In der Auseinandersetzung um Polizeigewalt und überzogene polizeiliche Maßnahmen auf einer Demo gegen das umstrittene Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen, hat Innenminister Herbert Reul (CDU) die Schuld an der Eskalation den Demonstrierenden zugeschoben. Am vergangenen Samstag hatten tausende Menschen in Düsseldorf gegen geplante Einschränkungen der Versammlungsfreiheit demonstriert.
Die Polizei setzte Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Teilnehmenden ein und kesselte mehr als 300 Menschen über Stunden ein. Während der Demonstration wurde auch ein Journalist der Nachrichtenagentur dpa laut eigener Aussage mehrfach mit einem Polizeiknüppel geschlagen. Diese Vorkommnisse führten heute sowohl zu einer Sondersitzung des Innenausschusses als auch zu einer aktuellen Stunde im Landtag von NRW.
„Gehörig schiefgegangen“
In einer ausführlichen Rede (PDF) legte Minister Reul im Innenausschuss dar, warum die Polizei seiner Meinung nach richtig gehandelt habe: „Die Polizei hat im Grundsatz einen richtigen Einsatz gefahren. Die Ursache für den Ärger waren nicht die Polizisten, sondern waren ein Teil der Demonstranten.“ Im Landtag hingegen sprach SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty davon, dass der Einsatz „gehörig schiefgegangen“ sei.
Laut Reul habe die Polizei schon zu Beginn der Demonstration die Versammlungsleitung immer wieder auf Verstöße gegen das Vermummungsverbot hingewiesen. Demonstrant:innen hätten sich immer wieder vermummt, hinter Bannern und unter Regenschirmen versteckt. Es sei zu Schlägen und Tritten gegen Polizist:innen gekommen. Zudem sei Pyrotechnik gezündet und mit Flaschen geworfen worden. Unter den Demonstrierenden hätten sich Linksextremisten befunden, habe der Verfassungsschutz gewarnt. Reul bestätigte außerdem den Einsatz von Polizei-Drohnen, allerdings nicht direkt über der Demo.
„Dann hätten wir das Problem nicht“
Reul ist bei seinen Auftritten anzumerken, dass ihn der Übergriff auf den Journalisten der dpa besonders wurmt. Die Empörung darüber hatte die Proteste gegen das Versammlungsgesetz plötzlich auf die bundesweite Agenda gesetzt. Wäre der Vorfall nicht passiert, so Reul, „dann hätten wir das Problem jetzt auch nicht“. Es ist der Versuch, die Kritik am Polizeieinsatz auf diesen einen Fall zu reduzieren.
Ansonsten sieht Reul einzig den Fehler, dass 38 Minderjährige zu lange im Kessel festgehalten wurden. Für Irritation sorgte sein Ausspruch „Warum die da hin gehen, kann ich auch nicht beantworten.“ Er fügte allerdings hinzu, dass alle das Recht auf Versammlungsfreiheit hätten.
Nach 5 Stunden Einkesselung ohne eine angemessene Versorgung, ohne Toilette mussten sich die Demonstranten selber helfen. Unfassbar, was hier passiert! Ein kleiner Vorgeschmack auf Kanzler Laschet. Und das mein nicht nur bildlich.#VersGNRWstoppen #NoVersGNRW pic.twitter.com/piGugfXngG
— Ezgi Güyildar (@Ezgi_Guyildar) June 26, 2021
Dass den mehr als 300 eingekesselten Demonstrant:innen keine Toilette zur Verfügung gestellt wurde, sei die Schuld einer Dixi-Toilettenfirma gewesen, so Reul in seiner Rede vor dem Innenausschuss. Dass man überhaupt eingekesselte Demonstrant:innen versorgen müsse, erzürnt hingegen Reuls Parteifreund Gregor Golland im Innenausschuss. Es sei nicht „Aufgabe des Steuerzahlers“, die „gewaltbereiten Linksextremisten“ mit Getränken und sanitären Anlagen auszustatten. Dieser Aussage stehen mehrere Gerichtsurteile entgegen, die eine menschenwürdige Behandlung von Eingekesselten verlangen.
Gab es Anweisungen vom Innenminister an die Polizei?
Mehr Selbstkritik kommt an diesem Tag nicht: Die Zahl der 100 verletzten Demonstranten, welche das Protestbündnis genannt hatte, hält der Innenminister für zu hoch und verweist auf die der Polizei bekannten sechs Verletzten. Dass sich von der Polizei verletzte Personen nicht bei der Polizei melden, ist allerdings ganz normal, befürchten die Teilnehmenden doch eine Identitätsfeststellung und möglicherweise Repressionen.
Reul verwehrte sich gegen den Vorwurf, dass das Innenministerium Anweisungen an die Düsseldorfer Polizei gegeben habe. Diesen hatten die grüne Innenpolitikerin Verena Schäffer und Vertreter der SPD in den Raum gestellt. Schäffer fragte im Innenausschuss, ob es von Seiten des Innenministeriums Anweisungen gegeben habe oder Erwartungen an die Polizei formuliert worden seien. Reul reagierte darauf gereizt. In der Debatte im Landtag erneuert Schäffer ihren Vorwurf gegenüber Reul: Seine gereizte Stimmung spreche sehr dafür, dass er Einfluss auf die Vorgaben für die Einsatzziele genommen habe.
Protest gegen Versammlungsgesetz wird größer
Nach der Eskalation vom vergangenen Samstag wächst der Protest gegen das geplante Versammlungsgesetz. In Köln demonstrierten am Montag um die 1.000 Menschen spontan gegen die Vorkommnisse in Düsseldorf. Während der Debatte demonstrierten nach Aussagen des Protestbündnisses etwa 150 Menschen vor dem Landtag, weitere Proteste in Münster und Bielefeld sind für heute im Verlauf des Tages angekündigt, am Freitag soll auch in Aachen demonstriert werden.
In der Auseinandersetzung um das Gesetz gerät die FDP in NRW immer weiter unter Druck. weil das Gesetz mit dem Anspruch als Bürgerrechtspartei kollidiert. Politiker:innen der FDP versuchten, die Verschräfung als CDU-Gesetz darzustellen, obwohl die FDP-Minister dem Vorhaben im Kabinett zugestimmt haben.
Die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW stellt sich nach Meinung von Expert:innen mit dem Gesetz gegen eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und will das Demonstrationsrecht empfindlich einschränken. Sogar die weißen Overalls von Klimademonstrant:innen sollen künftig verboten sein: Der Gesetzentwurf nennt sie in einer Reihe mit Nazi-Uniformen von SA und SS.
Empfindliche Einschränkungen
Durch das neue Versammlungsgesetz könnten nicht nur Gegendemos gegen Naziaufmärsche verboten, sondern auch die Identitätsfeststellung von Demonstrant:innen an so genannten Kontrollpunkten zum Standard werden. Insgesamt würde die Anmeldung und Durchführung einer Demonstration für Veranstalter:innen deutlich erschwert, weil das Gesetz neue Pflichten für diese vorsieht. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) warnt davor, dass das Gesetz Bürger:innen von der Ausübung ihres Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abhalten könne.
Hinzu kommt, dass das Gesetz mit dem so genannten „Militanzverbot“ das Tragen einheitlicher Kleidung unter bestimmten Umständen strafbar machen würde. Das ehemalige Uniformierungsverbot, das bereits heute im Versammlungsgesetz gilt, will die Landesregierung unter Ministerpräsident Armin Laschet auch auf Trikots von Fans oder die weißen Maleranzüge bei Klimaprotesten ausweiten. Hinzu kommt, dass das Gesetz die Möglichkeiten der Beobachtung und des Abfilmens von Demonstrationen zum Beispiel mit Drohnen deutlich erleichtert.
In der Aktuellen Stunde im Landtag sagte die grüne Innenpolitikerin Verena Schäffer, dass der Gesetzentwurfes von Repression und Verhinderung von Versammlungen geprägt sei. „Deshalb ist der Gesetzentwurf auch nicht mehr zu retten und muss konsequenterweise zurückgezogen werden“. so Schäffer weiter. Der Landesvorsitzende der SPD, Thomas Kuschaty, forderte: „Wir brauchen ein Versammlungsfreiheitsgesetz und kein Versammlungsverhinderungsgesetz.“ Der FDP-Innenpolitiker Marc Lürbke kündigte kleinere Änderungen am Gesetz an.
Das Gesetz soll nach der Sommerpause im September erst im Innenausschuss behandelt und dann im Parlament abgestimmt werden.
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