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Netzsperre für Pornoseite: xHamster führt Medienaufsicht vor

Ein Loch im Zaun, ein "Zutritt verboten"-Schild, das Logo von xHamster
Netzsperren sind löchrig. – Zaun: Pixabay/ jplenio; Schild: pxhere/ CC0; Screenshot: xhamster.com; Bearbeitung: netzpolitik.org

Für eine kurze Weile ließ sich Deutschlands meistbesuchte Pornoseite nicht auf dem gewohnten Weg abrufen. Wer am 10. März „xhamster.com“ im Browser eintippte, bekam etwa über Anschlüsse von 1&1 und Telefónica keine Pornos zu sehen. Doch noch am selben Tag war xhamster.com wieder da.

Hintergrund ist ein inzwischen seit Jahren andauerndes Ringen zwischen Deutschlands meistbesuchter Pornoseite und der zuständigen Medienaufsicht. Die Medienaufsicht will, dass xHamster bei allen Nutzer:innen das Alter überprüft – etwa, indem sie ihren Personalausweis vorlegen. Das soll Minderjährige am Pornokonsum hindern. Aber xHamster will da nicht mitmachen. Am Ende eines zähen Verwaltungsverfahrens stand die angeordnete Netzsperre.

Am 3. März hat sich die Medienaufsicht noch für den Erfolg gefeiert. „Wir haben heute bewiesen, dass wir den Schutz von Kindern durchsetzen, unabhängig davon, wie aufwändig es ist“, sagte Tobias Schmid, Direktor der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen in einer Pressemitteilung. Inzwischen ist klar: Das hat nicht geklappt.

Die Medienaufsicht hatte den deutschen Internetprovidern eine Sperrverfügung ausgestellt. Das ist die verbindliche Aufforderung, eine Domain für die eigenen Kund:innen zu sperren. Am 10. März hatten einige Provider das bereits umgesetzt. Das Problem: Die Sperrverfügung betraf nicht etwa die Domain „xhamster.com“, sondern „de.xhamster.com“.

Subdomain geändert – Medienaufsicht ausmanövriert

Der Zusatz „de“ ist eine sogenannte Subdomain. Betreiber:innen können damit ihre Websites strukturieren. Bislang hat xHamster die Subdomain „de“ für den deutschsprachigen Markt genutzt. Offenkundig als Reaktion auf die Netzsperre hat xHamster die Subdomain kurzerhand geändert: Aus „de“ wurde „deu“. Das war so nicht in der Sperrverfügung vorgesehen. Jetzt ist xHamster.com wieder erreichbar.

Auf Anfrage von netzpolitik.org schreibt eine Sprecherin der Medienaufsicht: „Diese Entwicklung ist in Anbetracht des bisherigen Verhaltens der Anbieterin wenig überraschend. Auch um dieses Angebot werden wir uns kümmern – wir sind da sehr zäh.“ Auf unsere Rückfrage, wie lange ein erneutes Verwaltungsverfahren nun dauere, haben wir keine schriftliche Antwort erhalten.

Unabhängig davon lässt sich xHamster nach wie vor unter xhamster2.com und weiteren Alternativdomains aufrufen. Netzsperren – das war schon vorher klar – sind bei der aktuellen Rechtslage ein Katz-und-Maus-Spiel. Die Schlagzeilen vieler Nachrichtenmedien wie etwa der Süddeutschen Zeitung („Aus für Pornoportal„) waren voreilig.

Eine Lachnummer sind Netzsperren aber trotzdem nicht. In autoritären Staaten werden sie als Zensurinstrument missbraucht. Sie haben eine Signalwirkung. Zuletzt haben Bundestagsabgeordnete von FDP, SPD und Grünen Netzsperren gegenüber netzpolitik.org kritisiert – auch wenn alle drei das Mittel in der aktuellen Situation für den Jugendschutz in Ordnung finden.

Provider planen Rechtsmittel, weitere Verfahren stocken

Einige Provider wollen sich nun juristisch gegen die Netzsperren wehren. Ein Sprecher von Telefónica schreibt netzpolitik.org: „Nach aktuellem Stand planen wir Rechtsmittel einzulegen, um eine grundsätzliche rechtliche Klarheit bezüglich dieser Netzsperre herzustellen.“ Der Provider PŸUR teilt mit: „Wir werden gegen den Bescheid Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin erheben und die Rechtmäßigkeit prüfen lassen“.

Vodafone behalte sich eine gerichtliche Prüfung vor, 1&1 will noch keine Entscheidung getroffen haben. Ein Sprecher der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen schreibt: „Es ist das gute Recht der Provider, behördliche Verfügungen gerichtlich prüfen zu lassen – dies ist Teil des Rechtsstaatsprinzips.“

Die Medienaufsicht geht auch bereits gegen weitere Pornoplattformen vor. Die Verfahren sind aber weniger weit fortgeschritten. Pornhub, YouPorn und mydirtyhobby – drei Angebote des Konzerns Mindgeek – hatten sich vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf gewehrt und eine Niederlage eingesteckt. Inzwischen haben sie laut Medienaufsicht aber Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht NRW eingelegt. Die zähen Verwaltungsverfahren gehen also weiter. Medienaufsicht: „Zu diesem Zeitpunkt stehen Sperrverfügungen zu diesen betroffenen Angeboten gegenüber Access-Providern demnach nicht zur Diskussion.“

Anwalt: „große Verwunderung“ bei Anbietern

Der Düsseldorfer Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Daniel Kötz sieht Netzsperren für Pornoseiten kritisch und argumentiert mit dem Grundgesetz. Zur Meinungsfreiheit gehöre das Recht, sich aus öffentlich zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. „Ob das Nachrichten sind oder Pornographie, Kunst oder Bastelanleitungen spielt überhaupt keine Rolle“, schreibt Kötz an netzpolitik.org.

Der Staat habe zwar auch die Pflicht, Kinder und Jugendliche zu schützen. Aber „mit etwas technischem Geschick“ ließe sich jede Sperre umgehen. Es gebe Hunderttausende Pornoseiten, und Kinder und Jugendliche würden vorwiegend über WhatsApp-Gruppen und Programme wie Discord kommunizieren, so Kötz.

Auf WhatsApp und Discord verbreitete Inhalte sind nicht offen im Netz recherchierbar; mit Netzsperren lässt sich dagegen nichts machen. Die Medienaufsicht legt einen Fokus auf Pornoseiten und verlangt von ihnen umfassende Alterskontrollen. Zu den offiziell empfohlenen Systemen gehören neben Ausweisüberprüfungen auch biometrische Gesichtscans. Wenn Pornoseiten das nicht umsetzen, bekommen sie möglicherweise Post aus Deutschland – egal, in welchem Land sie ihren Sitz haben.

„Es führt bei meiner (internationalen) Mandantschaft immer wieder zu großer Verwunderung, wenn sie von deutschen Behörden angeschrieben werden“, schreibt Daniel Kötz an netzpolitik.org. Um welche Mandanten es sich handelt, erwähnt er nicht. Im Netz ist aber nachzulesen, dass Kötz Urheberrechtsbeauftragter für die meistbesuchte Pornoseite der Welt ist – XVideos.com.

Sexarbeiterin: „kaum noch möglich, Sichtbarkeit zu erlangen“

Alternative Konzepte, um Jugendliche vor negativen Erfahrungen durch Pornografie zu schützen, gibt es seit Jahren. Beispielsweise Jugendschutzprogramme, die Eltern auf den Geräten ihres Nachwuchses installieren. Eine weitere Rolle spielt Erziehung, wie man mit Pornografie und Sexualität umgeht. Auch die Medienaufsicht pocht auf Medienkompetenz, hält das allein aber nicht für ausreichend. Sie müsse durch „mediale Schutzräume“ ergänzt werden – gemeint sind hier wohl Netzsperren.

Bei der Debatte um Sperren für pornografische Inhalte wird häufig eine Personengruppe vergessen, die im Internet einfach ihrem Beruf nachgehen möchte. Sexarbeiter:innen werden online wie offline stigmatisiert. Gegenüber netzpolitik.org erklärt eine Domina: „Das schlimme ist, dass es für die meisten von uns kaum noch möglich ist, hinreichend Sichtbarkeit zu erlangen um auf unsere Dienstleistungen aufmerksam zu machen“. Grund dafür seien immer strengere Gesetze in Europa und den USA, und nun auch Netzsperren.

Niemand kann Jugendliche vor Pornos schützen

Zuletzt haben wir berichtet, wie Twitter in Deutschland Accounts wegen Pornografie sperrt. Twitter kann das tun, wenn die Medienaufsicht das im Namen des Jugendschutzes verlangt. Die Medienaufsicht durchforstet dabei aber nicht ganz Twitter, sondern pickt sich einzelne Accounts heraus – unter anderem nach konkreten Hinweisen aus der Bevölkerung, wie ein Sprecher gegenüber netzpolitik.org erklärte. Das ist ein permanentes Risiko für Sexarbeiter:innen, die finanziell von einer Online-Community aus Fans und potentiellen Kund:innen abhängig sind.

„Für uns wird es zunehmend schwieriger, auf Missstände hinzuweisen, da unsere Accounts mehr und mehr von Shadowbanning oder kompletter Löschung betroffen sind“, schreibt die Domina. Shadowbanning bedeutet, dass Plattformen die Auffindbarkeit von Accounts und Inhalten still und heimlich einschränken. Unter anderem deshalb möchte die Domina hier lieber anonym bleiben; ein weiterer Grund sei der Schutz ihres persönlichen Umfelds. Sperrungen im Namen des Jugendschutzes sind also nur ein Aspekt unter vielen, die Sexarbeiter:innen im Netz einschränken.


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