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Queerness in Games: Verzerrte Spiegel

Nahaufnahme des Gesichts einer jungen Frau

Eine junge Frau steht an der Bar, um sie herum ausgelassenes Tanzen zu Country-Klängen. Ihr Blick fällt immer wieder auf eine andere Frau auf der Tanzfläche. Die beiden – Ellie und Dina – kennen sich. Dina lädt Ellie auf einen Tanz ein, legt ihre Hände um Ellies Nacken. „Jeder starrt dich gerade an“, sagt Ellie. „Vielleicht starren sie dich an“, entgegnet Dina. Sie schauen sich in die Augen und küssen sich. Es soll erst der Anfang einer queeren Romanze sein.

Ellie und Dina sind Charaktere im Video-Rollenspiel „The Last of Us II“ des US-Entwickler*innen-Studios Naughty Dog. Das Spiel aus dem Jahr 2020 zeichnet eine postapokalyptische Welt mit Zombies und dreht sich vor allem um Hass und Rache. Es zeigt aber ebenso, wie queere Lebensrealität in Videospielen aussehen könnte. Die Nachfrage des Spiels innerhalb der Game-Community war groß: „The Last of Us II“ hat sich nach der Veröffentlichung im Juni 2020 rund 2,8 Millionen Mal verkauft und ist damit der meistverkaufte PlayStation-Launch aller Zeiten. 

Damit ist das Spiel ein Vorreiter in der Repräsentation von Queerness in Mainstream-Videospielen. Denn Perspektiven jenseits der heteronormativen und männlichen sind dort Mangelware. Videospiele dienen nach wie vor als „Projektionsfläche einer homogenen, überwiegend männlichen und weißen Gruppe, die die Spiele entwickelt“, wie etwa die Bundeszentrale für politische Bildung feststellt. 

Games als sicherer Ort

Allan Cudicio ist Game-Designer und Gründer des Berliner Studios TwinDrums. Er sagt: „Die fehlende Darstellung von Queerness in den Medien ist Teil einer Agenda, die die Menschheit auf eine Weise darstellt, die nicht real ist.” Die Gesellschaft sei schließlich zu keinem Zeitpunkt ausschließlich cis-gender und heterosexuell gewesen.

Dass Videospiele als Orte für Menschen immer wichtiger werden, zeigen beispielsweise Analysen des Marktforschungsinstituts National Purchase Diary: Die Videospiel-Industrie hat in den USA 2020 mit 56,9 Milliarden Euro rund 27 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr gemacht. Auch in Deutschland ist der Videospiel-Markt 2020 gewachsen – was nicht zuletzt auch mit der Corona-Pandemie zusammenhängt. 

Cudicio identifiziert sich selbst als queer und erzählt, wie wichtig die Repräsentation queerer Perspektiven in Videospielen für Gamer*innen ist. Er selbst habe als Jugendlicher ein Videospiel namens „Fable“ gespielt. Dieses sei eines der ersten Games gewesen, in denen man mit dem eigenen Charakter beide dort abgebildeten Geschlechter heiraten konnte. Für die Spielemacher*innen sei es einfacher gewesen, diese Option nicht zu blockieren, aber „es bedeutete so viel für jemanden wie mich, der als Teenager versuchte, sich selbst zu entdecken“, betont der Game-Designer.

Cudicio sagt, Games seien als Safe Spaces für marginalisierte Gruppen wichtig. So einen Ort zu schaffen, war einer der Gründe, warum er 2019 in Berlin sein eigenes Game-Studio TwinDrums gegründet hat. Zusammen mit seinem Team entwickelt er seit mehr als einem Jahr das Spiel  „The Wagadu Chronicles“: ein von afrikanischen Mythen inspiriertes Fantasie-Videospiel, ein so genanntes Massive Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG), das Tausende gemeinsam spielen sollen. Damit wollten Cudicio und sein Team nicht nur queere Geschichten zeigen, sondern auch unterrepräsentierte afrikanische und nicht-eurozentrische Perspektiven eröffnen und einen sicheren Ort für Rollenspiel schaffen.

Queere Menschen gehören zu einer marginalisierten Gruppe, die sowohl offline als auch online vermehrt Hass, Beschimpfungen, Gewaltandrohungen oder Schlimmerem ausgesetzt ist. Befragungen innerhalb der EU zeigen, dass trans Personen dabei am häufigsten von Diskriminierungen betroffen sind. Hinzu kommt, dass nur wenige Betroffene die Fälle bei Behörden melden.

Auch in der Welt der Videospiele müssen sich queere Gamer*innen daher mit Diskriminierung aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung auseinandersetzen. „Die Industrie ist natürlich ein Spiegel der Gesellschaft“, betont Lara Keilbart, freischaffende Journalistin und Expertin für Nerd-Kultur. Erst in den vergangenen fünf bis zehn Jahren habe sich die Gesellschaft vermehrt mit queerer Kultur und Menschen auseinandersetzen müssen, denn „mittlerweile sind wir durch das Internet mehr vernetzt, haben mehr Safe Spaces und eben auch die Sicherheit, offen Missstände zu kritisieren.“

Echte Repräsentation oder Klischee

Authentische queere Charaktere oder Geschichten sind schon seit Jahrzehnten Teil von Videospielen, jedoch vorwiegend innerhalb der Indie-Game-Szene. Die Mainstream-Spiele großer Entwickler*innen-Studios holen nur schleppend auf. Lara Keilbart beschreibt diesen Umstand in ihrem Aufsatz „Queer Authenticity in the History of Games“. Im Gespräch mit netzpolitik.org erklärt sie, dass queere Repräsentation – wenn sie denn vorhanden ist – trotzdem häufig falsch oder vorurteilsbehaftet dargestellt sei. Um das zu ändern, sollten Videospiele nach Keilbart mindestens einen von drei Punkten erfüllen.

Authentisch sei etwa, wenn eine Videospiel-Figur ihre Queerness offen durch die Sprache oder ihr Verhalten ausdrücke. Dies könne durch Dialoge passieren, genauso durch bestimmte Gesten oder wenn zwei queere Figuren im Spiel intim miteinander sind. Als zweiten Punkt definiert Keilbart, dass Spiele authentische Queerness ebenfalls durch gewisse Handlungen der queeren Charaktere abbilden können, die Auswirkung auf die Spielwelt haben. Es reiche beispielsweise nicht aus, wenn ein Videospiel-Charakter lediglich ein Mal im Spiel seine Homosexualität erwähnt, es fortlaufend in der Spielwelt jedoch keinen weiteren Bezug dazu gibt.

Als dritte Bedingung führt Keilbart an, dass Games auch reale Ereignisse und Dinge aus der queeren Historie abbilden können. Thematisiere ein Spiel beispielsweise die Stonewall-Unruhen von 1969, enthalte dies durch das Abbilden der realen Geschehnisse automatisch einen gewissen Grad an Authentizität. 

Die Stereotypisierung queerer Menschen sei dabei immer noch die größte Gefahr. In früheren Spielen hätten Entwickler*innen diese teilweise sogar beabsichtigt – wie beispielsweise in dem Videospiel „Final Fight“ aus dem Jahr 1989. Das ging soweit, dass Gegner*innen, die ursprünglich als cis-Frauen konzipiert waren, im Spiel zu trans*-Frauen umgeschrieben wurden, sagt Keilbart. „Weil die Aufsichtsbehörden oder Leute im Entwicklerstudio gesagt haben: Wir können kein Spiel machen, in dem man Frauen verkloppen kann. Aber wenn wir sie zu trans*-Frauen machen, sind es ja keine echten Frauen.“

Queere Liebe endet tragisch

Solche Praktiken kommen Keilbart zufolge heutzutage in der Form nicht mehr vor. Jedoch gäbe es andere Formen der Stereotypisierung wie beispielsweise queere „Pseudo-Marker“. Wenn eine Figur bunte oder blaue Haare und einen Sidecut hat, werde dies direkt als queer gelesen.

Außerdem fänden sich in Videospielen oft bestimmte Muster und Stereotype, die Spiele immer wieder abrufen. Ein bekanntes sei das  „Sad Queer Trope“: Romanzen zwischen queeren Figuren entwickeln sich häufig so, dass queere Charaktere am Ende des Spiels unglücklich und unzufrieden sind.

Dieses Muster finde man auch in „The Last of Us“: Das Spiel zeigt laut Keilbart zwar an vielen Stellen authentische Queerness. Die Beziehungen der Protagonistin Ellie haben jedoch nie ein glückliches Ende. „Dies kann man immer ein wenig als Bestrafung lesen: In dem Moment, wo sie zu ihrer queeren Liebe stehen, kommen die Zombies und infizieren beide“, sagt Keilbart.

Eine andere Auffälligkeit in Mainstream-Videospielen sind queer gelesene Charaktere, die Bösewichte verkörpern. Damit werde Homosexualität und Gender-Nonkonformität mit „Chaos, Instabilität und Zerstörung“ in Verbindung gebracht.

Expertise einholen statt Selbermachen

Wer solche Fehler vermeiden will, sollte den Blick auf die Entwickler*innen richten. Lara Keilbart berichtet, dass gerade in den Teams, die Videospiel-Charaktere schreiben, häufig keine Personen zu finden seien, die sich selbst als queer identifizieren und somit eigene Erfahrungen in die Spiele integrieren könnten. Dafür sei auch das sogenannte „Sensitivity-Reading“ wichtig – Expert*innen, die einer marginalisierten Gruppe angehören und beispielsweise Projekte und Drehbücher wie die von Spielemacher*innen lektorieren. Sie sollen bei dem authentischen Entwurf der Perspektiven und Figuren helfen und Stereotype oder Missrepräsentationen vermeiden.

Keilbart habe selbst bereits solche „Sensitivity-Readings“ gemacht. Dieser Prozess könne helfen, Expert*innen sollten ihrer Meinung nach jedoch bereits vor oder während der Entstehung des Spieles involviert sein. Somit könne man möglicherweise auch die Geschichte an sich nochmal anders aufziehen und nachträgliche Szenen-Änderungen umgehen.

Als Positivbeispiel nennt die Journalistin das Spiel „Tell Me Why“: In diesem haben nicht nur queere Menschen queere Figuren mitgeschrieben, sondern auch Expert*innen der Organisation GLAD (Gay and Lesbian Advocates and Defenders) mitgewirkt. „Es ist wichtig, dass man sich die Expertise von den Leuten holt, die sie haben und nicht so tut, als könnte man mit einem Buch oder ein paar Online-Posts Wissen anlesen.“

Diskriminierungen sollten Spielemacher*innen in den Games nicht ausblenden. Sie sind schließlich Teil der Realität vieler queerer Personen. Bei wirklich harten Szenen sollten Games jedoch nach Keilbart vorab einen entsprechenden Hinweis geben – möglicherweise sogar mit der Option, diese Szene zu überspringen. Damit könnten sich queere Spieler*innen vor möglichen Triggern eigener traumatischer Erlebnisse schützen. Anfeindungen sollten trotzdem nicht Thema jedes Spiels sein. Es sei wichtig, auch positive Erlebnisse abzubilden. „Manchmal möchte ich mich auch einfach von meinem Alltag ablenken. Wenn mein Alltag schon aus vielen Diskriminierungen besteht, möchte ich das vielleicht nicht noch in meiner Freizeit haben“, sagt Keilbart.

Auch Allan Cudicio setzt auf ein diverses Team, um vielfältige Perspektiven abzubilden. Etwa die Hälfte seines Teams sind Frauen, ein Drittel ist queer und die Hälfte Schwarz. Im Team seien unterschiedliche Ethnien und Muttersprachen abgebildet. Damit fließen gleich mehrere unterrepräsentierte Perspektiven und Expertisen mit in „The Wagadu Chronicles“ ein. Sollte dennoch ein Faktor aus einer anderen Kultur abgebildet werden, zu der niemand aus dem Team einen Bezug hat, ziehe man externe Expert*innen zu Rate.

TwinDrums gehört damit vor allem in Sachen Diversität zur Ausnahme: Laut einer Studie der igda (international game developers association) von 2019 identifizierten sich 71 Prozent der befragten Entwickler*innen als männlich und lediglich 25 Prozent als Frauen, 4 Prozent als trans und 3 Prozent als nicht-binär. 

Queere Figuren als Voreinstellung

Spiele definieren Normen nicht nur über ihr Personal und die Geschichten, sondern auch durch technische Einschränkungen. Welche Körper stehen für Spieler*innen zu Verfügung? Wer darf wen begehren? Im Fall der Wadagu-Chronicles haben die Entwickler*innen bewusst darauf verzichtet, bei der Auswahl der Körper zu viele Vorgaben zu machen. Spieler*innen können sich einen cis-gender Mann beispielsweise mit einer breiteren Hüfte, einer flacheren Brust und einem Penis zusammenstellen. Gleichzeitig könne man cis-gender Frauen entwerfen, die Bärte haben – so wie es in der Realität auch solche Frauen gibt, sagt Cudicio. „Wir lassen diese Türen offen, damit Menschen entscheiden können, wie sie sich selbst definieren.“

Auch die Gottheiten im Spiel haben unterschiedliche Geschlechtsidentitäten, genauso gäbe es polyame und polygame Beziehungsformen. Vieles in der Fantasiewelt Wagadu sei einfach so gestaltet und keine Spieloption. Das solle auch Queerness normalisieren.  

Auch Lara Keilbart findet, dass Wahlfreiheit für Spieler*innen wichtig sei, um sich Charaktere zu gestalten. Ein Beispiel für ein solches Spiel ist Sims 4, das mittlerweile mehrere Genderoptionen und sexuelle Orientierungen ermöglicht. „Aber ich finde, es muss auch mehr kanonische queere Charaktere geben, die nicht veränderbar sind – in ihrer Ausrichtung, wie sie aussehen, wie sie handeln und wen sie lieben“, sagt sie. Dadurch, dass auch nicht-queere Menschen diese Charaktere spielen, könne eine Art Normalisierung eintreten. Man habe letztlich auch über Jahrzehnte lang heterosexuelle cis-gender Männer spielen müssen. Für queere Gamer*innen selbst würden festgeschriebene queere Charaktere eine besondere Relevanz haben:

Ich finde dadurch, dass queere Personen auch eine marginalisierte Community sind, braucht es umso mehr solcher Identifikationsfiguren, die einem diese Stärke, diesen Support und etwas Positives vermitteln. Das ist ein Ermächtigungsgefühl, das insbesondere Videogames ganz stark bewirken.

Teams vielfältiger machen, kleine Game-Studios fördern

Laut Allan Cudicio müsse man für einen Wandel vor allem die Positionen innerhalb der Unternehmen ändern und Personen einstellen, die die Bevölkerung und damit auch die Gamer*innen selbst repräsentieren. Er begrüßt es, dass außerdem mehr und mehr Missstände wie Rassismus und Frauenfeindlichkeit innerhalb der Game-Industrie aufgedeckt werden. 

Durch die Bewegung Gamergate rücken seit 2014 zunehmend Benachteiligungen, sexistische Übergriffe und Diskriminierungen innerhalb der Game-Industrie in den Fokus der Öffentlichkeit. Erst kürzlich verklagte eine US-Behörde das Entwickler*innen-Studio Activision Blizzard aufgrund „sexueller Belästigung, ungleicher Bezahlung und Vergeltungsmaßnahmen“ ihrer weiblichen Mitarbeiterinnen. Der Fall wird in der Branche stark beachtet.

Von Seiten der Spielemacher*innen hört man manchmal, Videospiele ließen sich nicht verkaufen, wenn sie beispielsweise Frauen als Protagonistinnen abbilden. Keilbart hält dies für ein Scheinargument. Das zeigten nicht zuletzt umsatzstarke Videospiele wie „The Last of Us II“. Sie vermutet, dass Spielemacher*innen ähnlich bei der Integration queerer Figuren argumentieren. Gerade die queere Game-Community sei jedoch groß, der Markt durchaus vorhanden. 

Außerdem sind insbesondere Mainstream-Game-Studios finanziell in der Lage, das „Risiko“ der Integration diverserer Perspektiven einzugehen. Diesen Umstand erläutert Neil Druckmann, Co-Präsident des Entwickler*innen-Studios Naughty Dog selbst in einem Interview mit der BBC aus dem vergangenen Jahr. 

Keilbart und Cudicio betonen, dass es mehr Initiativen und Förderungen für kleinere Entwickler*innen-Teams geben sollte. Lara Keilbart sagt: „Wenn ich mir Spiele wie Sea of Solitude von Jo-Mei oder zuletzt Minute of Islands von Studio Fizbins anschaue, arbeiten diese mit einem Bruchteil des Budgets, das andere Firmen haben. Da steckt jedoch so viel Potenzial drin.“

Cudicios Game-Studio TwinDrums hat eine solche Förderung durch die Initiative „Underrepresented Founders Program“ von Riot Games erhalten. Dies habe der Entwicklung des Studios enorm geholfen. Solche Initiativen seien wichtig, da gerade marginalisierten Gruppen häufig weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen „und das bedeutet, dass man immer in einer schlechteren Position ist, um beispielsweise ein eigenes Unternehmen zu gründen oder auch ein Praktikum zu machen“, sagt der Game-Designer. Leisten könnten sich dies Menschen, die privilegiert sind. Und das führe dazu, „letztendlich Gesichter vorzufinden, die alle gleich aussehen“. 


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