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Medienfreiheitsgesetz: EU will Presse vor Überwachung schützen

Die EU-Kommission will den Einsatz von Staatstrojanern und anderen Überwachungsmethoden gegen Journalist:innen stark einschränken. NGOs geht ihr Gesetzesentwurf aber nicht weit genug.

Journalistinnen unter Beobachtung
In einigen EU-Ländern ist die Pressefreiheit bedroht (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Jana Shnipelson

Die EU-Kommission stellt heute ein Gesetz vor, das die Presse in der Europäischen Union vor staatlicher Überwachung und Einflussnahme schützen soll. Ein Kernpunkt dabei ist ein generelles Verbot, Journalist:innen und ihre Angehörigen festzunehmen, zu durchsuchen, zu bestrafen oder zu überwachen, um an ihre Quellen heranzukommen. Ausgenommen seien nur Überwachungsmaßnahmen „im öffentlichen Interesse“. Der Entwurf verbietet ausdrücklich den Einsatz von Staatstrojanern zur Überwachung. Deren Verwendung soll nur aus Gründen der nationalen Sicherheit oder bei der Aufklärung schwerer Straftaten erlaubt bleiben. Jede Maßnahme müsse mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar sein.

Die Kommission reagiert mit ihrem Vorschlag für den „European Media Freedom Act“ (Europäisches Medienfreiheitsgesetz) auf wachsende Sorge über die Pressefreiheit in einigen EU-Staaten. In Ungarn, Polen und Griechenland wurden zuletzt Journalist:innen mit dem Staatstrojaners Pegasus gehackt. Als Bedrohung wertet die Kommission aber auch unklare Besitzverhältnisse und die Konzentration von Medieneigentümerschaft in wenige Hände, sowie staatliche Einflussnahme durch Subventionen wie etwa in Österreich. Auch zu diesen Punkten macht die Kommission Vorschläge. Der Entwurf der Kommission wurde vor der offiziellen Vorstellung des Gesetzes vom französischen Medium Contexte geleakt (hier abrufbar).

NGOs äußerten schon im Vorfeld Bedenken, ob die Ideen der Kommission weit genug gehen. Sie zweifeln beispielsweise daran, wie effektiv das vorgeschlagene Überwachungsverbot tatsächlich ist. Denn die ungarische Regierung und polnische Regierung beriefen sich bei der Überwachung von Journalist:innen ausdrücklich auf den Schutz der nationalen Sicherheit. Außerdem dürfe der Schutz vor Überwachung nicht auf bestimmte Technologien wie Trojaner beschränkt sein, kritisiert die Bürgerrechtsorganisation Liberties.eu. „Wir brauchen zukunftssichere Lösungen, um Journalisten vor Lauschangriffen zu schützen und sicherzustellen, dass ihre verschlüsselte Kommunikation vor jeglicher Spähsoftware sicher bleibt.“

EuGH-Klage gegen Trojaner möglich

Die Kommission verweist in ihrem Gesetzesvorschlag darauf, dass Journalist:innen in verschiedenen EU-Staaten nicht immer gleich viel rechtlichen Schutz vor staatlicher Überwachung genießen. Das Gesetz soll dies ändern und das Reaktionsgeheimnis erstmals einheitlich unter den Schutz von EU-Recht stellen. Vom Staat bespitzelten Journalist:innen müsse die Möglichkeit zur Beschwerde bei einer unabhängigen nationalen Stelle gegeben werden. Diese muss binnen drei Monaten entscheiden, ob die Überwachungsmaßnahme gerechtfertigt gewesen sei. Im Streitfall können die Betroffenen bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen – ein Rechtsweg, der bislang bei solchen Verstößen gegen die Pressefreiheit nicht möglich war.

Umstritten ist auch der Vorschlag der Kommission, dass Plattformen wie YouTube und Facebook für Nachrichtenmedien privilegierte Beschwerdewege gegen das Löschen oder Sperren ihrer Inhalte schaffen müssen. Demnach sollen Einsprüche von Medien gegen Löschentscheidungen bevorzugt gegenüber anderen solchen Beschwerden behandelt werden. Wenn ein Medium mit seinen Inhalten regelmäßig den Zugang zu einer großen Plattform verliere, müsse diese in einen Dialog über eine „freundschaftliche Lösung“ des Problems eintreten, heißt es im Entwurf der Kommission. Dieses Medienprivileg könnte jedoch unfreiwillig die Propaganda autoritärer Staaten wie Russland unterstützten, kritisiert Liberties.eu. Ein ähnlicher Vorschlag für ein Privileg für Presseverlage im kürzlich beschlossenen Digitale-Dienste-Gesetz wurde von einer Mehrheit im EU-Parlament zurückgewiesen.

Einen Transparenzvorsprung bringen könnte das Medienfreiheitsgesetz bei öffentlichen Inseraten. In Ländern wie Österreich verteilt die öffentliche Hand jährlich Millionenbeträge an Medien für Werbeschaltungen, deren Wirksamkeit zumindest fragwürdig ist. Die Inseratenaffäre um Sebastian Kurz verdeutlichte das Korruptionspotential solcher versteckten Subventionen an die Presse – denn allzu leicht kann Werbegeld an politisch gewogene Berichterstattung geknüpft sein. Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission sieht nun vor, dass mit öffentlichen Mitteln finanzierte Werbeschaltungen nach objektiven, tranparenten Kriterien verteilt werden müssen. Auch müsste die Mittelausgabe an Medien vollständig offengelegt werden.

Großer Schritt zu einheitlichem EU-Medienrecht

Kritik gibt es unterdessen an den Vorschlägen der Kommission beim Thema Medienpluralismus. Expert:innen hatten von der Kommission gefordert, gegen Tendenzen wie jenen in Staaten wie Ungarn entgegenwirken. Dort haben regierungsnahe Geschäftsleute die meisten privaten Zeitungen, Radios und Nachrichtenseiten aufgekauft – geschrieben und gesendet werden darf in diesen nur, was Regierungslinie ist. Doch der Gesetzesentwurf der Kommission enthält dagegen keine bindenden Maßnahmen. Stattdessen schlägt sie lediglich vor, dass die Medienkonzentration regelmäßig von eine unabhängigen Behörde erhoben werden muss – ohne Konsequenzen, wenn das Ergebnis problematisch ausfällt.

Ein Grund für die Zurückhaltung der Kommission dürfte sein, dass jeder Eingriff in die nationalen Medienlandschaften wohl massiven Widerstand der Mitgliedsstaaten im Rat auslösen dürfte, der dem Gesetz zustimmen muss. Denn die EU betreibt bislang kaum Medienregulierung, der vorliegende Entwurf ist ein erster großer Schritt hin zu einem einheitlichen EU-Medienrecht. Entsprechend verhalten äußerten sich einige Pressefreiheitsorganisationen. Die positiven Seiten des Entwurfs – etwa dass er erstmals überhaupt einen Mindeststandard für den Schutz von Journalist:innen gegen Überwachung schafft – sollten nicht vom Start weg von berechtigter Kritik an seinen Schwächen überschattet werden, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Für das Medienfreiheitsgesetz dürften nun langwierige Verhandlungen im Rat und im EU-Parlament anstehen. Wann das Gesetz tatsächlich beschlossen werden kann, traut sich in Brüssel niemand vorherzusagen.


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