Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Neuer EU-Kodex: Tech-Konzerne wollen Desinformation das Werbegeld streichen

Mark Zuckerberg
Verspricht Schritte gegen Desinformation: Der Meta-Konzern von Mark Zuckerberg – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Xinhua

Einige der größten Konzerne der Welt und Werbeindustrieverbände versprechen, künftig keine Werbung mehr neben Falschnachrichten zu platzieren und auch das Bewerben von falschen und irreführenden Inhalten nicht mehr zu erlauben. Das Versprechen ist Teil eines neuen EU-Verhaltenskodex gegen Desinformation. Der Kodex werde die Anreize zur Verbreitung von Desinformation deutlich verringern, sagte EU-Kommissarin Věra Jourová am heutigen Donnerstag in Brüssel.

Der Verhaltenskodex soll aus Sicht der EU-Kommission die wachsende Ausbreitung von falschen und manipulativen Nachrichten im Netz deutlich verringern. Solche unerwünschten Inhalte werden in Brüssel unter dem Stichwort „Desinformation“ zusammengefasst. Jourová warnt etwa vor russischer Propaganda über den Krieg in der Ukraine.

Zuletzt hatte die Kommission Plattformen in der Covid-Pandemie zu stärkeren Vorgehen gegen Impflügen aufgefordert. Stimmen aus der Zivilgesellschaft warnen allerdings immer wieder davor, dass rechtliche Maßnahmen gegen Desinformation eine Einschränkung der Meinungsfreiheit bedeuten könnten, weil etwa Schritte gegen vermeintliche Falschnachrichten als Zensurwerkzeug genutzt werden können.

Unterzeichnet haben den Kodex gegen Desinformation die zwei größten Werbekonzerne der Welt: Google und der Facebook-Mutterkonzern Meta. Auch soziale Netzwerke wie Twitter, Clubhouse und TikTok nehmen teil, ebenso Werbeverbände wie die World Federation of Advertisers sowie NGOs wie Avaaz und Reporter ohne Grenzen.

Auffällig ist allerdings auch, wer fehlt: Nicht unterschrieben hat Telegram, das wegen fast völlig fehlender Inhaltemoderation beliebt für die Verbreitung von Desinformation ist. Es fehlen aber auch Apple und Amazon, die eine immer größere Rolle im Online-Werbegeschäft spielen. Der Amazon-Konzern ist lediglich durch sein Streamingportal Twitch vertreten. In der Unterzeichnerliste fehlt außerdem die Mozilla-Stiftung, die bei früheren Versionen des Kodex dabei war.

EU setzt seit 2018 auf Verhaltenskodex

Bereits seit 2018 versucht die EU-Kommission, mit dem Verhaltenskodex für Desinformation die Verbreitung von „Fake News“ im Internet zu bremsen. Anders als bislang bekommt die Neuauflage der Kodex durch das Digitale-Dienste-Gesetz der EU mehr rechtliches Gewicht. Das neue Gesetz schreibt „sehr großen Plattformen“ wie Google und Facebook vor, strukturelle Schutzmechanismen gegen die Verbreitung von Desinformation ergreifen zu müssen. Dazu soll künftig auch der Kodex gehören.

Scheitern die Plattformen auf systematische Art an der Durchsetzung ihrer Verpflichtungen, drohen Strafen von bis zu sechs Prozent ihres globalen Umsatzes – im Fall von Google und Meta wären dies Milliardenbeträge. Einzelne Verstöße der Plattformen gegen den Kodex können durch das Digitale-Dienste-Gesetz allerdings nicht geahndet werden.

Was die EU meint, wenn sie über Desinformation spricht

In dem Kodex verpflichten sich die Unterzeichnenden, ein System zur Prüfung von Webseiten zu schaffen, auf denen Werbung platziert wird. Sie sollen ihr konkretes Vorgehen öffentlich machen und unabhängigen Dritten Zugang zu ihren Plattformen gewähren, um die Einhaltung der Schritte zu überprüfen. Auch der Missbrauch von Werbesystemen durch Verbreiterinnen von Desinformation soll beschränkt werden. Um die Einhaltung dieser Versprechen zu prüfen, sollen die Unterzeichnerinnen regelmäßig Berichte mit Informationen vorlegen.

Aus Sicht von Expert:innen sind diese Bestimmungen ein guter Anfang – es fehle aber noch an vielen Details, sagt Clare Melford, die Gründerin des Global Disinformation Index, gegenüber netzpolitik.org. Es brauche etwa präzise Mindeststandards für den Datenzugang für Forscher:innen und Factchecker:innen. Auch müsse aus den Berichten der Plattformen deutlich hervorgehen, wie viel Geld mit Desinformation verdient worden sei, wo diese angezeigt wurde und wer die Zielgruppe gewesen sei.

Neben der Demonetarisierung von Desinformation enthält der neue Kodex eine Reihe anderer Versprechen der Unterzeichnerinnen. Künftig sollen Diensteanbieterinnen wie Facebook oder Twitter erlauben, Desinformation zu melden. Wenn ein Inhalt entfernt wird, soll dies konkret begründet und ein Beschwerdeweg dagegen geschaffen werden.

Umsetzung bis Anfang 2023

Der Kodex legt außerdem fest, dass politische Werbung als solche gekennzeichnet und mit Angaben über ihren Urheber und seine Ausgaben versehen sein muss. Die Unterzeichnerinnen sollen konsequent mit Fact-Checker:innen zusammenarbeiten und User:innen in allen EU-Sprachen einfachen Zugang zu deren Ergebnissen ermöglichen. Deutlich verbessern soll sich auch der Datenzugang für Forscher:innen. Während durch das Digitale-Dienste-Gesetz Sanktionsmöglichkeiten gegen große Plattformen für systematische Nicht-Einhaltung dieser Versprechen geschaffen wurde, bleiben sie für die anderen Unterzeichnerinnen rechtlich nicht bindend. 

Mit dem überarbeiteten Kodex setzt die EU einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung als jene, die Elon Musk für seine geplante Übernahme von Twitter angekündigt hat. Musk will, wenn ihm die Übernahme des sozialen Netzwerks gelingt, dort im Großen und Ganzen nur noch illegale Inhalte entfernen. Desinformation, also Falschnachrichten und manipulierte Inhalte, sind aber in den meisten Fällen nicht illegal, zumindest in der EU. Mit dem Verhaltenskodex geht die EU-Kommission weiter hin zur Verrechtlichung der Inhaltemoderation bei großen Plattformen.

Die Unterzeichnerinnen erhalten nun sechs Monate Zeit, um ihre neuen Versprechen in die Tat umzusetzen. Anfang 2023 sollen sie Angaben über ihre Umsetzung in einem Fortschrittsbericht an die EU-Kommission veröffentlichen.


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires