Tumblr verwandelt sich wohl gerade in ein Teletubbie-Land, zumindest für Nutzer:innen von iOS, dem mobilen Betriebssystem von Apple. In der iOS-App des sozialen Netzwerks liefern derzeit Suchbegriffe zu vielen an sich harmlosen Themen keine Ergebnisse mehr. Schon Ende Dezember hatte die Blogging-Plattform bekannt gemacht, dass iOS-Nutzer:innen künftig auf viele „sensible“ Inhalte verzichten müssten. Ansonsten könnte Tumblr aus dem App Store fliegen.
Der App Store von Apple ist ein Flaschenhals für den Zugang zu Mobilnutzer:innen. Social-Media-Plattformen und andere Dienste wollen dort mit ihren Apps vertreten sein, um mehr als eine Milliarde Menschen auf iPhones und iPads zu erreichen. Das gibt dem Konzern die Macht, strenge Richtlinien durchzusetzen. Dabei hat Apple ein äußerst breites Verständnis davon, welche Inhalte alle nicht OK sind.
In den englischsprachigen Apple-Richtlinien steht: „Apps sollten keine Inhalte enthalten, die beleidigend, unsensibel, verstörend, ekelerregend, geschmacklos oder einfach nur gruselig sind.“ Als Beispiele nennt Apple unter anderem Pornografie und „verunglimpfende religiöse Kommentare“.
Mit den strengen Apple-Regeln hat Tumblr schon mal Probleme bekommen. Im Jahr 2018 wurde die App der Blogging-Plattform aus dem iOS-Kosmos verbannt. Damals war Tumblr noch eine Anlaufstelle für Pornografie und Erotik; angeblich wurden aber auch Aufnahmen von Minderjährigen gezeigt. Erst nachdem Tumblr generell auf sogenannte Erwachseneninhalte verzichtet hatte, konnte die Plattform wieder in den App Store einziehen.
„Sexuelle Aufklärung“ und „Zucker“: Blockiert!
Aber anscheinend war das nicht genug. Für iOS blockiert Tumblr nun noch mehr. Die Plattform gehört inzwischen dem WordPress-Betreiber Automattic. Welche Suchergebnisse Tumblr genau verbannt, gibt die Plattform nicht bekannt. Aber Tumblr-Fans haben Hunderte Suchbegriffe durchprobiert und sammeln ihre Funde in einem Google-Dokument. Angeblich bekommen iOS-Nutzer:innen zu all diesen Begriffen keine Tumblr-Inhalte mehr zu sehen.
Wir haben eine Stichprobe davon in den Tumblr-Apps für iOS und Android durchgetestet. Das Ergebnis: Es gibt tatsächlich eine Reihe von Wörtern, die in der Android-App zwar Ergebnisse erzielen, in der iOS-App aber nicht.
Blockiert sind zum Beispiel die englischen Begriffe für „Fremdenfeindlichkeit“, „sexuelle Aufklärung“ und „psychische Erkrankung“. Das erweckt den Anschein, als sollten generell Themen ausgeblendet werden, die mal etwas ernster geraten. Wer nach diesen Wörtern sucht, bekommt ein Fenster angezeigt, in dem steht: „Dieser Inhalt wurde ausgeblendet, weil er potenziell anzüglich oder anstößig ist.“ Was sollte an psychischen Erkrankungen etwa „anstößig“ sein? Inhalte zu solchen Suchbegriffen könnten diskriminierten oder erkrankten Menschen dabei helfen, Halt und Hilfe zu finden.
Weitere blockierte Begriffe sind für sich genommen harmlos, etwa die englischen Wörter für „Seil“, „Selbstporträt“, „Toilette“ und „Zucker“ sowie „Daddy“ und „Bikini“.
Mit etwas Fantasie lassen sich ihnen jedoch Inhalte zuordnen, die gegen die Richtlinien von Apple verstoßen könnten. Hinter „Seil“ könnten Fetische stecken, hinter „Zucker“ und „Daddy“ sogenannte Sugar-Daddy-Angebote. Dabei lassen sich typischerweise Frauen an zahlende Männer vermitteln, um gemeinsam Zeit zu verbringen; Sex kann dabei eine Rolle spielen, muss aber nicht.
Andererseits sind „Seil“ und „Daddy“ schlicht Begriffe aus der Alltagssprache. Für Tumblr auf iOS sind sie nun gesperrt. All das sind drastische Beispiele für übermäßige Blockierung, bekannt als Overblocking. Die Richtlinien von Apple mögen zwar streng sein – derart streng sind sie aber wirklich nicht.
Das sagt Tumblr zu den blockierten Begriffen
Wir haben die Pressestelle von Tumblr gefragt, was wirklich hinter den extremen Maßnahmen steckt. Möchte Tumblr damit demonstrieren, wie viel Kollateralschaden durch Richtlinien für Inhalte verursacht werden kann? Oder sind die Überprüfungen durch Apple so genau, dass man lieber viel zu viel blockiert als etwas zu übersehen? Wir werden den Artikel updaten, wenn wir Antworten erhalten. Auch Apple haben wir um eine Einschätzung gebeten. Übertreibt oder missversteht Tumblr die Anforderungen, um im App Store bleiben zu dürfen? Der Konzern möchte sich dazu nicht öffentlich äußern.
In einem Blogeintrag schreibt Tumblr auf englisch: „Wir verstehen, dass diese Änderungen für einige von euch sehr frustrierend sein können“. In Zukunft werde es „bedeutsame“ Entwicklungen für sensible Inhalte auf Tumblr geben. Das spräche dafür, dass das aktuelle Overblocking nur eine Zwischenlösung sein könnte. Es gebe aber, heißt es weiter, „keinen genauen Zeitplan“. In einem anderen Blogeintrag schreibt Tumblr, man arbeite an der Liste gesperrter Tags.
Die Anzahl der Menschen in Deutschland, die sowohl die Tumblr-App als auch iOS nutzen, dürfte gering sein. Trotzdem ist der Fall relevant. Er zeigt, welche Macht Apple über die Plattformöffentlichkeit unserer Zeit hat.
Auf rund drei von zehn mobilen Geräten läuft iOS. Dienste und Anwendungen, die diese Menschen erreichen wollen, brauchen den App Store und deshalb auch Apples Segen. Das gilt auch für Online-Plattformen, die zu den einflussreichsten Orten der öffentlichen Meinungsbildung zählen. Regeln zu angeblich sensiblen Inhalten können die Grenzen dessen verschieben, was öffentlich Beachtung findet.
Die Macht des App Stores
Apple spielte wohl auch eine Rolle beim sogenannten Nippelbann auf Instagram. Auf der Fotoplattform von Facebook werden weiblich gelesene Nippel in vielen Zusammenhängen gelöscht. Im Jahr 2015 hat der damalige Instagram-Chef die Richtlinien von Apple dafür verantwortlich gemacht, wie Business Insider berichtete. Instagram setzt die Anti-Nippel-Policy allerdings für alle durch, nicht nur für iOS-Nutzer:innen.
Auch bei Telegram und Discord hat sich Apple schon wirksam in die verfügbaren Inhalte eingemischt. Mit seinen Regeln geht Apple weit über geltende Gesetze hinaus. Eigentlich sind Plattformen wie Tumblr durch das sogenannte Providerprivileg geschützt. Sie sind nicht für alle Inhalte verantwortlich und haftbar, die Menschen posten. Erst wenn sie auf strafbare Inhalte aufmerksam gemacht werden, müssen Plattformen handeln. Um sich an geltendes Recht zu halten, müsste Tumblr also keine Sperren einrichten.
Dennoch kann Apple eigene Regeln durchsetzen. Der Konzern hat die Macht dafür, weil der App Store als zwischengeschaltete Plattform so wichtig für andere Plattformen ist. Zuletzt hat Apple diese Macht etwa Anfang 2020 eingesetzt. Damals verbreiteten fanatische Anhänger:innen des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump Hass und Hetze auf der Plattform Parler. Am 6. Januar wurde das US-Kapitol von solchen Trump-Anhänger:innen gestürmt.
Einem Bericht von Buzzfeed News zufolge war die Reaktion von Apple gegenüber Parler rabiat: Parler hatte demnach nur 24 Stunden, um die eigenen Inhalte besser zu kontrollieren. Offenbar ist das nicht passiert. Parler flog aus dem App Store und war erst im April wieder verfügbar.
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