Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Wikipedia: Handlungsbedarf bei bezahltem Schreiben

Ein schwarz-weißes Foto, auf dem eine Person sich meldet. Sie ist von hinten zu sehen.
Die Autor:innen der deutschen Wikipedia haben sich zu Wort gemeldet. (Symbolbild) Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Felicia Buitenwerf

Mehr als 17.000 Nutzer:innen haben im letzten Monat aktiv in der deutschsprachigen Wikipedia mitgearbeitet. Die meisten von ihnen tun das in ihrer Freizeit und unbezahlt. Doch immer wieder gibt es Berichte zu Fällen, in denen Personen Artikel gegen Bezahlung bearbeiten, Bilder mit Schleichwerbung hochladen oder versuchen, ungeliebte Inhalte zu löschen. Dabei geht es oft um Werbung für Unternehmen, zum Beispiel für North Face. Oder auch um russische Oligarchen, die ihre Biografien aufbessern lassen.

In der deutschsprachigen Wikipedia gab es letztes Jahr zwei Fälle von bezahltem Schreiben, die größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Im ersten Fall wurde die Organisation „Women Writing Wiki“ gesperrt, die eine Förderung des hessischen Wissenschaftsministeriums bekommen hatte. Der andere war die Recherche des ZDF Magazin Royale mit netzpolitik.org zu Artikeln von Bundestagsabgeordneten, bei denen mehrere Bearbeitungen mit Interessenskonflikten aufgefallen waren. Nicht immer waren diese klar gekennzeichnet.

In der Wikipedia-Community führte das zu erneuten Diskussionen: Wie sollen die ehrenamtlichen Autor:innen mit bezahltem Schreiben umgehen?

Zu dem Thema gibt es bereits umfangreiche Richtlinien. Die Autor:innen müssen etwa offenlegen, wenn sie etwas bezahlt bearbeiten. Was es bisher noch nicht gab, war eine umfangreiche, strukturierte Erfassung davon, was die Autor:innen zu diesem Thema denken.

Eine interne Umfrage sollte das ändern und erfassen, ob die Community hier ein Problem sieht. „Ist das Thema überhaupt relevant und präsent, beschäftigen sich Freiwillige damit, sehen diese einen Handlungsbedarf und wie groß ist der eigentlich?“, so der Wikipedia-Bearbeiter Superbass zu netzpolitik.org. Der gebürtige Kölner schreibt seit 2004 bei der Wikipedia mit und hat die Umfrage mitorganisiert.

Viele Autor:innen sehen ein großes Problem

Im April nahmen beinahe 1.500 Autor:innen an der Befragung teil. Dabei gaben fast zwei Drittel der Befragten an, schon zehn Jahre oder länger bei der Wikipedia mitzuarbeiten – die Umfrage dürfte also eher die Meinung von Personen widerspiegeln, die schon viel Erfahrung mit der Mitarbeit haben.

Der Tenor der Ergebnisse ist: Viele von ihnen haben ein großes Problem mit bezahltem Schreiben. Beinahe 60 Prozent antworteten auf die Frage, als wie problematisch sie bezahltes Schreiben für die Wikipedia empfinden, auf einer Fünf-Punkte-Skala mit 4 oder 5. Nur jede:r fünfte sieht eher weniger Handlungsbedarf, die Regeln rund um bezahltes Schreiben zu verbessern. Was „verbessern“ dabei heißt, wird in der Frage nicht definiert.

Viele Autor:innen seien selber nicht auf den Diskussionsseiten zu dem Thema aktiv und würden auch keine Artikel bearbeiten, wo viel bezahltes Schreiben vorkomme, so Mitorganisator Superbass. Dass es trotzdem so viel Bewusstsein für das Problem gibt, findet er beachtlich.

Als größte Chance bei engeren Regeln zu bezahltem Schreiben sehen die Autor:innen mehr Neutralität. Der neutrale Standpunkt ist eines der vier Grundprinzipien der Online-Enzyklopädie, Artikel sollen etwa sachlich geschrieben sein.

Manche Autor:innen sehen strengere Regeln aber ebenfalls als Risiko für die Neutralität. Auf den ersten Blick ist das ein Widerspruch. Doch es gibt Autor:innen, die von Unternehmen bezahlt werden, um zum Beispiel nach einem Umzug den Standort im Artikel anzupassen oder bestimmte Rahmendaten wie die Anzahl der Mitarbeitenden zu aktualisieren. Wenn dabei die Verbindung offengelegt wird und die Bearbeitungen keinen werblichen Charakter haben, ist das erlaubt.

Wenn bezahltes Bearbeiten gänzlich verboten wären, gibt es die Sorge, dass es dennoch passiert, aber gar nicht mehr kenntlich gemacht wird.

Viele wissen nicht, wie sie reagieren sollen

Ein weiterer Bereich, der in dieser Umfrage das erste Mal systematisch erfasst wird, sind die aktuellen Erfahrungen von Autor:innen: Wo begegnen sie bezahltem Schreiben, wie erkennen sie es, was sind ihre Reaktionen?

Am häufigsten erfahren sie laut den Umfrageergebnissen durch Berichterstattung über Wikipedia davon. Das dürfte wohl auch an dem großen Interesse liegen, das ein Publikum außerhalb der Wikipedia an Versuchen von Einflussnahme auf die Enzyklopädie hat. Manchmal erfahren sie beim Besuch der Diskussionsseiten davon, seltener fällt es ihnen beim Lesen von Artikeln direkt auf – etwa dadurch, dass Texte sich werblich lesen.

Unsicherheit gibt es laut der Umfrage dabei, wie die Autor:innen mit bezahltem Schreiben umgehen sollen, wenn sie es bemerken. Der Selbstmach-Ethik der Wikipedia entsprechend sagten 40 Prozent der Autor:innen, sie würden auffällige Texte selbst überarbeiten. Beinahe so viele gaben an, einen Hinweis wie zum Beispiel „Die Neutralität dieses Artikels oder Abschnitts ist umstritten“ einzubauen.

Mehr als ein Fünftel gab aber auch jeweils an, entweder gar nicht zu wissen, was man machen sollte. Oder nicht zu wissen, wo man den Fall melden könnte. „Da sehe ich viel Luft nach oben“, so Mitorganisator Superbass.

Mehr Informationen, mehr Werkzeuge

„Wir begrüßen sehr, dass es jetzt qualitative Zahlen zum Umgang mit bezahltem Schreiben gibt“, so Wikimedia Deutschland, der Förderverein der deutschen Wikipedia, auf Anfrage von netzpolitik.org. Es hätten sich viele Autor:innen an der Umfrage beteiligt, sie würde also durchaus eine Grundstimmung widerspiegeln.

Die Umfrage wurde von freiwilligen Autor:innen organisiert, Wikimedia Deutschland hat sie dabei organisatorisch unterstützt. Dasselbe gilt für zwei Tagungen, auf denen Autor:innen die Diskussion um bezahltes Schreiben fortführen.

Was soll sich in der Wikipedia nun ändern?

„In meinen Augen lässt sich ‚bezahltes Schreiben‘ mit all seinen Folgen nicht aus der Wikipedia heraushalten, da es aufgrund des Anonymitätsprinzips teilweise im Verborgenen stattfindet“, so der Bearbeiter Superbass. Wichtig sei deshalb, den Anteil an offengelegter bezahlter Arbeit zu erhöhen.

Dazu brauche es mehr Informationen für Freiwillige, Instrumente zum Monitoring und zur Bearbeitung potenziell bezahlter Beiträge. Das Entdeckungsrisiko müsse steigen. Dazu müsse man auch offen gegen die Angebote der Dienstleister kommunizieren, die versprechen, Artikel verdeckt aufzubessern. Das sei nicht erwünscht und schädlich.

„Es geht also um breitere Information und Auseinandersetzung mit dem Thema, nach innen wie nach außen, und um einen Ausbau des ‚Werkzeugkastens‘ für freiwillige Autorinnen und Autoren“, so Superbass.


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires