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Computergenerierte Missbrauchsdarstellungen: Kein opferloses Ermittlungsinstrument

Dunkles Foto einer Tastatur mit beleuchteten Buchstaben und iPhone

Stephan Gerbig ist promovierter Jurist und Gründer der Kompetenzstelle Kinderrechte. Der Autor verwendet in diesem Beitrag die Bezeichnung „kinderpornografische Inhalte“, weil es die strafrechtliche Bezeichnung ist. Menschenrechtlich gilt die Bezeichnung jedoch als unpassend, weil es sich tatsächlich um Abbildungen und Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder handelt.

Seit März letzten Jahres dürfen Strafverfolgungsbehörden zu Ermittlungszwecken computergenerierte kinderpornografische Inhalte herstellen und verwenden. Damit sollen sie sich Zugang zu geschlossenen Foren verschaffen können, in denen kinderpornografische Inhalte getauscht werden. Oft sei der Zugang zu solchen Foren nur möglich, wenn man zunächst selbst kinderpornografische Inhalte zur Verfügung stellt (sogenannte „Keuschheitsprobe“).

Die entsprechenden Regelungen sind unter großem politischen Zeitdruck verabschiedet worden: Die grundsätzliche Idee wurde zwar schon 2018 von der Justizministerkonferenz ins Spiel gebracht, für das Einbringen eines Entwurfs und dessen Verabschiedung wurde aber ein anderes bereits laufendes Gesetzgebungsverfahren zum Sexualstrafrecht kurzfristig genutzt, eine Verbändeanhörung zu diesem Ermittlungsinstrument hat es insofern nicht gegeben. In der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss gab es wenig kritische Einwände, und letztlich fand das entsprechende Gesetz sogar fraktionsübergreifend keine Gegenstimmen.

Mittlerweile kommt dieses Instrument vielfach zum Einsatz – trotzdem sollte man es nicht leichtfertig für unbedenklich halten.

Auch „täuschend echt“ ist problematisch

Die entsprechenden computergenerierten Inhalte dürfen kein tatsächliches Geschehen widergeben und dürfen ebenso wenig unter Verwendung realen Materials hergestellt werden. Sie müssen aber – auch um ihrer Funktion als Material für eine „Keuschheitsprobe“ zu entsprechen – „täuschend echt“ aussehen und sollen „nicht ohne weitere technische Hilfsmittel enttarnt“ werden können, das ist die Prämisse der Regelungen.

Genau hier fangen jedoch weitreichende Probleme an:

Auch computergenerierte Missbrauchsdarstellungen können dazu beitragen, die Würde von Kindern – nicht von einem einzelnen bestimmten Kind, aber von Kindern als schutzbedürftige Gruppe insgesamt – herabzuwürdigen: Inhalte dieser Art normalisieren ein unzulässiges Bild von Kindern als Objekte zur Befriedigung sexueller Wünsche. Daher gelten die computergenerierten Inhalte menschenrechtlich auch als höchstbedenklich, und aus solchen Gründen ist auch ihre Verbreitung in Deutschland strafbar.

Daneben drängt sich die Frage auf, welche Auswirkungen die „täuschend echt“ wirkenden Inhalte auf die Bereitschaft der Konsumenten haben, weitere Sexualstraftaten zu begehen . Dass es sich nur um computergeneriertes Material handelt, ist für den sogenannten „Auslöseeffekt“ schließlich irrelevant, wenn die fehlende „Echtheit“ der Inhalte für Außenstehende nicht (ohne Weiteres) wahrnehmbar ist und sie annehmen könnten, dass sie es mit realem Material zu tun haben.

Kein opferloses Ermittlungsinstrument, keine Austrocknung des Marktes?

Im Gesetzgebungsverfahren wurde diskutiert, ob die Regelungen mit rechtsstaatlichen Anforderungen vereinbar sind. Hier geht es im Kern um die auch aus anderen Kriminalitätskontexten bekannte Frage, ob der Staat etwas tun darf, was er selbst verboten hat. Bedauerlich ist aber, dass weitere konkrete Risiken nicht vertieft erörtert worden sind. Mehr noch: Die Verabschiedung der entsprechenden Regelungen beruhte teilweise auf der Annahme, dass keine Rechtsgüter Dritter betroffen sein können, weil es sich nur um computergenerierte Inhalte handele. Das ist freilich eine höchst fahrlässige Annahme – denn es spricht einiges dafür, dass es sich nicht um ein opferloses Ermittlungsinstrument handeln könnte.

Zugegeben, empirisch bewegt man sich hier in einem schwierigen Bereich. Es finden sich Anhaltspunkte dafür, dass der Konsum von Missbrauchsdarstellungen den Wunsch bestärken könnte, das Gesehene in Handlungen zu reproduzieren. Genauso gibt es aber auch vereinzelt Anhaltspunkte dafür, dass solcher Konsum bei potenziellen Tätern Spannungen abbauen kann, ohne dass es zu sogenannten Kontaktdelikten kommt. Die Hypothese um den „Auslöseeffekt“ bewegt sich im Unklaren zwischen positiver, negativer und fehlender Korrelation. Die unterschiedlichen bestehenden empirischen Erkenntnisse müssen jedoch nicht notwendigerweise als ein Widerspruch, sondern können vielmehr auch als ein Indiz für eine ausgeprägte Heterogenität des Täterfeldes verstanden werden, mit einer Vielzahl relevanter Variablen.

Mit Blick auf immer größer werdende Plattformen, auf denen sogenannte kinderpornografische Inhalte getauscht werden – alleine die kürzlich abgeschaltete Plattform „Boystown“ soll mehr als 400.000 User gehabt haben –, darf man die Diskussion um den „Auslöseeffekt“ aber nicht auf die Wechselwirkung zwischen dem Handeln im Virtuellen und dem Handeln im realen Leben beschränken – soweit eine solche Trennung überhaupt noch möglich ist.

Man muss auch die Wechselwirkung innerhalb des virtuellen Geschehens berücksichtigen: Mehr Angebot kann zu einer gesteigerten Nachfrage führen, und das wiederum zu mehr und neuem Angebot. Hier besteht tatsächlich die Gefahr eines Teufelskreises, der Markt wird insofern möglicherweise nicht ausgetrocknet, sondern sogar angereizt. Empirisch bewegt man sich hier ebenfalls in einem Dunkelbereich – gleichzeitig sollte man die Eigendynamik von Internet-Plattformen nicht unterschätzen.

Vor diesen Hintergründen wird man jedenfalls nicht ausschließen können, dass durch die staatliche Bereitstellung von computergenerierten kinderpornografischen Inhalten letztlich Personen dazu verleitet werden könnten, selbst ein Kind zu missbrauchen oder entsprechende Inhalte zur Verfügung zu stellen. Von einem opferlosen Ermittlungsinstrument kann man insofern nicht sicher sprechen, und schnell drängt sich daher der Rückgriff auf die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz auf: Der Schutz unschuldiger Menschen darf nicht zu Lasten anderer unschuldiger Menschen erreicht werden, ganz egal, wie die konkreten Zahlenverhältnisse aussehen – das gebietet die Unantastbarkeit der Menschenwürde.

Fragen der Wirksamkeit und der Durchführung

Neben diesen grundsätzlichen Bedenken muss man sich aber auch die Frage stellen, inwieweit dieses Ermittlungsinstrument überhaupt das hält, was es verspricht. Hier stößt man direkt in eine Datenlücke – schon vor der Einführung der Regelungen wurde aus der Wissenschaft darauf hingewiesen, dass Erkenntnisse dazu fehlen, in welchem Umfang Ermittlungen bisher tatsächlich an den nicht möglichen „Keuschheitsproben“ scheiterten.

Genauso unklar ist es derzeit, in wie vielen Fällen dieses Ermittlungsinstrument schon zur Anwendung kam, wie viel Bildmaterial generiert wurde, wie oft dieses Ermittlungsinstrument aus „Gefahr in Verzug“ nur mit staatsanwaltlicher Zustimmung angewendet wurde – und natürlich vor allem die (mit)entscheidende Frage, in wie vielen Fällen Ermittlungsverfahren gerade aufgrund der Anwendung dieses Ermittlungsinstruments jedenfalls soweit betrieben wurde, dass eine Anklageerhebung erfolgen konnte.

Das Abschalten großer Plattformen wie „Playpen“, „The Giftbox Exchange“, „Elysium“ oder „Boystown“ gelang durch internationale Ermittlungserfolge und beruhte jedenfalls nicht auf der Anwendung der „Keuschheitsprobe“ durch Ermittlungsbehörden (anderer Länder), vielmehr waren andere Ermittlungsinstrumente entscheidend, wie etwa die gezielte Beschlagnahme von bestehenden Accounts und deren Weiternutzung durch Ermittlungsbehörden oder die Ausnutzung von Sicherheitslücken entsprechender Plattformen.

Ebenso ergeben sich Herausforderungen bei der Nutzung des Ermittlungsinstruments: Wie kann man verhindern, dass sich das staatlich computergenerierte Bildmaterial unkontrolliert weiterverbreitet? Diese Frage legt den Finger in die Wunde einer möglichen Kausalkette, die schnell unberechenbar werden kann: Welche Mechanismen bestehen etwa, um zu verhindern, dass ausländische Ermittlungsbehörden ihre Ermittlungsressourcen dafür aufwenden, gegen die von deutschen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellten Inhalte zu ermitteln? Im Kampf gegen die Herstellung und Verbreitung kinderpornografischer Inhalte (und damit auch im Kampf gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder an sich) spielen Ermittlungsressourcen schließlich eine überragende Rolle.

Ausblick

Keinesfalls sollten die Erwägungen in diesem Beitrag als ein Plädoyer dafür verstanden werden, die entsprechenden Befugnisse zur Nutzung computergenerierter kinderpornografischer Inhalte als Ermittlungsinstrument aus dem Strafgesetzbuch und der Strafprozessordnung sofort wieder zu streichen. Das wäre letztlich genauso fahrlässig wie ihre Verabschiedung, zumal dieses Ermittlungsinstrument unter strengen Anwendungsvoraussetzungen (wie einem richterlichen Vorbehalt) steht.

Kinderschützende Normen müssen aber stets sorgfältig erwogen sein. Dieses Ermittlungsinstrument müsste daher unabhängig und datengestützt, auch unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Expertise, evaluiert werden. Alles andere könnte ein gefährlicher Leichtsinn zulasten von Kindern sein.


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