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Degitalisierung: Der Fortschritt und seine Verklärung

Datenschutz und IT-Sicherheit gelten bei manchen Digitalisierungspropheten als „Verhinderungswaffe“. Dabei sind sie einfach Teil der komplexen und damit manchmal komplizierten Umsetzung, die heute bei jedem digitalen Wandel mitgedacht werden muss, schreibt unsere Kolumnistin.

Symbolbild - Stapel Akten
Symbolbild – Digitalisierungstatus Deutschland CC-BY-NC-SA 4.0 owieole

Jeden Tag steht ein Hahn auf und kräht: „Der Datenschutz ist schuld“. Oder er kräht irgendwas mit „Cyber-Schnick-Schnack-Schnuck„. Und damit guten Morgen zu dieser sonntäglichen Ausgabe von Degitalisierung, einer etwas tiefgründigen.

Es steht nicht gut um den digitalen Fortschritt in Deutschland und irgendwer muss daran ja schuld sein. Es wäre jetzt einfach, einen Abgesang auf einzelne Disziplinen des Problemfelds Digitalisierung anzustimmen und eine nicht gerade kleine Menge von Leuten würde im Kanon mitsingen. Lauthals.

Am Ende dieses Kanons fühlten sich alle immens bestärkt, jetzt endlich mal ins Machen kommen zu können mit dieser Digitalisierung. Befreit von den Ketten des bösen Datenschutzes. Oder den Verschränkungen der IT-Sicherheit. Oder, oder.

Nur wird damit ein wesentlicher Teil des Fortschritts ignoriert, der zeigt, wie weit der digitale Wandel eigentlich bereits gekommen ist. Wie vielschichtig wir mit digitalem Wandel umgehen, weil wir die vielschichtigen Auswirkungen wahrnehmen und diskutieren wollen.

Es ist gut, dass das Umsetzen von Digitalisierung so komplex geworden ist. Es ist schlecht, dass es als so kompliziert wahrgenommen wird.

Komplexität ist gut

Digitaler Wandel geschieht nicht mehr nur in stillen Ecken des Internets in irgendwelchen Foren. Er betrifft uns heute alle gemeinsam als Gesellschaft. Seine vielfältigen Auswirkungen – gute wie schlechte – hängen zusammen und betreffen über kurz oder lang uns alle. Das ist der komplexe Teil der Digitalisierung. Dieser Teil ist für sich bereits äußerst vielschichtig und widersprüchlich.

Der komplizierte Teil aber bleibt die teils undurchsichtige, zähe und mühsame Umsetzung, oft geprägt durch viel typisch deutsche Bürokratie.

Ich wiederhole noch einmal: Die Komplexität ist an sich gut, die wahrgenommene Kompliziertheit aber nicht.

Nur ist diese Erkenntnis nicht bei allen Beteiligten angekommen, die an der digitalen Transformation beteiligt sind. Das liegt auch an dem Trugschluss, aus der jeweils eigenen subjektiven Fachdisziplin heraus die digitale Welt vollends prägen zu wollen. Und damit vermeintlich die Lösung für alle Probleme bei der Umsetzung der Digitalisierung zu haben.

Die Programmierung des Profits

Die Wirtschaft scheint aus ihrer Sicht den Sinn von Digitalisierung bereits klar definiert zu haben: Profitmaximierung. Im Grundsatz definiert sich das ökonomische Prinzip als „wirtschaftliches Handeln unter den Bedingungen knapper Mittel zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele“.

Digitalisierung wird dabei gerne zur höheren Effizienz herangezogen: Weniger Faxe, weniger Porto, schnellere Kommunikation und Transaktionen. So entstehen im Digitalen allerdings häufig lediglich elektrifizierte Prozesse, bei denen der umständliche analoge Grundprozess 1:1 übernommen wird.

Aber nicht nur das. Es geht auch immer mehr um sogenannte Datenräume, deren Ziel im Wesentlichen mehr Profit ist. Solche Datenräume gibt es etwa im Bereich Verkehr wie den Mobility Data Space oder auch länderübergreifend wie den europäischen Gesundheitsdatenraum, der bis 2025 die nationalen Gesundheitssysteme digital verknüpfen soll – vor allem auch zur Forschung.

Digitaler Wandel aus wirtschaftlicher Sicht allein würde aber Teile der Gesellschaft zu reinen Datenlieferant*innen herabstufen und bestehende Machtverhältnisse verfestigen und verstärken. Eine Gestaltung des digitalen Wandels rein aus wirtschaftlichen Interessen würde sich so negativ auf uns alle auswirken.

Schon an der Diskrepanz der Zielsetzungen zeigt sich, dass es zwischen verschiedenen Interessengruppen immer wieder Vermittlung im Sinne der Bürger*innen braucht. Es braucht nachvollziehbare Regeln.

Die Programmierung des Staates

Nun sind Disziplinen wie die Rechts- oder Verwaltungswissenschaften schon seit vielen Jahrhunderten an der Dauerregelung des Staates beteiligt. Man könnte auch sagen: an der Programmierung. Gesetze und Rechtsvorschriften wurden erlassen, um die Regeln für das Zusammenleben in Rechtsform zu fixieren. Gibt es einen Vorfall, der gegen bestimmte Regeln verstößt, dann folgt ein Urteil aufgrund einer bestimmten Rechtsgrundlage.

Bemerkenswert im Kontext Digitalisierung: Gesetze und Verordnungen geben zwar oft implizit digitale Umsetzungen vor, führen aber nicht selten zu umständlichen Umsetzungen – Application design by law führt meist zu schlechten digitalen Anwendungen. Ein Digitalcheck der Gesetzesvorhaben ist dringender als je zuvor in dieser Zeit. Immerhin sucht der mit dieser Aufgabe betraute Normenkontrollrat schon mal Personal dafür.

Spätestens beim jährlichen Ausfüllen der Steuererklärung merken wir als Bürger*innen sehr schnell, dass Rechtsvorschriften in der Praxis nicht so eindeutig sind wie eine programmierte Wenn-Dann-Bedingung. Nicht umsonst gibt es eine ganze Dienstleistungsbranche zur Steuerberatung, die uns die mühsame Tätigkeit der Steuererklärung erleichtern möchte. Denn ein und die selbe Grundlage für eine Steuererklärung kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Je nachdem, wie gut der Kontext steuerlicher Regeln in die eigene Situation hineininterpretiert und begründet wurde, kommen bestimmte Regeln in Frage oder nicht.

Es kommt immer wieder auf den Kontext an. Und eben dieser Kontext lässt die Anwendung von Recht oft wie ein Blackbox-KI-System wirken: Zwei Mal der gleiche Input, zwei Mal ein von außen nicht nachvollziehbarer unterschiedlicher Output. Es kommt halt drauf an, es bleibt ein Ermessensspielraum, auch bei scheinbar klaren Regeln.

Was uns wieder zum Datenschutz bringt. Oder der wahrgenommenen Kompliziertheit seiner Umsetzung.

Wenn Kompliziertheit stört

Vorab: Ich tue mich mit dem Begriff Datenschutz schwer, er ist leicht irreführend. Eigentlich bedeutet es Grundrechteschutz im Kontext persönlicher Daten. Dass das notwendig ist, ist angesichts der Widersprüchlichkeit der Anforderungen von Zivilgesellschaft und Wirtschaft allein bereits ersichtlich. Nun gibt es aber Digitalpropheten, die den Datenschutz als „Verhinderungswaffe“ bezeichnen. Diese Sichtweise ist gefährlich.

Es ist weniger der Grundrechteschutz als solcher, der stört. Es stört die wahrgenommene Kompliziertheit der Umsetzung. So zumindest meine wohlmeinende Interpretation. Alles andere wäre ja skrupellos.

Kompliziertheit aber führt bei Menschen, die sich nicht mit einer Materie beschäftigen wollen, zur Ablehnung. Datenschutz wird so zum Argument gegen Digitales.

Leider torpedieren einige aus diesem ablehnenden Reflex gegen Datenschutz heraus aber auch die für uns alle guten, komplexen Facetten von Datenschutz oder IT-Sicherheit: Die Möglichkeit, digitale Grundrechte bewahren zu können und die Absicherung vor Risiken.

Wir müssen daran arbeiten, dass digitale Umsetzungen weniger kompliziert werden, aber zulassen, dass sie inzwischen komplex geworden sind, was gut ist – für uns alle. Wer leben nicht mehr im Zeitalter des Web 2.0, das die Erstellung digitaler Inhalte vereinfacht hat, scheinbar sorgenfrei. Wir leben bereits im Zeitalter der Konsequenzen unseres eigenen digitalen Fußabdruckes.

Die Digitalisierung ist der Digitalisierung beste Freundin

Digitalisierung hat dabei einen Vorteil, den andere tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen nicht haben: Digitalisierung kann durch den Einsatz von Digitalisierung schneller und einfacher zugänglich gemacht werden.

Um es konkret zu machen: Es gibt es in den Bereichen Datenschutz und IT-Sicherheit viele Orientierungshilfen und technische Richtlinien, die bei genauer Befolgung zu sicheren und datenschutzkonformen Digitalprodukten führen würden. Irgendwie hakt es aber. Die Anleitungen werden zu oft ignoriert. Das kann an der Nutzbarkeit liegen oder am Image von Datenschutz und IT-Sicherheit.

Das ist aber der Kern unseres Problems: Wir brauchen nicht weniger Datenschutz oder weniger IT-Sicherheit, wir brauchen besseren Zugang zu diesen komplexen, dringend notwendigen Themen.

Daran müssen wir arbeiten – alle miteinander, auch wenn es mühsam ist. Denn betroffen vom digitalen Wandel und den möglichen Konsequenzen sind wir letztlich alle.


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