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Vorstellung der Überwachungspläne: EU-Kommissarin verteidigt Chatkontrolle mit unsinnigem Vergleich

Die umstrittenen Chatkontrolle-Pläne der EU-Kommission sind nun auch im Parlament angekommen. EU-Kommissarin Johansson bemühte sich vor den Abgeordneten, das Vorhaben als harmlos darzustellen. Bürgerrechtler:innen sind alarmiert.

Durch die Chatkontrolle könnten die Dateien aller Menschen durchleuchtet werden. – Alle Rechte vorbehalten Ausschnitt / Alexander Lehmann

Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat heute den umstrittenen Gesetzentwurf zur Chatkontrolle offiziell dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europa-Parlaments vorgestellt. Laut EU-Kommission soll der Gesetzentwurf dazu dienen, sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu bekämpfen. Die Maßnahmen, die dafür gewählt werden, sind aber aufgrund ihrer Eingriffstiefe in die private Kommunikation und als neue Form der potenziellen Massenüberwachung grundrechtlich hoch umstritten. So könnte eine Umsetzung des Gesetzes dazu führen, dass Anbieter auf Anordnung Kommunikationsinhalte der Nutzenden scannen müssen – kurz „Chatkontrolle“ genannt.

In der Ausschusssitzung verteidigte die EU-Kommissarin Ylva Johansson die Pläne der Kommission. Verschlüsselung sei kein Problem, sagte sie. Firmen würden heute bereits nach Schadsoftware scannen. Dazu führte sie an, dass sofort eine Artikelkachel erscheine, wenn sie in Whatsapp einen Link schreibe. Das zeige, dass Meta bereits heute scanne. Dass dafür aber keine Inhalte gescannt werden müssen, sondern der Aufbau eines Links leicht erkannt werden kann, erwähnte die Kommissarin nicht. Beim Scannen nach Darstellungen von sexualisierter Gewalt oder Kontaktanbahnungen wird es jedoch ungleich komplizierter.

Im Ausschuss kritisierte der Abgeordnete Patrick Breyer (Grüne/EFA) den Vorschlag der Kommission: „Die Kommission schlägt ein verpflichtendes, allgemeines Überwachungssystem vor, das so extrem ist, dass es nirgendwo sonst in der freien Welt existiert.“ 

„Stellt alle bisherigen Überwachungsgesetze in den Schatten“

Bürgerrechtsorganisationen haben das Vorhaben scharf kritisiert. Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sagt, dass das Gesetz „alle bisherigen Überwachungsgesetze in den Schatten“ stelle. „Die geplante flächendeckende und anlasslose Durchleuchtung privater Chatkommunikation verletzt den Kern des Rechts auf Privatsphäre. Wir appellieren an die Abgeordneten des Europaparlaments, diesen Angriff auf die Grundrechte zu stoppen, ehe der Europäische Gerichtshof es tun muss“, so Reda weiter.

Gleichzeitig hat ein Bündnis von mehr als 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen, dem fast alle deutschen Bürgerrechtsvereine, der Chaos Computer Club, Reporter ohne Grenzen sowie Fußballfan-Initiativen angehören, einen gemeinsamen Aufruf gegen das Gesetzesvorhaben verfasst. Dort fordern die Organisationen „Kinderschutz statt Massenüberwachung“. Statt der Chatkontrolle müsse die EU-Kommission zielgerichtete Alternativen vorlegen und die nötigen Mittel für Prävention und Opferschutz zur Verfügung stellen.

Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft sagt: „Wir fordern die gesamte Bundesregierung und insbesondere das verhandlungsführende Bundesinnenministerium auf, entschieden gegen die dystopischen Pläne zur Chatkontrolle einzutreten.“ Die Bundesregierung müsse endlich ihren Einfluss im Europäischen Rat geltend machen, um die Verordnung zu verhindern.

„Inakzeptable Verletzung unserer Grundrechte“

Ähnlich kommentierte Marina Weisband, Co-Vorsitzende von D64, die Vorstellung des Gesetzes: „Die Bundesregierung darf bei der Chatkontrolle nicht einknicken. Die geplante Verletzung unserer Grundrechte ist inakzeptabel.“ Mit dem Aufruf der Kampagne “Chatkontrolle stoppen” zeige die Zivilgesellschaft, dass sie bereit sei, den Druck deutlich zu erhöhen. Konstantin Macher von Digitalcourage sieht in der Chatkontrolle „ein radikales und fehlgeleitetes Überwachungsinstrument“. Die EU-Kommission müsse einsehen, dass ihre Pläne mit einer demokratischen Gesellschaft im digitalen Zeitalter unvereinbar sind. „Es kann kein freies Internet geben, wenn private Kommunikation gescannt und der öffentliche Diskurs gefiltert wird“, so Macher weiter.

Auch der baden-württembergische Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Dr. Stefan Brink, kritisierte die Gesetzespläne: „Die geplante anlasslose und umfassende Durchforstung unserer privaten Chats ist ein beispielloser und völlig unverhältnismäßiger Angriff auf unsere Freiheit, unüberwacht zu kommunizieren. Wenn dabei technische Verfahren eingesetzt werden, die fälschlicherweise auch viele Unschuldige unter Beobachtung stellen werden, wird ein solcher Entwurf spätestens vor Gericht kassiert werden.“

Die Kampagne „Chatkontrolle stoppen“ hatte sich jüngst mit einer neuen Webseite und einem Kampagnenvideo neu aufgestellt.

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Breite Gegnerschaft gegen die Chatkontrolle

Gegen die Chatkontrolle stellen sich nicht nur zahlreiche europäische Bürgerrechtsorganisationen, sondern auch der UN-Menschenrechtskommissar, manche Bundesländer, die EU-Datenschutzbehörden sowie grüne und liberale Minister:innen der Bundesregierung.

Mehr als 160.000 Menschen haben eine Petition auf Campact gegen das EU-Vorhaben unterschrieben, auf der Straße gab es zuletzt erste kleinere Demos gegen die Chatkontrolle.

Die Bundesregierung ist in der Frage, ähnlich wie bei der Vorratsdatenspeicherung, uneins. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte gegenüber dem Vorhaben zunächst positive Signale ausgesendet, sich später aber dagegen geäußert. In der SPD gibt es mehrere Abgeordnete, die den Plänen kritisch gegenüberstehen. Ob diese sich durchsetzen können, ist ungewiss. In Europa ist die Frage der Chatkontrolle bislang eher nur ihn Deutschland ein größerer Aufreger, auch wenn sich in anderen Ländern von Bürgerrechtler:innen Proteste gegen das Projekt regen.


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