Seit der Jahrtausendwende sind deutsche Spezialeinheiten mit „Distanzelektroimpulsgeräten“ ausgestattet, immer mehr Länder erlauben sie nun im Streifendienst. Innerhalb von drei Jahren starben sechs Personen in Deutschland nach einem Beschuss. Der Einsatz dieser Waffe ist in Berlin umkämpft.
Seit fünf Jahren testet die Polizei in Berlin Taser im alltäglichen Dienst. Dieser bereits um ein Jahr verlängerte Probelauf solle bald beendet und die Geräte nicht weiter benutzt werden, meldete das Berliner Boulevardblatt B.Z. vergangene Woche unter Berufung auf eine E-Mail des Staatssekretärs Torsten Akmann (SPD). Dem widerspricht seine Parteikollegin und vorgesetzte Innensenatorin Iris Spranger heute in einer Pressemitteilung, die mit den Worten „Der Taser muss bleiben“ beginnt. Ähnlich hatte sich die Sozialdemokratin bereits gegenüber der Presseagentur dpa geäußert.
Auch das Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei Berlin verfügt über Taser. Für das SEK steht der Weiterbetrieb der Taser selbst beim linken Partner der Rot-Grün-Roten Koalition nicht infrage. Seit 2017 haben SEK-Einheiten die Geräte in drei Einsätzen zur Verhinderung eines Suizids genutzt, insgesamt wurden sie dort 18 Mal ausgelöst.
Schüsse „möglichst gegen den Rücken“
Die bei der Polizei bundesweit gebräuchlichen Taser werden als „Distanzelektroimpulsgeräte“ (DEIG) bezeichnet und stammen von der Firma Axon. Werden sie scharf gestellt, zeigen sie einen Lichtbogen zwischen den Elektroden, das Ziel wird mit einem farbigen Laser anvisiert. Taser können zwei Drähte mit Elektroden verschießen, die wenige Millimeter in die Haut eindringen. Das Opfer wird durch einen Stromimpuls für einige Sekunden gelähmt.
Seit der Jahrtausendwende werden Taser von der Polizei in allen Bundesländern genutzt, allerdings bis vor wenigen Jahren ausschließlich durch SEKs. In Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ist dies auch weiterhin der Fall. In Bremen sprach sich die Bürgerschaft dagegen aus, eine Ausnahme gibt es aber für Bremerhaven. Bundesweit sollen sie im vergangenen Jahr mindestens 1.005 Mal eingesetzt worden sein, berichtet das RedaktionsNetzwerk Deutschland unter Berufung auf eine Abfrage in allen Landesinnenministerien. Gegenüber 2020 ist dies ein Anstieg von über 65 Prozent. Als Grund dafür gilt eine groß angelegte Erprobungsphase in Nordrhein-Westfalen mit 1.392 Geräten. Insgesamt sollen die Landespolizeien und SEKs über mindestens 2.432 Taser verfügen.
Ein weiteres Pilotprojekt führt die Bundespolizei in Berlin, Kaiserslautern und Frankfurt/Main Hauptbahnhof durch. Dort sollen die Beamt:innen laut einer Verwaltungsvorschrift Schüsse „möglichst gegen den Rücken“ oder auf den unteren Oberkörper der Zielperson abfeuern. Nicht erlaubt ist die gleichzeitige Nutzung zweier Geräte gegen eine Person. Auf Kinder darf geschossen werden, wenn es sich um Notwehr oder Nothilfe handelt.
40 weitere Taser für Berlin
Im Rahmen des Berliner Modellprojekts sind die Polizeiabschnitte 53 (Kreuzberg) und 57 (Mitte) mit jeweils zehn Tasern ausgestattet. Die „Brennpunkt-und Präsenzeinheit“ der Polizeidirektion 5 (City) hat weitere acht. Zusammen mit Geräten, die zur Aus- und Fortbildung oder als Reserve dienen, wurden für das Projekt 40 Taser beschafft.
Der Probelauf beim Streifendienst geht auf eine Idee des früheren CDU-Innensenators Frank Henkel zurück, umgesetzt wurde es aber durch seinen SPD-Nachfolger Andreas Geisel. Laut der Antwort auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten und innenpolitischen Sprechers der Fraktion, Niklas Schrader, hat die Berliner Polizei dafür 144.102 Euro ausgegeben. Darin enthalten sind auch „Munition“ und die Wartung der Geräte. Im Februar, zum Zeitpunkt der Anfrage, waren 69 Beamt:innen für den Einsatz an einem DEIG geschult.
Den Zahlen zufolge nutzte der Streifendienst die „Distanzelektroimpulsgeräte“ wenig. Seit 2017 seien sie 15 Mal ausgelöst worden, in ähnlich vielen Fällen wurde der Einsatz nur angedroht. Komplikationen nach den Einsätzen sind dem Senat laut eigener Auskunft nicht bekannt. In einer früheren Antwort hatte es geheißen, die Taser hinterließen „lediglich kleine Wundmale durch die Elektroden“. Die Betroffenen seien deshalb ärztlich versorgt worden.
Polizeigewerkschaft will Taser wie Knüppel einsetzen
Der Berliner Taser-Test endet offiziell am 31. Dezember 2022. Dann will der Senat entscheiden, ob weitere Dienststellen damit ausgestattet werden. Darauf verweist auch die Innensenatorin Spranger in ihrer heutigen Pressemitteilung. „Dafür werde ich mir die Ergebnisse der Evaluierung genau ansehen“, schreibt Spranger. Fällt diese Entscheidung negativ aus, sollen die übrig bleibenden Geräte dem SEK zur Verfügung gestellt werden, erklärte der Senat im Februar.
In sämtlichen Einsätzen lagen laut der Antwort des Senats auf die Anfrage von Niklas Schrader die Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch vor. Die Taser dürfen also nicht wie ein Polizeiknüppel oder Pfefferspray genutzt werden.
Genau dies erzürnt die Polizeigewerkschaften, die seit Beginn des Modellprojekts eine Absenkung der Schwelle fordern. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) beklagt ein „Misstrauen“ in die Polizei. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) unterstellt der „Berliner Politik“ eine „Realitätsverweigerung, vermutlich aus ideologischen Gründen“.
Kein Gesetz für Taser in Berlin
Der DPolG-Landessprecher will den Probelauf deshalb sogar noch erweitern und fordert, „seine Rechtsgrundlagen zu verbessern“. Diese Rechtsgrundlagen existieren jedoch gar nicht, weil der Senat für die Taser kein eigenes Gesetz erlassen hat. Deshalb gelten sie weiterhin als Schusswaffe und sind dem Gebrauch von Pistolen oder Langwaffen gleichgestellt.
Auch die Opposition hat das Thema nach dem Boulevard-Bericht skandalisiert. Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion spricht von einem „Kniefall“ der SPD-geführten Innenverwaltung „vor Polizeigegnern der Linken und Grünen“. Tatsächlich sind die Berliner Grünen jedoch in der Frage nicht pauschal ablehnend. „Ich bin grundsätzlich skeptisch, weil es zu wenig Zahlen für eine valide Datengrundlage gibt“, schreibt Vasili Franco auf Nachfrage von netzpolitik.org. Taser könnten jedoch „grundsätzlich sinnvoll sein“, so der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion.
Deutlich gegen die Ausweitung von Tasern auf den Berliner Streifendienst – jedoch für die Beibehaltung bei SEKs – spricht sich Amnesty International in Deutschland aus und verweist auf Zahlen der US-amerikanischen Sektion. Deren Statistiken zählen bereits Hunderte von Toten im Zusammenhang mit Taser-Einsätzen.
Sechs Tote nach Einsätzen in Deutschland
In Deutschland starben in den vergangenen drei Jahren sechs Personen nach dem Beschuss mit einem Taser, davon je zwei in Rheinland-Pfalz und Hessen, zwei weitere in Bayern und Niedersachsen. Außer Niedersachsen erlauben diese Bundesländer den Taser-Einsatz auch im Streifendienst.
Meist befanden sich die Betroffenen der tödlichen Einsätze in einer psychischen Ausnahmesituation. „Für so etwas ist die Polizei aber nicht ausgebildet“, schreibt Niklas Schrader dazu auf Anfrage von netzpolitik.org. Ziel müsse es deshalb sein, gefährliche Situationen zu deeskalieren, „und zwar bevor es zum Einsatz von Waffen kommt“. Würde der Taser polizeiliches Alltagsinstrument, stiegen die Gefahren insbesondere für Menschen mit Vorerkrankungen oder unter Drogeneinfluss.
Der grüne Innenpolitiker Vasili Franco will statt Polizei mit Taser oder Schusswaffe lieber „multiprofessionelle Kriseninterventionsteams“ in kritische Einsätze schicken. Diese seien „ein Ansatz, der sowohl Polizei wirksam unterstützen und Betroffene besser schützen könnte“. Schrader verweist dazu auf den Berliner Koalitionsvertrag von Linken, Grünen und Sozialdemokrat:innen, der die Schaffung von „mobilen Kriseninterventionsteam“ mit psychologisch ausgebildeten Fachleuten vorsieht. Diese sollen in einem Modellprojekt erprobt werden. Die Ausweitung des Taser-Einsatzes sei hingegen im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen, merkt Schrader an.
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