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Julian Assange: Die Rache der CIA

Dass die US-amerikanischen Geheimdienste nicht immer zartfühlend sind, haben sie in ihrer Geschichte häufig bewiesen. Mit welchem Nachdruck und mit welcher Unbefangenheit gegenüber Gesetzen und völkerrechtlichen Abkommen sie allerdings Julian Assange und seinem Umfeld nachstiegen, ist selbst für geheimdienstliche Operationen eine Ausnahme. Darüber berichtet in einer detaillierten Reportage Yahoo News.

Assange ist der Kopf hinter WikiLeaks, einer Plattform, die Dokumente für alle öffentlich zugänglich macht. In der Botschaft von Ecuador hatte Assange ab 2012 Zuflucht gesucht, um einem Auslieferungsbegehren aus Schweden zu entkommen. Er blieb mehrere Jahre in dem Gebäude in London und betrieb daraus mit wenigen Unterbrechungen WikiLeaks weiter. Ecuador erteilte der Londoner Polizei allerdings nach einem Regierungswechsel in dem südamerikanischen Land die Erlaubnis, Assange aus der Botschaft zu holen. So wurde er im April 2019 in London festgenommen.

Dass er in der Botschaft mit Kameras und Mikrofonen minutiös überwacht worden war, kam bereits nach und nach an die Öffentlichkeit. Der neue Bericht von Yahoo News aber beschreibt eine andere Dimension von geheimdienstlichen Operationen: Die CIA hatte vor dem Zugriff durch die Polizei konkrete Pläne geschmiedet, um den Botschaftsaufenthalt mit Gewalt zu beenden. Sogar die Ermordung von Julian Assange durchzuführen, sei kein Tabu des Denkens gewesen.

Es mag vielleicht angesichts der zahlreichen Skandale des Geheimdienstes und auch angesichts von dessen öffentlichem Image, das durch Filme und Serien geprägt wurde, nicht unmittelbar in den Sinn kommen, aber auch ein mächtiger Geheimdienst einer Supermacht kann nicht einfach diejenigen umbringen, die in der Chefetage Verärgerung ausgelöst haben. Wie jede Behörde ist auch ein Geheimdienst an Recht und Gesetz gebunden und darf nicht einfach James Bond spielen. Offenbar herrschte aber bei der Führung der CIA die Meinung vor, dass man sich um den Juristenkram später kümmern könne.

Streng geheime Hacking-Werkzeuge der CIA

Dem Bericht von Yahoo News nach löste eine spezielle Veröffentlichung von WikiLeaks den nachhaltigen Zorn der Geheimen aus: Vault 7. Diese umfängliche und detaillierte Sammlung an Dokumenten zeigt das Cyber-Waffenarsenal und die Hacking-Operationen der CIA gegen Smartphones und andere Computer, vor allem mit dem Betriebssystem Windows, bis hin zu Fahrzeugen. Die konkreten Ziele der digitalen CIA-Waffen in Nord- und Südamerika und Europa sowie die Namen der Staatshacker waren zwar überwiegend geschwärzt. Aber einige teure Zero-Day-Exploits, die von der CIA oder von Partnergeheimdiensten gekauft oder entwickelt worden waren, überließ WikiLeaks im Rahmen von „Vault 7“ der interessierten Öffentlichkeit.

Die streng geheimen Hacking-Werkzeuge der CIA aus dem Zeitraum von 2013 bis 2016 gelangten also ans Licht und zeigten, wie die weltweiten Spionageoperationen gegen Smartphones und Computer durchgeführt wurden. Der Geheimdienst war bis auf die Knochen blamiert. Später wurde Joshua Schulte, ein früherer Angestellter der CIA, für die Informationsweitergabe angeklagt.

Die WikiLeaks-Veröffentlichung sei das „Äquivalent eines digitalen Pearl Harbor“ gewesen, gab CIA-Mitarbeiter Sean Roche im Prozess gegen Schulte zu Protokoll. Pearl Harbor bezieht sich auf ein Kriegsereignis im Jahr 1941, als der Gegner Japan die US-amerikanische Flotte vernichtend schlug. Die CIA sei nach der „Vault 7“-Veröffentlichung in Sachen Hacking faktisch kaum mehr handlungsfähig gewesen.

Die internen Sicherheitsprobleme des Geheimdienstes, die eine Veröffentlichung wie „Vault 7“ erst möglich machten, sind in einem Bericht analysiert, der später durch den US-Senator Ron Wyden publiziert wurde. Daraus geht auch hervor, dass die CIA-Hacking-Operationen und generell das Ziel, digitale Waffen für den Geheimdienst zu bauen und einzusetzen, klar höher priorisiert war als die Sicherung der eigenen IT-Systeme. Die alltäglichen Sicherheitsmaßnahmen seien „beklagenswert lax“ gewesen.

Der ehemalige CIA-Chef Mike Pompeo, der 2017 von US-Präsident Donald Trump eingesetzt worden war, soll dem Bericht von Yahoo News nach auf Rache erpicht gewesen sein. Er hätte eine Art „Besessenheit“ entwickelt und CIA-Leuten mitgeteilt, dass sie keinerlei Selbstbeschränkung üben und wirklich jede Möglichkeit als Idee erwägen sollten, um Assanges habhaft zu werden. Pompeo soll angekündigt haben, er würde sich dann schon um die Juristen in Washington kümmern.

Nach Angaben einen ungenannten Amtsträgers unter Trump, den Yahoo News zitiert, seien Pompeo und einige weitere CIA-Führungskräfte …

… von der Realität völlig losgelöst gewesen, weil sie wegen Vault 7 so blamiert worden sind. Sie haben Blut gesehen.
(… were completely detached from reality because they were so embarrassed about Vault 7. They were seeing blood.)

Auf die Veröffentlichungen über staatliche Hacking-Programme und konkrete CIA-Vorgehensweisen hätten Pompeo und einige Getreue also mit blinder Wut reagiert. Auch öffentlich nennt Pompeo WikiLeaks einige Wochen nach der Veröffentlichung von „Vault 7“ 2017 einen feindseligen Geheimdienst („WikiLeaks walks like a hostile intelligence service and talks like a hostile intelligence service“).

Zur Ausführung wurden die CIA-Pläne nicht gebracht, da vor allem Juristen aus dem Justizministerium im Weg standen. Ein Kidnapping von Assange aus London sei klar rechtswidrig, ließen sie wissen. Die erwogene Ermordung sei vom Tisch gewesen, ehe sie den Juristen zur Prüfung vorgelegen hätte. Ein unbenannter Geheimdienstler gab an, man hätte einen Mord von Assange nur so als Idee in den Raum geworfen.

Konsequenzen vor Gericht

Über den US-Auslieferungsantrag von Assange ist noch nicht abschließend entschieden. Die Hauptverhandlung ist für den 27. und 28. Oktober geplant.

Die für Assange entscheidende Frage wird sein, ob das britische Gericht, das über seine Auslieferung in die Vereinigten Staaten entscheiden wird, die Berichterstattung von Yahoo News zu Kenntnis nimmt und daraus Konsequenzen zieht. Die Recherche stützt sich auf mehrere Dutzend Geheimdienstler, die mit den Journalisten gesprochen hatten. Die berichteten Entführungs- und Mordpläne dürften die Chancen der US-amerikanischen Seite schmälern, den Gefangenen ins eigene Land überstellt zu bekommen.


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