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Neue Geschäftsmodelle: Wie Luca nach der Pandemie weiter Kasse machen kann

Der an Luca beteiligte Rapper Smudo bei einer Präsentation der App. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Steffen Schellhorn

Bis Ende Februar müssen sich die Bundesländer entscheiden, ob sie den Vertrag mit der umstrittenen Luca-App kündigen oder den Dienst ein weiteres Jahr nutzen wollen. Die Einführung der privaten Kontaktverfolgungs-App war von Sicherheitslücken und Pannen begleitet. Zuletzt zeichnete sich ab, dass die Gesundheitsämter gar nicht mehr in der Lage sind, die App sinnvoll zu nutzen. Das große Bundesland Bayern hat Luca in den letzten 14 Tagen gar nicht mehr zur Kontaktverfolgung eingesetzt. Zahl der abgefragten Kontakte in diesem Zeitraum: 0.

Vollkommen offen ist derzeit, wie es mit Luca weitergeht – und auch, was die Betreiber im Falle einer Nichtverlängerung mit der App machen werden. Schon seit Längerem denken sie mal laut und mal leise über Geschäftsfelder abseits der Pandemiebekämpfung nach. Die Möglichkeit zur Kommerzialisierung nach der Pandemie wird in einem bekannt gewordenen Kooperationsvertrag explizit offen gehalten.

Schon heute Millionen wert

Nach Unternehmensangaben haben 40 Millionen Menschen in Deutschland die Luca-App installiert. Damit gehört die App zu den größtem im Land überhaupt und konkurriert mit Schwergewichten wie WhatsApp, Instagram oder TikTok. Während andere Firmen Millionenbeträge ausgeben, um sich eine solche Nutzer:innenbasis aufzubauen, hatte Luca das Glück, dass die Nutzung durch staatliche Verordnungen den Bürger:innen gleichsam auferlegt wurde. Und nicht nur das: Der Staat zahlte sogar mehr als 20 Millionen Euro dafür, dass Luca genutzt wird

Start-up-Investor Ralf Rottmann sagt gegenüber netzpolitik.org, dass jede Installation von Luca unter normalen Umständen mindestens 1,30 bis 1,50 Euro kosten würde, bei iPhones sogar deutlich mehr. Konservativ gerechnet hätte die Nutzerbasis von Luca andere Unternehmen also zwischen 52 bis 60 Millionen Euro gekostet. Mindestens. Im Fall von Luca zahlten die Bundesländer diesen Preis, nun profitiert das Unternehmen rund um Smudo & Co, das die Nutzer:innen weiter monetarisieren kann.

„Der Staat macht solchen Apps kaum Einschränkungen“

Luca hat eine gute Basis, um in neue Geschäftsfelder vorzudringen. Von den Verträgen, welche die Bundesländer mit den Luca-Betreibern geschlossen haben, ist nur einer durch eine Informationsfreiheitsanfrage in geschwärzter Form öffentlich geworden. In diesem Vertrag mit Schleswig-Holstein steht, dass die Betreiberfirma culture4life die App während der Vertragslaufzeit zur Pandemiebekämpfung zur Verfügung stellt. Weiter heißt es aber auch:

Das Recht von culture4life, die Software außerhalb des Einsatzgebietes ggf. nach eigenem Ermessen zu kommerzialisieren, bleibt unberührt.

Nach der Pandemie oder nach dem Auslaufen der Verträge könnte demnach eine Weiterverwendung der App für andere Zwecke und Geschäftsmodelle erlaubt sein. Auf Nachfrage von netzpolitik.org wollten die Luca-Betreiber sich dazu nicht äußern.

Das kritisiert Professor Claus Wendt, der sich an der Universität Siegen mit Gesundheitssystemen beschäftigt: „Während wichtige Projekte wie die elektronische Gesundheitsakte nicht vorankommen, können Firmen in der Pandemie vorpreschen und der Staat macht solchen Apps völlig naiv kaum Einschränkungen.“ Laut Wendt sollte der Staat wichtige IT-Infrastukturen im Gesundheitsbereich selbst in der Hand halten, um sensible Gesundheitsdaten bestmöglich zu schützen.

„Keine Wirkung mehr“

Wie es mit Luca weitergeht, ist derzeit unklar. Das Ende der Pandemie ist noch nicht in Sicht, die Omikron-Welle steht bevor. Doch schon jetzt sieht es für die Luca-App nicht rosig aus, denn die Bundesländer nutzen die App inzwischen kaum bis gar nicht mehr, wie unsere Recherchen ergeben haben.

Damit sei die Luca-App „technologisch tot“, konstatiert die IT-Expertin Bianca Kastl, sie habe „keine Wirkung“ mehr, weil die Gesundheitsämter die massenhafte Kontaktverfolgung aufgegeben haben. Symptomatisch dafür: Das bevölkerungsreiche Bayern hat in den letzten 14 Tagen kein einziges Mal bei Luca Daten abgefragt, wie das Gesundheitsministerium des Landes gegenüber netzpolitik.org bestätigt. Der Nutzen der App ist damit fraglich.

Auf die Frage, wie die Luca-App exakt dieses Problem lösen wolle, antwortet das Unternehmen, dass Luca den „Gesundheitsämtern eine funktionierende Kontaktnachverfolgung auch in Zeiten sehr hoher Inzidenzen“ ermögliche. Nur dass die eben kaum noch genutzt wird, wie die Beobachtung der Luca-Schnittstelle zeigt.

PR-Offensive mit Lobbyagentur

In den nächsten Wochen müssen die Bundesländer entscheiden, ob sie die Verträge mit Luca verlängern. Die Betreiber gehen offenbar in die PR-Offensive. Ein Journalist berichtet von einem Interviewangebot, in der „Welt“ erscheint ein Gastkommentar von Luca-Chef Patrick Hennig, der recht unverhohlen das eigene Produkt bewirbt und gegen den Datenschutz wettert.

In Sachen PR arbeiten die Luca-Betreiber mit der weltweit agierenden Agentur Finsbury Glover Hering zusammen, die auf Krisen-PR und Public Affairs spezialisiert ist. Public Affairs ist die strategische, kommunikative Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse, auch Lobbyarbeit genannt.

Für die Lobbyagentur ist auch der frühere Staatssekretär im Gesundheitsministerium Lutz Stroppe tätig, der jüngst auf Twitter mehrere Artikel verbreitete, die sich positiv auf Luca bezogen. Die Betreiber der App bestätigen gegenüber netzpolitik.org, dass sie „bereits seit August 2021 externe Unterstützung durch die Kommunikationsberatung Finsbury Glover Hering“ bekommen.

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„Gold wert“

Ob der Bund, wie ursprünglich angekündigt, die Kosten für die App-Lizenz übernehmen wird, ist laut Bundesgesundheitsministerium nach wie vor offen. Im schlimmsten Fall könnten die Ländern auf den Kosten sitzen bleiben. Bundesländer wie Brandenburg denken über einen Ausstieg aus Luca nach, andere Länder könnten wegen des geringen Nutzens nachziehen.

Was würde dann mit Luca passieren? Die Betreiber sinnieren schon seit geraumer Zeit über eine andere Zukunft. In einem Artikel auf Welt.de heißt es:

Womöglich hat Luca eine andere Zukunft. Ein Ende der Lizenzen muss nicht heißen, dass Millionen von Nutzern ab April eine überflüssige App auf ihren Geräten haben. Denn mit Millionen von Menschen direkt via Smartphone zu kommunizieren sei Gold wert, sagte CEO Hennig unlängst. Schon jetzt sei Luca die größte Kommunikationsplattform zwischen Ämtern und Bürgern.

Auch in einem Podcast mit der FAZ spricht Luca-Chef Patrick Hennig von Infrastruktur zwischen Bürger:innen und digitaler Verwaltung sowie von einem Rückkanal zu den Bürgern. Wie es mit der App weitergehe, werde man im Frühjahr sehen. Auf Nachfrage dazu sagen die Luca-Betreiber: „Konkrete Planungen zu weiteren Funktionen für die Kommunikation zwischen Bürger:innen und weiteren Behörden gibt es derzeit nicht.“

Erste Änderungen für einen Weiterbetrieb unter anderen Vorzeichen hat Luca allerdings schon eingeläutet. So können die an die App angeschlossenen mehr als 420.000 Orte seit Dezember auch Speisekarten im Angebot verlinken. Luca-Vertreter Hennig sagt, dass man damit Restaurants unterstützen wolle und die Speisekarte „kontaktfreier“ gestalten wolle. Gegenüber netzpolitik.org sagt das Unternehmen, dass man hier auf die Wünsche der Betreiber:innen, also der Locations, eingegangen sei.

In einer Präsentation sprechen die Betreiber offen über mögliche Zukunftspläne. - Alle Rechte vorbehalten Auszug Präsentation Luca-App

Ticketsysteme und Großveranstaltungen

Schon in einer früheren Präsentation von Luca, die durch eine Informationsfreiheitsanfrage im April 2021 öffentlich wurde, wird im Teil „Ausblick/Vision“ davon gesprochen, dass Luca auch nach der Pandemie Nutzern, Betreibern und Gesundheitsämtern einen Mehrwert bringen könne.

Luca solle sich als offener Standard etablieren und könne mit anderen Bereichen und Business-Modellen verbunden werden. Unter anderem nennt die Präsentation Ticketsysteme und Großveranstaltungen als mögliche Features.

Derzeit ist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Nutzung der App zur Kontaktverfolgung festgeschrieben. Dort steht aber auch, dass Luca die Nutzungsbedingungen jederzeit ändern kann. 

Diese Punkte und die Klausel in dem öffentlich gewordenen Vertrag weisen darauf hin, dass die Luca-Betreiber ihr Modell öffnen könnten: weg von der staatlich verordneten Corona-App hin zu einer privaten Veranstaltungs- und Gastro-App oder einem ganz anderen Geschäftsmodell. Die Macher hätten den Vorteil, dass die App schon auf Millionen von Smartphones in Deutschland installiert ist. Ein klarer Wettbewerbsvorteil in einem Markt, auf dem andere viel Geld für eine vergleichbare Nutzer:innenzahl ausgeben müssen.

Luca schließt Nutzung für andere Zwecke nicht aus

Wir haben bei den Luca-Betreibern zweimal nachgefragt, ob sie ausschließen, dass die App in Zukunft auch für andere Zwecke als die Bekämpfung der Corona-Pandemie eingesetzt wird, etwa als Gastro- und Event-App. Luca antwortete zunächst auf alle Fragen mit einem gesammelten Statement, das sich nur in Teilen auf die Fragen bezog. Auch auf konkrete Rückfragen hin schloss das Unternehmen andere Zwecke nicht aus, sondern antwortete ausweichend, dass man die Gastronomie unterstütze und stets auf die Wünsche von Betreiber:innen reagiert habe.

Einfach umstellen auf ein anderes Geschäftsmodell können die Luca-Macher allerdings nicht. Bei einer anderen Verwendung der Daten der Nutzer:innen müssen diese laut der Datenschutzregeln der EU ihr Einverständnis zu neuen Einsatzzwecken und Geschäftsmodellen geben. 

Für den Start-up-Kenner Rottmann ist klar: „Genau deshalb gehören solche Apps entweder streng aus dem privatwirtschaftlichen Raum heraus, oder es müssen transparente, offene und klare Verträge her, die unter anderem regeln, was ’nach der Pandemie‘ mit den angefallenen Daten passiert und auch mit der App selbst.“

Dennoch hätten die Nutzer:innen eine Wahl, sagt Rottmann: Sie könnten Luca einfach deinstallieren. Die Corona-Warn-App reiche vollkommen aus. „Wenn Millionen Menschen die App konsequent von ihren Smartphones verbannen, fehlen Luca einfach starke Argumente im Vertrieb eines neuen Geschäftsmodells.“

Im Frühjahr wird sich also zeigen, was aus Luca werden wird.


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