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Irgendwas mit Internet: Twitter vs. Mastodon – ein Rück- und Ausblick

Die Übernahme Twitters durch Elon Musk ist eine Zäsur. Um so besser aber ist es, dass wir inzwischen über dezentrale, offene Alternativen verfügen und diese mehr und mehr Menschen nutzen. Eine bessere digitale Welt scheint somit nicht mehr nur möglich, sondern auch greifbar zu sein.

Symbolbild CC-BY-NC-SA 4.0 Foto: Joshua Sortino (unsplash), Bearbeitung: netzpolitik.org – owieole

Im Frühjahr war die Debatte um dezentrale Netzwerke eher theoretischer Natur und fand in kleinen Nerd-Kreisen statt. Die Ankündigung von Elon Musk im April, Twitter zu übernehmen, brachte die notwendige Aufmerksamkeit, um über Alternativen zu sprechen. Und zwar nicht die üblichen Alternativen im Überwachungskapitalismus – yet another kommerzielle Plattform, die früher oder später genauso enden würde wie Twitter.

Sondern es gibt mit Mastodon und dem Fediverse funktionierende Alternativen, die ganz anders aufgesetzt waren: mehr Wikipedia als Twitter, dezentral organisiert und betrieben, in der Regel ehrenamtlich verwaltet und ohne Interesse, die Nutzer:innen so umfassend wie möglich zu überwachen zu können, um Profile für zielgerichtete Werbung zu bilden.

Eine Exkursion in die Geschichte Sozialer Netzwerke

Gewiss, es gab in den vergangenen 15 Jahren Social-Media-Geschichte einige Wanderwellen. Aber nur wenige waren erfolgreich. Das lag auch daran, dass Netzwerk- und Lock-In-Effekte eine große Rolle dabei spielen, wann wir ein Soziales Netzwerk als wertvoll begreifen. Wenn fast alle auf WhatsApp sind, muss man da wahrscheinlich auch sein, selbst wenn man Signal besser und sinnvoller findet.

Die bislang letzte erfolgreiche Wanderwelle erfolgte einige Zeit nach dem Kauf von MySpace durch Robert Murdoch im Jahr 2005. Das lag auch daran, dass mit Facebook in den darauffolgenden Jahren langsam eine Alternative heranwuchs, die es MySpace-Nutzer:innen einfacher machte, zu wechseln. Die Plattform wurde damals aus Kostengründen ausgeblutet, Innovationen blieben aus, Facebook wurde spannender. 2011 war MySpace dann weitgehend Geschichte.

Aber Facebook gehörte schon damals Mark Zuckerberg, der auch heute noch die Mehrheit der Stimmanteile im Mutterunternehmen Meta hält. Und mit vielen seiner Entscheidungen wurde Facebook zunehmend evil, gerade die Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Nachteil der Nutzer:innen führten allzu oft dazu, dass diese sich über Alternativen Gedanken machten.

Diaspora war ein Meilenstein auf dem Weg ins Fediverse

Eine dieser Alternativen entstand genau dann, als Facebook mal wieder einseitig die Regeln änderte. In New York hatten sich damals vier Studenten gefunden, die 2010 hochmotiviert ein alternatives Soziales Netzwerk entwickelten. Per Crowdfunding sammelten sie Geld und weil das parallel zum Facebook-Aufreger lief, erhielten sie viel Resonanz und das Crowdfunding hatte weit mehr Erfolg als erhofft. Das Diaspora-Projekt wurde gegründet und weckte Hoffnungen auf eine bessere Social-Media-Welt.

Aber die Erwartungen waren zu hoch für die vier Studenten. Ihre Idee war es, etwas Geld zu sammeln, um in den Semesterferien Miete und Pizza bezahlen zu können und gemeinsam an einem Open-Source-Projekt zu arbeiten. Unterstützer:innen waren daraufhin enttäuscht, Diaspora geriet zu kompliziert und war daher auch keine wirkliche Alternative zu Facebook. Aber dennoch wurde das alternative Soziale Netzwerk zu einer der wichtigsten Inspirationen für das, was später als Fediverse bekannt wurde.

Daneben gab es noch zahlreiche weitere kleine Wellen. Google+ löste eine im Sommer 2011 aus. Und  im Jahr 2014 geriet Ello für ein paar Tage zum Hoffnungsträger, bis aber auch dieses Netzwerk zum Datenfriedhof wurde.

#buytwitter

Im Jahr 2016 stand Twitter dann erstmals zum Verkauf. Viele Nutzer:innen verbanden mit dem Hashtag #buytwitter die Hoffnung, dass man gemeinsam die geliebte Plattform kaufen und betreiben konnte. Eine bessere digitale Welt schien tatsächlich möglich, es gab Debatten um ein Genossenschaftsmodell und Platform Cooperativism. Aber die  Hoffnungen erfüllten sich nicht, denn die für den Kauf benötigte Milliardensumme erscheint per Crowdfunding nicht realistisch.

Ebenfalls 2016 wurde mit Mastodon eine Alternative zu Twitter ins Leben gerufen und von einer Community seitdem weiterentwickelt. Um Mastodon herum gibt es im Fediverse etliche weitere Projekte, die zusammen ein dezentrales, offenes und gemeinwohlorientiertes Ökosystem bilden. Eine bessere digitale Welt war dann auf einmal doch möglich.

Können wir auf die Politik hoffen?

In der Zwischenzeit wachte auch die europäische Politik auf. Viele Jahre lang konnten Soziale Netzwerke machen, was sie wollen. Viele Politiker:innen waren vor allem damit beschäftigt, ihre Profile bei den jeweiligen Plattformen für den kommenden Wahlkampf zu optimieren und dachten zu wenig darüber nach, wie sie diese mächtigen Plattformen demokratisch kontrollieren und regulieren könnten. In den vergangenen Jahren führte die EU dann endlich die Debatte um den Digital Services Act (DSA), der kurz nach dem Kauf-Angebot von Musk verabschiedet wurde. Bereits zuvor war der Digital Markets Act (DMA) fertig verhandelt worden. Beide Gesetz bieten die Grundlage für die sogenannte EU-Plattformregulierung.

Allerdings ist umstritten, inwiefern die demnächst in Kraft tretenden Regeln Twitter betreffen, auch wenn EU-Kommissare allzu gerne Musk breitschultrig  gegenübertreten. Bereits zur Unternehmensübernahme durch Musk Ende Oktober hatte ich darauf hingewiesen, dass Twitter vermutlich nicht die Kriterien eines Gatekeepers (DMA) bzw. eines VLOPs (DSA) erfüllt und das dies ein Problem darstellt. Denn was bringen die neuen Regeln, wenn die einflussreichste Meinungs- und Informationsplattform nicht unter besondere Aufsicht fällt, für die diese Regeln gedacht sind?

Das ist mittlerweile auch der Bundesregierung aufgefallen. Erst vor wenigen Tagen hat Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, einen Brief veröffentlicht, in dem er an die EU-Kommission appelliert, umgehend zu prüfen, ob und wie sich der DMA auf Twitter anwenden ließe, da die Kriterien für Gatekeeper auf dieses Soziale Netzwerk offenkundig bislang nicht anzuwenden sind.

In der EU gibt es zwar mittlerweile Regeln zur Plattformregulierung. Aber zum jetzigen Zeitpunkt, an dem Elon Musk wie ein tollwütiger Elefant im Porzellanladen herumläuft und fast jeden Tag etwas zerstört, kommen diese Regeln zu spät. Bis sie durchgesetzt werden, könnte im Falle von Twitter schon alles zu spät sein. Die Chancen, dass Twitter unter Musk in der EU ausreichend demokratisch reguliert wird, stehen derzeit bei vermutlich gerade einmal 50:50.

Wo stehen wir jetzt?

Wir haben in den vergangenen 15 Jahren auf netzpolitik.org sehr oft dafür argumentiert, dass wir dezentrale und offene Kommunikationsinfrastrukturen brauchen, um eben nicht von Unternehmen und ihren Entscheidungen abhängig zu sein.

Wir hatten dabei meist Mark Zuckerberg im Kopf, der als Einzelperson für mittlerweile Milliarden Menschen eigenmächtig Entscheidungen treffen kann. Und wir dachten an Firmen, die vor allem mit dem Ziel betrieben werden, uns so umfassend wie möglich zu überwachen, um uns dann gezielt auf uns zugeschnittene Werbung ausspielen zu können.

Wir wussten nicht, dass es mit Elon Musk noch viel schlimmer kommen würde, der tagtäglich eigenmächtig Regeln nach Belieben ändert und willkürlich anwendet. Und der gleichzeitig eine ideologisch gefärbte Diskursverschiebung nach Rechtsaußen massiv betreibt. Da ist es auch egal, ob er selbst daran glaubt und politisch motiviert handelt oder nur denkt, dass er damit mehr Geld verdienen kann. Brandstifter bleibt Brandstifter!

Wir haben endlich gemeinwohlorientierte Alternativen

Aber wir verfügen jetzt über eine Alternative. Spätestens seit der Machtübernahme durch Elon Musk hat eine Wanderwelle von Twitter Richtung Mastodon begonnen, die größer ist als je zuvor. Zum ersten Mal gibt es berechtigte Hoffnung, dass viele Menschen sich an Alternativen gewöhnen können, die nicht so bunt und fancy sind, wie die durchkommerzialisierten Plattformen mit ihren süchtig machenden Funktionen. Denn viele bleiben auf Mastodon länger als nur ein paar Tage, sondern richten sich dort offenbar fest ein. Weil viele andere auch gekommen sind und man deshalb nicht alleine dort ist.

Noch kann ich mich persönlich nicht von Twitter lösen, obwohl ich es wegen Elon Musk und seinen Entscheidungen allzu gerne täte. Twitter war die vergangenen 15 Jahre meine Hauptinformationsquelle und jeder neue Tweet von Musk tut weh. Gerade weil wir früher die Hoffnungen hegten, dass Twitter ein inklusiver Ort ist, wo viele Stimmen ihre Meinung äußern und sich miteinander vernetzen können.

Aber es freut mich, dass so viele Menschen von Twitter mittlerweile mindestens parallel auf offenen Systemen kommunizieren. Es scheint in der Tat so sein, dass jetzt jene Alternative entstehen, auf die wir so lange gewartet haben. Und wir immer unabhängiger von einer Plattform werden, die sich massiv verändert. Und immer mehr von uns es sich leisten können, Twitter den Rücken zu kehren.

Auch das Fediverse steht vor großen Herausforderungen

Auch auf Mastodon und im Fediverse wird nicht alles bunt und rosig sein. Twitter war das einst für viele, dann kamen die – Verzeihung – Arschlöcher. Vor dieser Herausforderung wird auch das Fediverse bald stehen. Derlei Probleme lassen sich nicht allein durch das Nicht-Vernetzen, das sogenannte Deföderieren, mit Nazi-Servern zu lösen sein.

Bereits jetzt treffen im Fediverse unterschiedliche Kulturen aufeinander. Da sind die Alteingesessenen mit ihrer bisherigen Kommunikationskultur und unterschiedlichste Twitterkulturen, die gerade rüberflüchten – und die sich gegenseitig annähern und verstehen müssen.

Auch im Fediverse werden wir ähnliche juristische, technische und politische Debatten führen müssen, die wir seit vielen Jahren rund um die kommerziellen Plattformen geführt haben. Aber es wird andere Lösungen geben – und auch geben müssen.

Das Fediverse sollte Teil der digitalen Daseinsvorsorge sein

Spannende Debatten werden sich darum drehen, wie Content-Moderation ehrenamtlich betrieben werden kann oder wie wir dafür bessere Lösungswege finden als in der Vergangenheit. Wir werden darüber diskutieren müssen, inwiefern das Betreiben von Fediverse-Infrastrukturen nicht eine staatliche (Förder-)Aufgabe sein sollte, die der Staat im Rahmen der öffentlichen digitalen Daseinsvorsorge auch finanzieren könnte.

Damit meine ich nicht, dass das Bundesinnenministerium demnächst Instanzen betreiben soll. Dort würde man sich wahrscheinlich mehr Gedanken über die Überwachungsmöglichkeiten als um die Sicherheit machen und aus dem eGovernment-Projekt würde auch nichts werden. Aber es gibt schon staatliche Fördertöpfe für Open-Source-Projekte wie den Prototype-Fund oder den Souveranity-Tech-Fund und eine Ausweitung solcher Aktivitäten wäre durchaus möglich. Oder Kommunen könnten sich zusammenschließen und Instanzen für ihre Bürger:innen betreiben.

Zugleich gibt es weitere Möglichkeiten: Der Staat könnte das digitale Ehrenamt stärken sowie das Entwickeln und Betreiben gemeinwohlorientierter digitaler Infrastrukturen gemeinnützig machen.

Öffentlich-rechtlich weiterdenken

Auch stellt sich die Frage, ob auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Fediverse eine größere staatsferne Rolle spielen sollten, wie Leonhard Dobusch und ich seit Langem fordern. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) wurde einst geschaffen, um Meinungsvielfalt zu sichern. Das ist aktuell teilweise besser erreicht als eine heute dringend notwendige Infrastrukturvielfalt in Zeiten des Plattformkapitalismus.

Eine Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Mitte des 21. Jahrhunderts sollte auch darin bestehen, gemeinwohlorientierte Medieninfrastrukturen zu finanzieren und zu betreiben, die gerade nicht dem Überwachungskapitalismus unterliegen. Zugleich gibt es schon eine Menge Personal aufseiten des ÖRR, die auf den jeweiligen Facebook-Seiten und anderen Plattformen – finanziert durch unsere Gebühren – Content-Moderation übernehmen. Das sind gute Voraussetzungen für ard.social und zdf.social, über welche die Anstalten auch die eigenen Inhalte gut ins Fediverse teilen könnten.

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Generell sollte sich jede größere Organisation momentan die Frage stellen, ob man eine eigene Mastodon-Infrastruktur für die eigenen Mitarbeiter:innen und Ehrenamtler:innen betreiben kann und möchte. Oder gleich eine eigene Instanz für die Öffentlichkeit aufbauen möchte, auch um die eigene Rolle in der digitalen Welt neu zu definieren.

Aber unterm Strich lässt sich am Ende dieses Jahres eines festhalten – und das freut mich sehr: Die Übernahme Twitters durch Musk hat auch etwas Gutes bewirkt. Denn vielen Menschen ist klar geworden, dass eine bessere digitale Welt möglich ist. Setzen wir uns also daran, sie gemeinsam zu entwickeln.


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