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Digitale-Dienste-Gesetz: Wie die Datenindustrie ein Verbot von Überwachungswerbung verhinderte

Kollage: lächelnder Mark Zuckerg und diskutierende Sundar Pichai vor leerem Plenarsaal des EU-Parlaments
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Google-Chef Sundar-Pichai müssen nach dem Willen des EU-Parlaments zwar Einschränkungen von Überwachungswerbung hinnehmen, aber kein Verbot – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / photothek, IMAGO / ZUMA Wire, unsplash / Frederic Köberl (Bearbeitung: netzpolitik.org)

Damit hatten die Abgeordneten wohl selbst kaum noch gerechnet: Das Europäische Parlament hat heute über seine Position zum Digital Services Act abgestimmt und dabei mehrere Änderungsanträge der Tracking-Free Ads Coalition angenommen. Geht es nach dem EU-Parlament, soll die derzeitige Praxis von verhaltensbasierter Online-Werbung und invasivem Online-Tracking erheblich eingeschränkt werden.

Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz und dem flankierenden Digitale-Märkte-Gesetz will die Europäische Union die Macht großer Plattformen wie Facebook und YouTube demokratisch einhegen. Das Parlament greift dabei viele Vorschläge auf, die Wissenschaft und Zivilgesellschaft seit langem einbringen. So sollen etwa Social-Media-Nutzer:innen mehr Entscheidungshoheit über die eigene Timeline erhalten. Forscher:innen sollen mehr Zugang zu den Daten der Plattformkonzerne kriegen, um deren Funktion und Wirkung unabhängig untersuchen zu können. Außerdem gibt es Maßnahmen gegen manipulatives Design, sogenannte Dark Patterns, mit denen Plattformen das Verhalten ihrer Nutzer:innen steuern.

Nach monatelangen Verhandlungen sah es lange Zeit so aus, als würden die Abgeordneten jedoch eine Dauerbaustelle gar nicht angehen wollen: Das Problem der verhaltensbasierten Online-Werbung und des damit verbundenen Online-Trackings. Seit Jahren stehen dieses Geschäftsmodell und der Datenhunger der Online-Werbebranche in der Kritik. Eine parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten, die Tracking-Free Ads Coalition, hatte sich deshalb für ein Verbot eingesetzt.

Besser als gar nichts, aber weniger als ein Verbot

In der heute beschlossenen Position spricht sich das Parlament für eine deutliche Einschränkung des Geschäftsmodells aus. Konkret sollen für Online-Werbung künftig keine Daten von Minderjährigen und keine sensiblen Informationen wie solche über politische Überzeugungen oder sexuelle Orientierung genutzt werden dürfen. Außerdem sollen Online-Plattformen ihre Nutzer:innen umfassend über die Datennutzung und -monetarisierung informieren müssen. Sollten Nutzer:innen die Einwilligung in ihre Datennutzung verweigern, dürfe dies nicht dazu führen, dass sie den Dienst nicht mehr benutzen können. Die Ablehnung dürfe zudem nicht unnötig kompliziert gemacht werden, forderten die Abgeordneten in Änderungsanträgen.

Das ist am Ende deutlich weniger als das gänzliche Verbot der Überwachungswerbung. Dass es überhaupt noch dazu kam, feiern die Abgeordneten angesichts des massiven Lobbyings der Datenindustrie gegen ihren Vorschlag dennoch als Erfolg.

Erst am Dienstag hatte die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) in einer ausführlichen Analyse nachgezeichnet, mit welcher Macht die Datenindustrie im EU-Parlament gegen eine strengere Regulierung der Werbepraxis lobbyiert hatte.

In dem Jahr nach der Veröffentlichung des Verordnungsvorschlages durch die Kommission Ende 2020 habe es mindestens 613 Gespräche von Abgeordneten mit Interessenvertreter:innen gegeben, bei denen zumindest am Rande über das Thema des Trackingverbots gesprochen wurde. Die tatsächliche Zahl der Treffen dürfte laut CEO jedoch deutlich höher liegen. Die Liste der Lobby-Kontakte sei unvollständig, weil mehrere einflussreiche konservative und rechtsradikale Abgeordnete die Auskunft verweigerten.

Zivilgesellschaft in der Unterzahl

Lobby-Spitzenreiter sind wenig überraschend die vier großen Technologiekonzerne Google (23 Treffen), Facebook (16 Treffen), Amazon (15 Treffen) und Microsoft (zwölf Treffen). Mit jeweils zehn Treffen landen zwar auch die Nichtregierungsorganisationen Hate Aid und European Digital Rights weit vorne im Ranking, insgesamt sei die Zivilgesellschaft jedoch deutlich in der Unterzahl gewesen, ergibt die Auswertung.

Die Datenkonzerne würde es gut verstehen, eine Vielzahl anderer Organisationen für sich lobbyieren zu lassen, bei denen nicht immer sofort erkennbar ist, in wessen Interesse und mit wessen Finanzierung sie auftreten, so CEO. Neben der offenen Vertretung von Big-Tech-Interessen durch mehrere Organisationen wie den Werbebranchenverband IAB oder die Computer & Communication Industry Association (CCIA) machten die Transparenzwächter:innen des Corporate Europe Observatory Schatten-Lobbying aus.

Eine Kampagne gegen das Verbot überwachungsbasierter Werbung habe unter anderem der Verband „Allied for Startups“ gefahren, der zuvor Mittel von einer Initiative erhalten habe, die von Google, Facebook und Amazon finanziert werde, so CEO. Ein anderer vermeintlicher StartUp-Verband – „Targeting Startups“ – ist dem Bericht zufolge ausschließlich zu dem Zweck gegründet worden und bestehe überwiegend aus Organisationen wie IAB und CCIA, die ohnehin schon gegen das Vorhaben lobbyierten.

Wie immer bei der Abwehr von Regeln für Online-Werbung konnten sich die Tech-Konzerne aus den USA zudem auf die Unterstützung von europäischen Medienunternehmen und Presseverbänden wie dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger verlassen. Bereits bei der Verzögerung der lange erwarteten ePrivacy-Verordnung, mit der Nutzer:innen mehr Entscheidungshoheit über Online-Tracking hätten erhalten sollen, haben diese ungewöhnlichen Partner erfolgreich an einem Strang gezogen.

Erfolgreiche Verwässerung

Überwachungsbasierte Online-Werbung ist aus verschiedenen Gründen seit Jahren heftig in der Kritik. Die dafür notwendige umfangreiche Datensammlung ermögliche Manipulation und Diskriminierung, lautet ein Kritikpunkt. Immer wieder sorgen Medienrecherchen für Aufsehen, die diese Gefahren belegen, von Cambridge Analytica über Trumps datengetriebener Demobilisierungskampagne gegen Schwarze US-Bürger:innen bis hin zu gezielten Facebook-Anzeigen für Minderjährige, die sich für Alkohol und Gewichtsverlust interessieren.

Das überwachungskapitalistische Geschäftsmodell hat zudem bei vielen Plattformen dazu geführt, dass sie alles dafür tun, die vermarktbare Aufmerksamkeit ihrer Nutzer:innen zu maximieren. Wie die Facebook Papers zeigen, hatte dies bei dem Konzern beispielsweise zur Folge, dass seine Algorithmen besonders emotionalisierende und polarisierende Inhalte gefördert haben – obwohl diese laut internen Studien häufiger Desinformation und Hassrede enthielten.

Die Tracking-Free Ads Coalition macht zudem deutlich, dass von dem datenintensiven Ad-Tech-System besonders Mittelsleute wie Facebook und Google profitieren, während bei Medien kaum noch Werbegeld hängen bleibt. Für ein Verbot von Überwachungswerbung und invasivem Tracking gibt es also viele Argumente. Der CEO-Bericht zeigt nun, wie die Idee im Zuge des Lobbyings im Parlament nach und nach verwässert wurde.

Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte sich unter den Abgeordneten eine Mehrheit dafür finden. Die Tracking-Free Ads Coalition hatte sich zu Beginn der Verhandlungen um den DSA formiert und die zivilgesellschaftliche Forderung aufgegriffen. Auch die Chefunterhändlerin des Parlaments, die niederländische Sozialdemokratin Christel Schaldemose, gehört zu der Gruppe.

In einem ersten unverbindlichen Parlamentsbeschluss im Oktober 2020 diskutierte das Parlament noch die Möglichkeit einer schrittweisen Einschränkung bis zu einem Verbot von verhaltensbasierter Werbung. In Schaldemoses Entwurf für eine Positionierung im Mai 2021 war davon dann schon nicht mehr die Rede, stattdessen sollten Plattformanbieter Targeted Advertising standardmäßig abstellen müssen und erst nach einem expliziten Opt-In anwenden dürfen.

Auch dieser Ansatz schaffte es nicht in den finalen Vorschlag des Binnenmarktausschusses, über den das Parlament jetzt abgestimmt hat. Von der ursprünglichen Idee war nur noch ein paar Transparenzregeln geblieben. Die darüber hinausgehenden Einschränkungen haben es erst heute mit Änderungsanträgen in letzter Minute in den Beschluss geschafft. Zuletzt sah es so aus, als würde das EU-Parlament das umstrittene Geschäftsmodell gar nicht angehen wollen.

Gezielte Werbung für mächtige EU-Journalist:innen

Um ein generelles Verbot abzuwehren, setzte die Datenindustrie nicht nur auf zahlreiche Lobbytreffen mit Abgeordneten, sondern auch auf Öffentlichkeitsarbeit. CEO berichtet unter anderem von einer millionenschweren Print-Anzeigen-Kampagne von Facebook und von – wie sollte es anders sein – Microtargeting-Werbung in Sozialen Medien.

Unter anderem haben dem Report zufolge die Branchenverbände IAB und CCIA sowie Amazon auf Twitter gezielt Menschen mit Werbung zu dem Thema bespielt, die ein ähnliches Profil haben wie einflussreiche Journalist:innen des Politik-Mediums Politico.

Facebook, Google und Co. sei es gelungen, der Debatte um überwachungsbasierte Werbung ein anderes Framing zu verpassen. Statt über ihr eigenes Geschäftsmodell zu sprechen, haben sie angebliche negative Folgen eines Tracking-Verbots für kleine und mittelständische Unternehmen in den Vordergrund gestellt. Diese seien auf verhaltensbasierte Online-Werbung angewiesen, um Kund:innen zu gewinnen.

Auch wenn Amnesty International mit einer Umfrage unter deutschen und französischen Chefs kleinerer Unternehmen zeigen konnte, dass diese selbst für strengere Regulierung von Google und Facebook sind und bloß deshalb ihre Ad-Tech-Infrastruktur nutzen, weil es keine Alternative gebe, sagten mehrere Abgeordnete zu CEO, dass dieses Argument in Brüssel am meisten bewirkt habe.

Das Ringen geht weiter

Verfangen hat das Argument offenbar auch bei Margrethe Vestager. Die mächtige Kommissionsvizepräsidentin, die große Plattformkonzerne rhetorisch zwar oft hart angeht, vor weitergehenden Maßnahmen jedoch in einigen prominenten Fällen zurückgeschreckt ist, sprach sich im September 2021 explizit gegen ein Verbot von überwachungsbasierter Werbung aus.

„Für viele kleinere Unternehmen ist es wirklich wichtig, potenzielle Kund:innen zu finden“, sagte die liberale Politikerin aus Dänemark bei einem Termin im Europäischen Parlament [Minute 17:33]. „Wo ich herkomme, da ist es legitim, Werbung zu machen und da ist es legitim, Menschen zu finden, mit denen man kommunizieren möchte.“ Corporate Europe wertet dies als massiven Rückschlag für die Verbots-Initiative.

Ob Vestager wenigstens mit den heute beschlossenen Regeln für verhaltensbasierte Werbung leben kann, wird entscheidenden Einfluss darauf haben, ob sie am Ende auch Gesetz werden. Denn nach dem heutigen Beschluss muss das EU-Parlament seine Vorstellungen noch im Trilog mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten durchsetzen. In der Vergangenheit traten vor allem letztere bei der Regulierung von Online-Werbung immer wieder auf die Bremse.


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