„Ich bin kein Fan von Netzsperren“, sagt Tobias Schmid im Podcast-Interview mit dem Online-Magazin Übermedien. Das ist beachtlich, immerhin arbeitet Schmid als Direktor der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen seit Jahren an Netzsperren. Die geplanten Sperren betreffen Pornoseiten, allen voran Deutschlands meistbesuchte Pornoseite xHamster.
Der Grund, warum Schmid etwas tun muss, von dem er „kein Fan“ ist, liegt in den deutschen Regulierungen zum Jugendmedienschutz. Demnach sollen Minderjährige keine Pornos sehen, und Pornoseiten sollen in Deutschland das Alter ihrer Millionen Besucher:innen streng überprüfen, etwa durch Ausweiskontrollen oder biometrische Gesichtscans. xHamster und andere große Seiten wollen derart invasive Maßnahmen nicht einführen. Deshalb droht die Medienaufsicht nach zähen Verwaltungsverfahren mit Netzsperren.
Anfang März hatten einige deutsche Internetprovider tatsächlich xHamster.com gesperrt. Aber nur für kurze Zeit. Durch einen Trick hat sich xHamster noch am selben Tag aus der Sperre befreit. Für die Medienaufsicht eine „Blamage“, urteilt etwa das Magazin Golem.
Schmid über Pornos: mangelnde Relevanz für Meinungsbildung
Im Übermedien-Interview sagt Tobias Schmid, Netzsperren seien eine „absolute Ausnahme-Maßnahme“. Sie würden relativ tief in das eine oder andere Recht eingreifen. Er finde das „Unterbinden von Inhalten dem Grunde nach nicht erstrebenswert“, sagt Schmid. „Bei uns draußen vor der Tür steht ‚der Meinungsfreiheit verpflichtet‘, und das meinen wir auch so“.
Aus Sicht des Medienaufsehers handelt es sich bei Deutschlands meistbesuchter Pornoseite allerdings nicht um „meinungsbildungsrelevante Inhalte im klassischen Sinne“. Schmid sagt: „Ich bin nicht ganz sicher, ob die optisch intensive Darstellung von Gangbang so wahnsinnig meinungsbildungsrelevant ist“.
Gangbang ist eine Form des Gruppensex. Dabei penetriert eine große Zahl aktiver Teilnehmender eine relativ kleine Zahl passiver Teilnehmender. Zugleich ist Gangbang eines von vielen Genres auf xHamster, neben „Massage“, „Love“ oder „Romantic“. xHamster wird in Deutschland häufiger angeklickt als tagesschau.de – oder die Website der Landesmedienanstalten.
Klassische Meinungsbildung wie auf Nachrichtenseiten passiert auf Pornoseiten sicher nicht. Andererseits können Besucher:innen dort Meinungen über Formen von Sexualität entwickeln. Es gehört zur sexuellen Selbstbestimmung, verschiedene Porno-Genres zu konsumieren oder dabei mitzuwirken. Die Abwertung sexueller Vorlieben wie zum Beispiel Gangbang wird als Kinkshaming bezeichnet. Durch Kinkshaming verfestigen sich Vorurteile über sexuelle Normen, was zu Ausgrenzung und Mobbing führen kann.
Fingerzeig auf den Gesetzgeber
Netzsperren werden nicht nur mit Blick auf mögliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit kritisiert. Ein weiteres Problem ist, dass sie sich kinderleicht umgehen lassen. Zugleich ist Pornografie auch über Messenger für Kinder und Jugendliche zugänglich. Inhalte in Messengern lassen sich jedoch nicht mit Netzsperren eindämmen. Das ist auch Schmid bewusst, wie aus dem Interview hervorgeht: „Ich glaube, dass Schulen wie Eltern klar sein muss: Kinder und Jugendliche heute können, wenn sie das wollen, alles sehen“.
Warum also Netzsperren einführen, wenn sie die gewünschte Wirkung offenkundig verfehlen? Schmid kommt bei diesem Thema ins Schwimmen. Er erklärt etwa, der „ungebremste Kontakt mit intensiven sexuellen Darstellungen“ könne Minderjährige irritieren und ihre Entwicklung beeinträchtigen. Bei einem 17-Jährigen sei das möglicherweise nicht mehr ganz so einschlägig. Anders sei das bei jüngeren Kindern. Schmid fragt: „Was sage ich meiner 10- oder 11-jährigen Tochter zu dem Umstand, dass es eben sein kann, dass auf dem Schulhof ein Siebtklässler auf sie zukommt und sie unmittelbar mit Bildern konfrontiert, die sie nicht einsortiert bekommt?“
Diese Frage mag ein ernstes Problem ansprechen, aber Netzsperren sind keine Antwort darauf. Einen Siebtklässler, der jüngere Kinder mit Pornos erschrecken möchte, können Netzsperren nicht aufhalten. Zur Verbreitung von Pornos in Klassenchats sagt Schmid: „Nein, ich habe keine klare Antwort, wie man dem Herr wird.“
Dennoch arbeitet Schmid weiter daran, einige der meistbesuchten Websites Deutschlands für alle aus dem Netz zu verbannen, weil sie die geforderten Maßnahmen zum Jugendschutz nicht umsetzen. Im Interview spitzt Übermedien-Journalist Holger Klein die Frage zu: „Ist denn eigentlich gesichert, dass Kinder und Jugendliche so sehr gefährdet werden, dass man ganze Seiten abschalten muss?“ Schmid antwortet wörtlich: „Das äh, äh, das ist ne gute Frage. Die erste Antwort dazu ist ne ganz naheliegende: Schöne Frage – fragen Sie doch mal den Gesetzgeber.“
Banken das Geschäft mit Pornoseiten untersagen
Der Gesetzgeber ist in der Tat für die Regulierungen verantwortlich, die eine Medienaufsicht umsetzen muss. Insofern gehört es nicht zu Schmids Aufgaben, die Gesetzgebung zu hinterfragen. Schmid sagt weiter: „Natürlich kann der Gesetzgeber immer darüber nachdenken, ob Altersgrenzen angemessen sind, ob sich Realitäten verändert haben“. Das sei dann „seine Tasse Tee“.
An einer anderen Stelle im Interview macht Schmid die Gesetzgebung jedoch durchaus zu seiner eigenen Tasse Tee. „Wenn Sie mich als Exekutivbehörde fragen, würde ich sagen, ich nehme sehr gerne noch zwei mildere Mittel, wenn der Gesetzgeber sie mir gibt“, sagt Schmid. In Fällen wie xHamster fände Schmid es „überlegenswert“, wenn der Gesetzgeber der Medienaufsicht „andere Instrumentarien an die Hand geben würde“.
Die Medienaufsicht könnte etwa „Banken oder Kreditkartengesellschaften das Geschäft mit solchen Unternehmen untersagen“, schlägt Schmid vor. Nachdenken könne man auch über einen Ordnungsgeld- oder Bußgeldkatalog, der an die Gewinnabschöpfung der Unternehmen anknüpfe. Bei den Geschäftsmodellen der Pornoseiten wäre das „mit Sicherheit effizient“.
Die Effizienz solcher Maßnahmen darf zumindest bezweifelt werden: Pornhub zum Beispiel hat bereits im Jahr 2020 Visa und Mastercard als Zahlungsdienstleister verloren. Damit kann man dem Porno-Imperium nicht mehr drohen. Die Gewinne von Betreiberfirmen lassen sich zudem nicht ohne Weiteres nachvollziehen. So stecken etwa hinter xHamster oder der weltgrößten Pornoseite XVideos komplexe Firmengeflechte. Der ausgewiesene Gewinn der bloßen Betreiberfirma von xHamster ist vergleichsweise niedrig, wie eine Recherche von NDR und SPIEGEL zeigte. Bußgelder, die sich daran orientieren, dürften daher wenig bedrohlich sein.
„Kein tauglicher Grund, die Repressionen auszusetzen“
Schmid skizziert weitere Ideen. So könnten sich Internetprovider selbst verpflichten, freiwillig weitere Domains zu sperren, sobald ein Angebot wie xHamster auf alternative Domains ausweicht. Eine ähnliche Selbstverpflichtung gibt es bereits bei illegalem Streaming: die Clearingstelle Urheberrecht im Internet. Sie wird unter anderem wegen Intransparenz und möglichen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht kritisiert.
Nicht im Interview besprochen werden simple Schutzmechanismen, die bereits existieren. Es gibt etwa Jugendschutzprogramme, die Erziehungsberechtigte auf den Geräten ihres Nachwuchses installieren können. Sie sollen verhindern, dass Minderjährige Pornoseiten ansteuern können. Damit solche Programme als ausreichend gelten, müssten die Regulierungen zum Jugendmedienschutz aber angepasst werden.
Ein weiterer Ansatz, um Minderjährige vor negativen Erfahrungen durch Pornografie zu schützen, ist Aufklärung und Medienkompetenz. Auch das kommt im Interview zur Sprache. Schmid sieht hier eine „edukative Verpflichtung der Gesellschaft“. Aber: „Den Hinweis darauf, dass doch Aufklärung so wichtig wäre, ist kein tauglicher Grund dafür, die Repression auszusetzen.“
Medienaufsicht will länger durchhalten als xHamster
Schmid lässt keinen Zweifel daran, dass er Netzsperren für Pornoseiten weiter vorantreiben möchte. Die großen Pornoseiten hätten bereits Briefe von der Medienaufsicht bekommen, „und die kleineren werden sie auch bekommen“. Es gebe zwar eine „Katz-und-Maus-Methode“. Das bedeutet, Pornoseiten können Netzsperren immer wieder mit alternativen Domains ausweichen. Aber: „Da bin ich mal gespannt, wer das länger durchsteht“. Am Ende, so Schmid, gewinne immer der Regulierer.
Der Beweis dafür wäre im Fall von Pornoseiten noch zu erbringen. Vor 17 Jahren, als der Bundeskanzler noch Gerhard Schröder hieß, ging die Medienaufsicht bereits wegen mangelnder Alterskontrollen gegen eine rheinland-pfälzische Pornoseite vor. Während sich die Medienaufsicht heute vor allem an Anbietern aus dem Ausland abarbeitet, ist eine ganze Generation mit frei verfügbaren Internetpornos erwachsen geworden.
Aktuell stehe die Medienaufsicht mal wieder in Kontakt mit Kolleg:innen in Zypern, wo xHamster seinen Sitz hat, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Zum jahrelangen Procedere sagt Schmid im Übermedien-Interview: „Das erscheint etwas kafkaesk, und das ist es vielleicht in manchen Zügen auch.“
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