Die Europäische Kommission könnte Plattformen wie Facebook, WhatsApp oder Signal bald das Durchleuchten von Inhalten und Nachrichten ihrer Nutzer:innen vorschreiben. Durchsetzen soll das ein Vorschlag für eine EU-Verordnung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch, den die Kommission am morgigen Mittwoch vorstellen will. Gegen die Vorschriften formiert sich allerdings bereits seit Monaten Widerstand.
Nach Vorstellungen der EU-Kommission sollen Plattformen künftig Maßnahmen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch angeordnet werden können. Der Vorschlag unterscheidet drei Arten von sexualisiertem Missbrauch: die Verbreitung bereits bekannter Missbrauchsdarstellungen, bislang unbekanntes Material und die entsprechende Kontaktaufnahme zu Kindern. Für jede dieser drei Kategorien soll es verschiedene Indikatoren geben, die in einer Datenbank verzeichnet sind.
Schon länger Warnungen vor „Chatkontrolle“
Wie genau die Betreiber die Indikatoren aufspüren sollen, spezifiziert der Entwurf nicht. Die Anbieter sollen geeignete Technologie einsetzen, um entsprechende Anzeichen zu erkennen. Das kann etwa bestimmte Software zum Scannen auf verdächtige Inhalte sein oder zum Abgleich von Videos und Bildern mit bekannten Kindesmissbrauchsinhalten. Verdachtsfälle müssen dann den Behörden gemeldet werden.
Anbieter sollen mittels Anordnungen zu Maßnahmen verpflichtet werden können, wenn etwa auf dem Dienst ein besonders hohes Risiko besteht, dass dieser für sexualisierte digitale Gewalt an Kindern genutzt wird.
Bereits im Vorfeld hatte eine Kampagne von Abgeordneten und aus der Zivilgesellschaft vor einer „Chatkontrolle“ gewarnt. Dabei ging es um Befürchtungen, dass sogenanntes Client-Side-Scanning vorgeschrieben werden könnte. Dies bedeutet, dass Software zur Prüfung aller Inhalte schon auf dem Gerät der Nutzer:innen installiert werden muss. Damit soll selbst Ende-zu-Ende-Verschlüsselung umgangen werden, jedes Bild oder Video würde dann der Prüfung unterzogen werden können.
Entwurf könnte Client-Side-Scanning bringen
Ob die EU-Kommission nun Client-Side-Scanning vorschreiben möchte, blieb zunächst unklar. Ein geleakter Textvorschlag der Kommission (den wir veröffentlichen) spricht davon, dass die konkrete Technologie von einer neu einzurichtenden EU-Zentralstelle gegen Kindesmissbrauch ausgesucht werden soll. Dabei einbezogen werden soll aber auch der Europäische Datenschutzbeauftragte, der vor der überschießenden Maßnahmen im Kampf gegen Kindesmissbrauch gewarnt hat.
Um welche Technologien es sich konkret handeln könnte, sagt der Entwurf der EU-Kommission nicht. Auch ist noch unklar, ob es sich bei dem geleakten Entwurf um die endgültige Version des Kommissionsvorschlags handelt. Doch der Verweis auf eine nicht näher benannte „Technologie“ ohne konkrete Einschränkungen könnte für das neue EU-Zentrum zum Blankoscheck werden, um das Scannen aller Inhalte direkt auf dem Gerät europaweit für alle Plattformen und Messengerdienste zur Vorschrift zu machen.
Auch Stimmen aus der Zivilgesellschaft zeigen sich extrem skeptisch. „Die Vorstellung ist unerhört, dass die private Kommunikation von Hunderten von Millionen Menschen in der EU , von der sie vernünftigerweise erwarten, dass sie privat ist, wahllos und generell rund um die Uhr gescannt“, sagte Ella Jakubowska vom NGO-Dachverband European Digital Rights (EDRi) im Vorfeld dem Online-Medium Politico. In Berlin ist am Mittwoch ein Protest vor der Vertretung der EU-Kommission gegen das Vorhaben geplant.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hält trotz der Bedenken an dem Vorhaben fest. „Die Täter verstecken sich hinter der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung; sie ist einfach zu benutzen, aber fast unmöglich zu knacken, was es den Behörden erschwert, Straftaten zu untersuchen und zu verfolgen“, beklagte Johansson Ende April.
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