Die Ständigen Vertreter:innen der EU-Mitgliedstaaten haben sich gestern auf eine Position zur neuen Verordnung von Eurojust geeinigt. Die Agentur ist für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zuständig und koordiniert grenzüberschreitende Ermittlungen. Zu den neuen Vorschlägen gehört, dass Eurojust Beweismaterial zu Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit speichern und verarbeiten darf. Die drei im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) verankerten Straftatbestände gehören zum Mandat von Eurojust, die Einrichtung einer auch biometrischen Datenbank bislang aber nicht.
Hintergrund ist der Krieg in der Ukraine, zu dem die Agentur nach einer Aufforderung des EU-Ministerrates für „Justiz und Inneres“ tätig werden soll. Eurojust soll europäische und internationale Gerichte bei der Beweissicherung unterstützen. Weil die hierzu erforderlichen Maßnahmen eilbedürftig sind, wird auch die Eurojust-Verordnung im zweimonatigen Eilverfahren beschlossen. Einen entsprechenden Gesetzesvorschlag hatte die Kommission erst in der vergangenen Woche vorgelegt. Vier Tage später haben sich die Mitgliedstaaten im Rat erstmals damit befasst.
„Automatisierte Datenverwaltungs- und -speicheranlage“
Nach einem gemeinsamen Beschluss aller EU-Mitgliedstaaten sowie weiterer Partnerstaaten ermitteln die beim IStGH in Den Haag angegliederten Strafverfolgungsbehörden zu den Vorfällen in der Ukraine. Die Justizbehörden Litauens, Polens und der Ukraine bilden mit der Anklagebehörde des IStGH eine gemeinsame Ermittlungsgruppe, die von Eurojust begleitet wird. Zudem haben einige EU-Mitgliedstaaten Untersuchungen begonnen, darunter auch der deutsche Generalbundesanwalt unter Mithilfe des Bundeskriminalamtes. Die Wiesbadener Behörde schickt laut Medienberichten außerdem Ausrüstung für forensische Ermittlungen in die Ukraine.
Wegen der andauernden Kriegshandlungen sind die Beweismittel für Kriegsverbrechen auf dem Hoheitsgebiet der Ukraine flüchtig, zudem können sie dort nicht sicher aufbewahrt werden. Deshalb wird Eurojust beauftragt, diese zu sammeln, zu lagern und aufzubewahren. Davon umfasst sind ausschließlich digitale Beweismittel, darunter Satellitenbilder, Fotos, Videos, Tonaufnahmen, DNA-Profile und Fingerabdrücke. Zu ihrer Speicherung soll Eurojust eine Datenbank einrichten, die weitere personenbezogene Daten enthält.
Die neue Verordnung soll einen geänderten Artikel 80 enthalten, der die Verarbeitung „operativer personenbezogener Daten in einer automatisierten Datenverwaltungs- und -speicheranlage außerhalb des Fallverwaltungssystems“ erlaubt. Wie bei derartigen Datensammlungen üblich, wird hierzu der Europäische Datenschutzbeauftragte konsultiert, der innerhalb von zwei Monaten eine Stellungnahme abgeben soll.
Konkurrenz zu Europol
Gemäß der neuen Verordnung soll es auch möglich sein, dass Daten von nicht behördlichen Organisationen an Eurojust übermittelt werden. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen beobachten und dokumentieren Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine, viele der Beweise oder Hinweise finden sich dabei in Sozialen Medien oder Satellitenaufnahmen.
Der Vorschlag beinhaltet auch die Erlaubnis zur Analyse der digitalen Beweismittel. Allerdings hat Eurojust hierzu kein Mandat, streng genommen liegt diese Kompetenz sogar ausschließlich bei den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten.
Zudem könnte Eurojust in Konkurrenz zu den Aufgaben der Polizeiagentur Europol geraten, die für die Koordination von grenzüberschreitenden Ermittlungen und mithin der forensischen Auswertung von Beweismitteln zuständig ist. Beide Agenturen sollen hinsichtlich der Verbrechen in der Ukraine eng zusammenarbeiten.
Unterstützung für Behörden der Ukraine
Für den Austausch der gesammelten Daten soll Eurojust mit dem Internationalen Strafgerichtshof ein eigenes Abkommen schließen. Zur Debatte steht, ob dieses auf den Ukraine-Krieg beschränkt bleiben oder auch andere geografische Regionen umfassen soll, darunter etwa Menschenrechtsverletzungen in Syrien.
Auch der Generalstaatsanwalt der Ukraine ermittelt zu den Verbrechen im Rahmen des russischen Angriffskrieges, auf einer Webseite können Straftaten gemeldet und dokumentiert werden. Die EU-Kommission hat von der obersten Justizbehörde eine Liste mit Ersuchen erhalten, darunter die Bereitstellung von Ermittler:innen, Kriminaltechniker:innen, Ausrüstung für die sichere Aufbewahrung von Beweismitteln sowie sichere Kommunikationsmittel. Weitere Mittel erhält die Ukraine über den Krisenreaktionsmechanismus der EU.
2014 hat der Auswärtige Dienst eine beratende Mission zur Reform von Polizei, Justiz und Geheimdiensten in der Ukraine installiert. Für die Untersuchung von Kriegsverbrechen und zur Strafverfolgung hat der Rat das Mandat dieser EUAM Ukraine im April geändert. Davon umfasst sind Beratungen und Schulungen für die ukrainischen Justizbehörden sowie die gewünschte Überlassung von Ausrüstung. Weitere Schulungen erfolgen durch das bei Eurojust angesiedelte „Genozid-Netz“, für das jedes EU-Land eine nationale Anlaufstelle für den Austausch von Informationen eingerichtet hat.
Einigung mit EU-Parlament
Der heute gefasste Standpunkt des Rates wird nun mit dem Europäischen Parlament beraten. Eine Einigung soll in den kommenden Wochen erfolgen, damit die Verordnung wie geplant nach acht Wochen in Kraft treten kann.
Allerdings könnte die von einigen Mitgliedstaaten favorisierte Aufnahme des Verbrechens der Aggression in die Verordnung deren schnelle Verabschiedung gefährden. Dabei handelt es sich um einen vergleichsweise jungen Straftatbestand, der noch mit keinem Wort in einer der früheren Eurojust-Verordnungen erwähnt ist. Einer entsprechenden Erweiterung müsste deshalb eine politische Debatte vorausgehen.
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