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Neue Vorschrift: US-Behörden verlangen Zugriff auf biometrische Daten in 40 Ländern

Ein Monitor, auf dem die ESTA-Seite aufgerufen ist. Daneben ein Reisepass.
Im Programm für visafreies Reisen muss bereits ein ESTA-Anmeldeformular ausgefüllt und ein biometrischer Reisepass mitgeführt werden. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Rüdiger Wölk

Im Rahmen des Visa Waiver Program (VWP) ermöglicht die US-Regierung Staatsangehörigen von 40 Ländern eine visafreie Einreise. 2008 wurde das Programm um die Vorschrift ergänzt, vorher eine Anmeldung (Electronic System for Travel Authorization – ESTA) auszufüllen und darin den Zweck und das Ziel der Reise anzugeben. Auch einen biometrischen Reisepass müssen die Reisenden mitführen.

Nun soll das Programm um eine heikle Vorschrift ergänzt werden. Wie das deutsche Innenministerium bestätigte, hat die US-Botschaft hierzu ein Schreiben an die Bundesregierung geschickt. Demnach wollen US-Behörden in einer Verstärkten Partnerschaft für Grenzsicherheit (Enhanced Border Security Partnership) Zugriff auf in den Partnerstaaten gespeicherte biometrische Daten „unter anderem von Reisenden“.

Schreiben auch an die Schweiz

Auch die Schweiz hat „über die üblichen diplomatischen Kanäle“ eine solche Demarche erhalten, antwortet das Außenministerium auf Anfrage von netzpolitik.org. Diese beinhaltete „den automatischen gegenseitigen Austausch biometrischer Daten aller Reisenden, die aus VWP-Ländern in die USA einreisen“. Es liegt also nahe, dass der Brief an alle Teilnehmer:innen des Programms zum visafreien Reisen verschickt wurde.

Auf Nachfrage bekräftigt das Schweizer Außenministerium, dass zunächst keine Angaben über die Art der biometrischen Daten im Rahmen der Verstärkten Partnerschaft für Grenzsicherheit gemacht werden. Der Austausch könnte also nicht nur Fingerabdrücke, sondern auch Gesichtsbilder oder sogar DNA-Daten umfassen. Auch die Bundesregierung hatte sich derart vage zu den Datenquellen geäußert.

Deutsche Fingerabdrücke und Gesichtsbilder zu 5,5 Millionen Personen

Es ist unklar, welche Datenbanken eine Abfrage in Deutschland betreffen würde. Ein Zugriff auf Register der Einwohnermeldeämter durch einen Drittstaat würde eine Gesetzesänderung erfordern, die absehbar keine Zustimmung im Bundestag finden dürfte.

Zur Strafverfolgung werden biometrische Daten deutscher Staatsangehöriger in der INPOL-Datei gespeichert, dort liegen derzeit durchsuchbare Gesichtsbilder zu 3,6 Millionen Personen, davon stammen 2,2 Millionen von Asylsuchenden aus dem Ausländerzentralregister. In einem Automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungs-System (AFIS) liegen daktyloskopische Daten von weiteren 5,5 Millionen Menschen, die meisten dürften sich mit den Gesichtern in der INPOL-Datei doppeln.

Die beiden beim Bundeskriminalamt für alle deutschen Polizeibehörden zentral geführten Dateien erlauben die Nutzung zu Identifikationszwecken, also zum Vergleich einer angetroffenen Person mit auf Vorrat gespeicherten biometrischen Daten. Für die Grenzkontrolle wären sie demnach nutzbar.

Gemeinsame Antwort aus Brüssel

Der französische Ratsvorsitz will nun im Namen aller EU-Mitgliedstaaten auf das US-Schreiben antworten. Auch die Schweiz als Schengen-Mitglied steht dazu „im Austausch mit der EU und ihren Mitgliedsstaaten“, bestätigt das Außenministerium. Ziel sei, gemeinsam „der US-Seite eine kohärente Antwort [zu] geben“. Zum jetzigen Zeitpunkt verfüge die Schweiz aber noch über zu wenig Informationen über die neue Vorschrift. Auch die Bundesregierung will sich hierzu noch um Klärung bemühen.

Die gemeinsame Reaktion aus der EU birgt aber die Gefahr, dass die Regierung in Washington dies als Einladung zum Zugriff auf EU-Systeme interpretiert. Dies würde die in Rede stehende Datenmenge beträchtlich erhöhen.

Alle Schengen-Staaten betreiben etwa das gemeinsame Visum-Informationssystem (VIS) mit derzeit 55 Millionen Fingerabdrücken. Die ebenfalls von allen Schengen-Mitgliedern geführte Eurodac-Datei enthält weitere 6,5 Millionen Fingerabdrücke von Asylsuchenden. Daten beider Systeme dürfen zur Identifizierung von Personen genutzt werden. Allerdings sind darin keine biometrischen Daten von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten gespeichert.

Inkrafttreten ab 2027

Anders ist dies bei dem Datentausch auf Basis der Prüm-Beschlüsse von 2008. Darüber erlauben sich alle Schengen-Staaten die polizeiliche Abfrage von Fingerabdrücken, DNA-Daten sowie Kraftfahrzeug- und Halterdaten. Derzeit wird das System auf Gesichtsbilder ausgeweitet.

Nach dem Brexit bleibt auch Großbritannien Teil des Prüm-Systems, es handelt sich dabei um die erste und bislang einzige Ausnahme für einen Drittstaat. Es ist deshalb denkbar, auch die USA an das Prüm-Netzwerk anzuschließen. Für Identifikationszwecke ist das System aber nicht zu gebrauchen, denn auch die Schengen-Staaten haben bei einem Treffer anfangs keinen Vollzugriff auf die dort gespeicherten biometrischen Daten, sondern müssen hierzu zunächst eine Begründung einreichen. Für die Grenzkontrolle wäre dies zu zeitraubend.

Nach dem Schreiben aus Brüssel soll die US-Regierung konkretisieren, welche biometrischen Daten für welchen Zweck abgefragt werden sollen. Dann können die Mitgliedstaaten entweder selbst darauf antworten oder die EU-Kommission damit beauftragen. Zeit für etwaige Gesetzesänderungen zum Zugriff auf EU-Systeme bleibt genug. Die neue Vorschrift soll laut dem Schweizer Außenministerium „voraussichtlich ab 2027 in Kraft treten“.


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