefragt. Genutzt haben wir dafür den „News“-Reiter bei google.com.
Die Hälfte unserer Suchbegriffe handelte von großen Nachrichtenthemen, etwa „Ukraine“, „Hitzewelle“ und „9-Euro-Ticket“, die andere waren rechtspopulistische Begriffe wie „Zwangsgebühren“, „Überfremdung“ und „Genderwahn“. Auf diese Weise wollten wir ein möglichst breites Spektrum an Quellen sichtbar machen. Für jeden der rund 50 Suchbegriffe haben wir die ersten zehn Suchergebnis-Seiten erfasst. Das ergab insgesamt 5.202 Google-News-Ergebnisse aus 889 verschiedenen Quellen. Diese Quellen haben wir danach händisch überprüft. Eine Tabelle mit den Suchbegriffen und Ergebnissen der Stichprobe veröffentlichen wir hier.
Mit unserer Stichprobe erheben wir nicht den Anspruch, alle Quellen von Google News identifiziert zu haben. Dafür ist sie zu klein. Stattdessen soll die Stichprobe zeigen, welche Arten von Quellen den Weg in die Suchmaschine für „vertrauenswürdige“ Inhalte finden.
Auf den ersten Blick liefert Google News tatsächlich viele vertrauenswürdige Nachrichten aus Quellen wie spiegel.de, tagesschau.de und Zeit Online – sie alle stehen ohne Zweifel für seriösen Journalismus. Beim Sichten der rund 900 Websites aus der Stichprobe stießen wir aber auch auf problematische Quellen, die nachweislich Falschinformationen verbreiten.
Vier staatliche Propaganda-Medien aus China bei Google News
In insgesamt sechs Fällen fanden wir unter den Google-News-Quellen Propaganda-Medien autoritärer Staaten. Vier Angebote kamen allein aus China: „Radio China International“, „Xinhuanet Deutsch“, „China Daily Global Edition“ und „German China.org“. Auch Staatsmedien aus Iran („Mehr News Agency“) und Ungarn („Híradó“) waren vertreten.
Staatsmedien autoritärer Regierungen lassen sich schwerlich als vertrauenswürdig bezeichnen. Ein Online-Artikel von „Radio China International“ bezeichnet beispielsweise die Menschenrechtsverletzungen an der muslimischen Minderheit der Uigur:innen in Xinjiang als „Lügen“. Der Artikel leugnet Zwangsarbeit und Genozid in Xinjiang. Das entspricht der staatlichen Linie Chinas, aber nicht den Fakten. Jüngst hat ein Bericht der Vereinten Nationen die Menschenrechtsverletzungen angeprangert.
Ein Bericht der iranischen „Mehr New Agency“ kritisiert die Verurteilung einer Holocaust-Leugnerin in Deutschland scharf. Der Artikel zitiert einen iranischen Politiker mit den Worten, dass Deutschland daran scheitere, die „Meinung“ der Frau zu tolerieren. In Deutschland ist Holocaust-Leugnung eine Straftat.
Híradó bezeichnet in einem Artikel aus dem Jahr 2022 den US-Investor George Soros als mitverantwortlich dafür, dass eine französische Stadt Ganzkörper-Badeanzüge erlauben wolle, auch bekannt als Burkinis. Soros ist immer wieder Hauptfigur in Verschwörungserzählungen, die Wochenzeitung Jüdische Allgemeine nennt ihn „Projektionsfläche des Antisemitismus“. Konkret ging es um die Stadt Grenoble, die Badenden freistellen wollte, wie sie sich kleiden, auch Baden ohne Oberteil sollte allen erlaubt werden. Híradó bezeichnete das Vorhaben als linksextrem.
Warum Google News diese Medien nicht kennzeichnet, wie es bei YouTube passiert, beantwortete der Konzern auf unsere Anfrage hin nicht. Bei YouTube steht beispielsweise unter Videos von Xinhua: „Xinhua wird ganz oder teilweise von der Regierung Chinas finanziert.“
Auffällig abwesend in der Liste der von uns entdeckten Google-News-Quellen sind die russischen Staatsmedien RT und Sputnik. Deren Verbreitung hat die EU-Kommission nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verboten, manche Provider sperren sogar deren Websites.
Listing bei Google News trotz wiederholter Falschmeldungen
Nicht nur Staatspropaganda ist uns bei der Sichtung der Google-News-Quellen aufgefallen. Mindestens acht Angebote sind Blogs aus dem rechtspopulistischen Spektrum, die bereits nachweislich falsche oder irreführende Meldungen verbreitet haben. Das belegen Recherchen von Faktencheck-Redaktionen. Wir setzen bewusst keine Links zu diesen Blogs, verweisen aber auf beispielhafte Faktenchecks: Tichys Einblick, Achse des Guten, Epoch Times, Reitschuster, Report24, Unser Mitteleuropa, Rubikon, Newsmax. Die ersten sieben Quellen sind deutschsprachig, Newsmax ist ein US-amerikanischer Pro-Trump-Sender.
Irreführende Berichte über die Corona-Pandemie veranschaulichen gut, wie gefährlich rechtspopulistische Blogs sein können. So schürte eine Nachricht im Mai 2021 unbegründete Zweifel an der Covid-19-Impfung. Demnach soll es in Israel Belege für einen Anstieg der Sterblichkeit nach der Impfung gegeben haben, wie etwa Reitschuster und die Epoch Times berichteten. Eine Prüfung von Correctiv zeigte jedoch, dass die Sterblichkeit in Israel nach Einführung der Impfung gesunken ist. Ein Artikel von „Unser Mitteleuropa“ behauptete, die Delta-Variante des Corona-Virus sei „sechsmal tödlicher bei Covid-Geimpften“. Auch für diese Behauptung fand ein Faktencheck der Deutschen Presse-Agentur (dpa) keinen Beleg. Wenn diese Quellen bei Google News auftauchen, können sie Reichweite und Glaubwürdigkeit gewinnen – und damit letztlich Menschen gesundheitlich schaden.
Google teilt gegenüber netzpolitik.org mit, es verstoße gegen die Richtlinien, wenn Inhalte dem wissenschaftlichen oder medizinischen Konsens zuwiderlaufen. Bei wiederholten oder schwerwiegenden Verstößen könne es passieren, dass eine Website nicht mehr bei Google News erscheinen dürfe. Fakten spielen bei Google News also durchaus eine Rolle. Aber Selbstbeschreibung und Wirklichkeit klaffen offenbar weit auseinander.
Enorme Vielfalt an Quellen
Die rund 900 von uns untersuchten Quellen zeigen, dass es bei Google-News eine enorme Vielfalt gibt. Neben journalistischen Angeboten finden sich auch Angebote von Behörden und Parteien, PR-Portale, Fachblogs und Auslandsmedien. Bundesregierung und Finanzministerium sind ebenso vertreten wie etwa die offiziellen Angebote des Landes NRW oder der Stadt Mannheim. Auf Google News fanden wir unter anderem Angebote der Union, der Grünen sowie von rechten Parteien. Und auch zahlreiche Fachmedien haben auf Google News ihren Platz – sei es für Chemietechnik, Fleischwirtschaft oder britische Zahnmedizin. Wir fanden außerdem Nachrichtenmedien unter anderem aus Kanada, Indien und Ghana.
Viele der von uns identifizierten Quellen bewegen sich in einem breiten Graubereich. Vertrauenswürdige Nachrichten kommen längst nicht nur von traditionellen Zeitungsverlagen und dem Rundfunk, sondern auch von Blogs, Start-ups und gemeinnützigen Vereinen. Auch Behörden betreiben sorgfältige, redaktionelle Angebote, etwa die zum Innenministerium gehörende Bundeszentrale für politische Bildung. Es wäre ein Forschungsprojekt für sich, die Vertrauenswürdigkeit all dieser Quellen differenziert zu prüfen. Google schreibt, die politische Ausrichtung spiele keine Rolle bei der Entscheidung, was angezeigt wird. Unsere Recherche bekräftigt das: Unter den Quellen fanden sich Angebote aus dem politisch rechten und linken Spektrum.
Für unsere Recherche haben wir uns daher einen engen Fokus gesetzt – auf Fälle, die ganz besonders infrage stellen, inwiefern Google News sein Versprechen der Vertrauenswürdigkeit einhalten kann.
Google News lässt sich nicht in die Karten schauen
Warum erscheint überhaupt dieses Potpourri an Quellen in den Suchergebnissen bei Google News? Der Konzern behauptet, Angebote bei Google News müssten Kriterien für Transparenz erfüllen. Demnach müssten Artikel etwa eine Autor:innenzeile und ein Veröffentlichungsdatum aufweisen. Und auf der Website müssten Kontaktdaten und Informationen über die Organisation aufgeführt sein. Darüber hinaus dürfe es keine redaktionellen Inhalte geben, die Clickbait enthalten. Die genannten Kriterien lassen sich auch automatisiert messen, eine menschliche Überprüfung wäre nicht nötig.
Wir haben die Pressestelle gefragt: Ist es korrekt, dass Google News die Vertrauenswürdigkeit von Quellen allein anhand maschinenlesbarer Merkmale untersucht? In diesem Fall müssten Websites bloß ein paar formelle Kriterien beachten, schon könnten sie als vertrauenswürdige Nachrichtenquellen durchgehen. Die Frage wurde uns nicht eindeutig beantwortet.
Stattdessen erfuhren wir, dass Google Inhalte automatisch blockieren kann, wenn diese Richtlinien verletzen. Anbieter einer Website könnten auch selbst beantragen, bei Google News aufzutauchen. Zusätzlich füge Google durch Webcrawling weitere Nachrichtenquellen hinzu. In welchem Ausmaß bei Google News aber nun Sorgfalt oder Chaos dominieren, das geht aus den Antworten nicht hervor.
Undurchsichtig bleibt für die Außenwelt außerdem, in welcher Reihenfolge Google News seine Ergebnisse anzeigt. Dem Konzern zufolge ordnet ein Algorithmus Artikel nach Kriterien wie Aktualität, Glaubwürdigkeit, Standort und Sprache der Nutzer:in. In die Ergebnisse würden hunderte Faktoren einfließen. Nicolas Kayser-Bril von AlgorithmWatch kritisiert das: Es gebe seines Wissens nach nur wenige unabhängige Prüfungen oder Forschung über die Funktionsweise von Google News. „Daher weiß die Öffentlichkeit nur sehr wenig über das Innenleben des Algorithmus zur Nachrichtenauswahl.“
Googles finanzielle Anreize
Die Wirtschaftsrechtlerin Corinne Tan von der Technischen Universität Nanyang in Singapur hat untersucht, wie Desinformation auf Google News reguliert werden kann. Ein entsprechendes Paper von ihr hat im September dieses Jahres veröffentlicht. Tan vergleicht darin unter anderem freiwillige Maßnahmen von Google sowie netzpolitische Gesetzgebung, auch die in Deutschland.
Google habe eine dominante Position im Netz und könne Nutzer:innen über sein Internetsuche zu Google News leiten, wie Tan erläutert. Das könne die Verbreitung von Falschnachrichten an ein breites Publikum erleichtern, was potenziell schädliche Folgen für die digitale Gemeinschaft habe. Einerseits ergreife Google freiwillige Maßnahmen gegen Desinformation, etwa ein höheres Ranking für vertrauenswürdige Quellen. Andererseits gebe es für Google auch finanzielle Anreize dafür, dass Nutzer:innen auch mit nicht vertrauenswürdigen Quellen interagieren und dadurch Werbe-Einnahmen für den Konzern erzeugen.
Ansätze für Lösungen sieht Tan nicht nur bei Google News und Regulierungen, sondern auch bei den Nutzer:innen selbst. Sie spricht von „digital literacy“, frei übersetzt: Medienkompetenz. Dabei geht es darum, Nutzer:innen für den Umgang mit Quellen zu rüsten. Eine gut funktionierende Öffentlichkeit sei „das wichtigste Bollwerk gegen die Verbreitung von Falschnachrichten über einen Nachrichtenaggregator wie Google News“.
Konkretere Forderungen an Google formuliert Kayser-Bril im Gespräch mit netzpolitik.org: Google News habe zahlreiche Möglichkeiten, um das Versprechen glaubwürdiger Quellen einzulösen. Der Konzern könne etwa Redakteur:innen und Expert:innen anstellen, um die Algorithmen für die Auswahl und das Ranking von Quellen zu verbessern. „Google könnte für einige Themen sogar eine menschliche Kuratierung einführen“. In manchen Bereichen könnten Menschen statt Algorithmen auswählen, welche Quellen bei Google News angezeigt werden, sagt Kayser-Bril. „Natürlich wäre es teurer, als einen Feed zu scrapen, ihn zu indexieren und wiederzukäuen.“ Letzten Endes laufe alles auf die Entscheidungen der Google-Führungskräfte hinaus.
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