Während Bürgerrechtskreise das Luxemburger Urteil mit Genugtuung aufnehmen, zeichnet sich in der Ampel ein Koalitionsstreit ab. Justizminister Buschmann plant, zügig einen Quick-Freeze-Entwurf vorzulegen, doch Innenministerin Faeser will mehr.
Die üblichen Verdächtigen versuchen das Urteil aus Luxemburg so zu interpretieren, als könne man weiterhin eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung umsetzen. So zumindest ist es in der gemeinsamen Pressemitteilung von Bayerns Innen- und Justizminister zu lesen. Darin ist sich Joachim Herrmann nicht zu schade, die Schlagworte vom „ideologisch übertriebenen Datenschutz“ und „Täterschutz“ zu bemühen. Unverzichtbar sei die Vorratsdatenspeicherung, welche die bayerischen Minister „Verkehrsdatenspeicherung“ nennen.
So weit, so erwartbar. Es wird wohl immer Stimmen geben, die auch nach der eindeutigsten Ansage von Gerichten und entgegen der Verfassungsgrundsätze weiter nach Vollüberwachung unbescholtener Bürger:innen schreien.
Ganz anders die Reaktionen auf Seiten von Bürgerrechtler:innen. Katharina Nocun wünscht sich, dass mit dem Urteil die Debatte um die Vorratdatenspeicherung endlich begraben wird. Es gäbe genug Alternativen zu dieser archaischen Massenüberwachung. In eine ähnliche Kerbe schlägt der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber, der hofft, dass nun endgültig Schluss sei mit Debatten über anlasslose Vorratsdatenspeicherungen. Derer gibt es noch andere, wie Constanze Kurz kommentiert: Wenn die VDS illegal ist, warum nicht auch die Fluggastdatenspeicherung oder das Anhäufen biometrischer Daten in den Händen des Staates?
Bürgerrechtler zufrieden
Der Deutsche Journalistenverband bezeichnet das Urteil als Sieg für Informantenschutz und Pressefreiheit. Beim SPD-nahen netzpolitischen Verein D64 richtet man die Aufmerksamkeit auf die Bundesinnenministerin aus der eigenen Partei: „Die Bundesinnenministerin muss nun überlegen, ob sie eine mehrfach zu Grabe getragene Ideologie ihrer Vorgänger fortsetzen will oder ob sie neue, rechtssichere Instrumente nutzt, um Opfern von Kriminalität zu helfen“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Nancy Faeser hatte zuletzt immer wieder Hinweise gegeben, dass sie die anlasslose Speicherung befürwortet.
Die Digitale Gesellschaft sagt über das Urteil: „Deutlicher kann dem starrsinnigen Beharren auf einer offenkundig rechtswidrigen Überwachungsmaßnahme wohl keine Absage erteilt werden.“ Beim liberalen Netzverein LOAD freut man sich, „dass der EuGH ein weiteres Mal klar gestellt hat, dass die anlasslose und massenhafte Überwachung der Bevölkerung nicht mit der Europäischen Grundrechtscharta vereinbar ist.“
In ein ähnliches Horn stoßen auch die regierenden Parteien FDP und Grüne. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr bezeichnet das Urteil als wegweisend, die Bundesregierung werde die Gesetze zügig anpassen. Justizminister Buschmann (FDP) sprach auf Twitter von „einem guten Tag für die Bürgerrechte“. Die Regierung werde die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig aus dem Gesetz streichen. Der Minister wiederholte dies auf einer Pressekonferenz.
Er kündigte dort auch einen Referentenentwurf an, der Qick Freeze beinhalte. Der soll innerhalb der nächsten beiden Wochen kommen. So werde man auch den „VDS-Gesetzes-Zombie“ endlich los. Bei einer Nachfrage zur erlaubten Ausnahme anlassloser Speicherung im Falle einer Bedrohung der nationalen Sicherheit wich Buschmann aus.
Faeser will weiter speichern
Die Bundestagsfraktion der Grünen sagte in einer Pressemitteilung, dass die Vorratsdatenspeicherung auf den „Müllhaufen der Geschichte“ gehöre und das Urteil eine „herbe Klatsche“ für die Befürworter:innen sei. Für eine – wie auch immer geartete – Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung gebe es weder rechtlichen noch politischen Spielraum, so die Grünen weiter.
Die linke Digitalpolitikerin Anke Domscheit-Berg warnte hingegen, dass die Regierung Schlupflöcher nutzen könne, um doch noch anlasslos zu speichern.
Sie dürfte damit vielleicht Recht behalten, denn so klar wie Grüne und FDP die Vorratsdatenspeicherung ablehnen, so klar plädiert Innenministerin Faeser dafür, das Maximum aus dem EuGH-Urteil herauszuholen. Sie spricht davon, dass eine IP-Speicherung etwa an Flughäfen und in „Gegenden mit hoher Kriminalitätsbelastung“ zulässig sei – was eine Türe öffnet für einen Flickenteppich an Vorratsdatenspeicherungen. Faeser beteuert zwar, dass sie keine „alten Debatten“ führen wolle, will aber weiter pauschal IP-Adressen auf Vorrat speichern – „für die Bekämpfung schwerer Straftaten und für den Schutz unserer inneren Sicherheit“. Sie tut also genau das, dreht eine weitere Runde in der endlosen Vorratsdatenspeicherungsdebatte und setzt letztlich die Zombie-Linie der Union innerhalb der SPD fort.
Währenddessen sagte ihre Parteivorsitzende Saskia Esken gegenüber der taz: „Ich bin froh, dass der Europäische Gerichtshof mit seinem heutigen Urteil meine Einschätzung erneut bestätigt hat: Eine präventive, allgemeine und anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten ist mit dem Europarecht unvereinbar.“
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