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Polizeigesetz NRW: Eine Woche ohne Anklage in Gewahrsam

Menschen sitzen auf einem Kohlebagger

Am vergangenen Freitag haben Klimaaktivist*innen einen Kohlebagger im Tagebau Garzweiler im rheinischen Braunkohlerevier blockiert, um für einen früheren Kohleausstieg zu protestieren. In Garzweiler will der Energiekonzern RWE noch dieses Jahr das Dorf Lützerath für den Braunkohleabbau abreißen.

Nach der Räumung der Blockade durch die Polizei befinden sich noch immer neun Personen in Gewahrsam – ohne Anklage. Die Begründung dafür ist, dass die Aktivist*innen ihre Personalien nicht freiwillig angeben und „mit der Manipulation ihrer Fingerkuppen“ die Feststellung ihrer Identität unmöglich machen würden.

„Lex Hambi“ ermöglicht langes Gewahrsam

Seit der Einführung des neuen Polizeigesetzes in NRW darf die Polizei im größten Bundesland Personen für bis zu sieben Tage festhalten, um ihren Fingerabdruck zu nehmen. In den meisten Bundesländern geht das nur für zwölf Stunden.

Diese Regelung stand schon vor Verabschiedung des Gesetzes in der Kritik. Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der HRW Berlin, bezeichnete die Verlängerung der Gewahrsamszeiten in einer Anhörung im NRW-Innenausschuss als „eine[n] der dramatischsten Eingriffe in den Grundrechtsschutz seit 1949“. Teilweise wurde das Gesetz als direkte Reaktion auf die Klimaproteste gegen den Kohlekonzern RWE gedeutet, weshalb es im Bezug zu den Protesten im Hambacher Forst auch „Lex Hambi“ genannt wird.

Nach der Blockade am vergangenen Freitag nahm die Polizei zunächst alle 22 Besetzer*innen in Gewahrsam. Inzwischen sind alle bis auf neun Personen wieder frei (Stand 5.10., 17:20). Bis zum Wochenende könnten sie noch eingesperrt bleiben. 

Die Gruppe „Gegenangriff – für das Gute Leben“, von der die Aktion ausging, kritisiert gegenüber netzpolitik.org das Vorgehen der Polizei:

Es kann nicht sein, dass die Polizei Menschen wegsperrt, die das tun, was die Politik seit Jahren verspricht und was bitter notwendig ist, nämlich effektiven Klimaschutz.

Schon mehrfach gegen Klimaproteste angewendet

Schon die erste Anwendung des Gesetzes Anfang 2019 richtete sich gegen Teilnehmende einer Blockade eines Kohlebaggers. Und auch im Jahr 2020 sperrte die Polizei zwölf Menschen nach einer Baggerbesetzung für mehrere Tage ein.

Identitätsverweigerung ist bei Klimaprotesten als Akt des zivilen Ungehorsams verbreitet, oft verkleben Aktivist*innen ihre Fingerkuppen oder bemalen sich das Gesicht, um die Abnahme von biometrischen Daten zumindest kurzfristig zu erschweren. Da das Strafrecht bei Blockaden in der Regel keine Untersuchungshaft rechtfertigt, bleibt den Behörden meist nichts anderes übrig, als die nicht identifizierten Menschen nach ein paar Stunden einfach gehen zu lassen. Durch verlängerte Gewahrsamszeiten erhofft sich die Polizei, Personen doch noch identifizieren zu können.

Weitere Verschärfungen geplant

Anonyme Aktivist*innen scheinen nicht nur der NRW-Landesregierung ein Dorn im Auge zu sein. Im Juni sprach sich die Innenminister*innenkonferenz für eine bundesweite Verlängerung der möglichen Gewahrsamszeiten und für höhere Bußgelder bei Identitätsverweigerung aus.

Versammlungsfreiheit und Proteste stehen in NRW nicht nur wegen des Polizeigesetzes unter Druck. Das geplante neue Versammlungsgesetz erschwert die Anmeldung und Durchführung von Demonstrationen für Veranstalter*innen. Zudem erleichtert der Gesetzentwurf polizeiliche Vorkontrollen und Personalienfeststellungen bei Versammlungen und weitet die Videoüberwachung aus.

Beim einem sogenannten „Militanzverbot“ bezieht sich der Gesetzentwurf direkt auch auf die Klimabewegung: Die bei Protesten oft verwendeten weißen Maleranzüge werden in eine Reihe mit den Uniformen von SS und SA gestellt. Wer durch Uniformierung „Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt“, soll in Zukunft mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden können. Nachdem das Gesetz nach Polizeiübergriffen auf Gegenproteste bundesweit in Kritik geriet, wurde die Verabschiedung zuletzt auf nach der Bundestagswahl verschoben. Eine Verabschiedung wird derzeit im November erwartet. 


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