Bis zum Montagmittag hatten überzogene Netzsperren in Österreich viele legale Inhalte blockiert. Ein Urheberrechtsvertreter hatte bei den Providern eine Sperrliste mit IP-Adressen eingereicht, die vom Unternehmen Cloudflare genutzt werden.
In Österreich kam es gestern zu Ausfällen von zahlreichen legalen Webseiten, weil die Verwertungsgesellschaft LSG bei einem Gericht die Sperrung von IP-Adressen der Firma Cloudflare durchgesetzt hatte – und österreichische Provider wie Magenta oder Liwest diese umsetzten.
Cloudflare ist ein Unternehmen, mit dessen Diensten viele große Website-Betreiber ihre Online-Angebote absichern. Oft werden dabei die IP-Adressen von Cloudflare nicht nur von einer Website, sondern von vielen genutzt. Wird eine solche IP-Adresse gesperrt, dann sind womöglich dutzende andere Websites betroffen. Einem Bericht des Standard zufolge hat die Verwertungsgesellschaft ihre Sperrliste mit den Cloudflare-IPs am Mittag zurückgezogen.
„Was da gestern im Internet in Österreich los war, ist so, als würde man ein ganzes Hochhaus oder Einkaufszentrum sperren, weil in einem Geschäft etwas geklaut wurde“, erklärt Dominik Polakovics von der Bürgerrechtsorganisation epicenter.works den Vorgang. Betroffen von der Netzsperre waren mindestens ein unbeteiligter Online-Shop, ein Sachverständiger und die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch. Und das sind nur die Seiten, deren fälschliche Sperrung bislang bekannt ist. Nutzer:innen hatten die Sperren in einem Forum bekannt gemacht, netzpolitik.org erhielt einen Hinweis von einem Leser am Sonntagabend.
Einsehbare Sperrlisten
In Österreich sind die Zensurlisten im Gegensatz zu Deutschland offen und transparent einsehbar, sie lassen sich beispielsweise bei der Regulierungsbehörde RTR oder bei diversen Providern abrufen. Die Listen zeigen, dass Websites vor allem wegen Verletzungen des Urheberrechts gesperrt werden.
Meist kommen dabei DNS-Sperren zum Einsatz, der Domainname einer Website verschwindet dann sozusagen aus dem Telefonbuch des Internets, dem Domain Name System. Offenkundig wurden zuletzt aber auch direkt IP-Adressen gesperrt. Sowohl DNS- wie IP-Sperren sind allerdings mit einem alternativen DNS-Server beziehungsweise VPN-Dienst einfach zu überlisten.
Die NGO epicenter.works kritisiert, dass es keine Rechtsgrundlage für die Sperrungen gäbe. Österreichische Gerichte und der EuGH haben in Urteilen jedoch bestätigt, dass Urheber in Österreich Netzsperren veranlassen dürfen. Der Vorgang zeige jedoch, „wie rücksichtslos die Urheberrechtsindustrie vorgeht“, sagt Thomas Lohninger von epicenter.works. Die Bürgerrechtsorganisation erwägt deswegen, vom Overblocking betroffene Webseiten bei Klagen zu unterstützen.
Auch Netzsperren in Deutschland
Auch in Deutschland gibt es Netzsperren: Einerseits sind da die Sperren russischer Staatsmedien, die nach dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine europaweit durchgesetzt werden, andererseits versucht die Medienaufsicht mit Netzsperren gegen Porno-Angebote vorzugehen, die keinen richtigen Altersnachweis auf ihren Seiten integriert haben. Netzsperren einsetzen will auch die Glückspielaufsicht.
Die meisten Sperren dürften jedoch auf das Konto der Initiative CUII („Clearingstelle Urheberrecht im Internet“) gehen, einem Zusammenschluss aus Urheberrechtsindustrie und Providern, die „strukturell urheberrechtsverletzende“ Webseiten ohne Gerichtsbeschluss sperren will. Transparent ist die Zensur in Deutschland nicht. Für Nutzer:innen besteht bislang keine Möglichkeit, die Listen vollständig einzusehen.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires