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Klage gegen das NetzDG: Deutsche Plattformregulierung auf dem Prüfstand

Sechs junge Menschen stehen in einer Reihe, alle schauen auf ihr Smartphone.

Die Google-Tochter YouTube geht juristisch gegen die deutsche Plattformregulierung vor und reichte beim Verwaltungsgericht Köln eine Feststellungsklage gegen das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ein, das Hass im Netz eindämmen soll. Laut Tagesspiegel Background schloss sich Facebook an und reichte einen Eilantrag ein. Stein des Anstoßes ist einem YouTube-Blogpost zufolge vor allem die Weiterleitung von Daten an das Bundeskriminalamt (BKA), zu der die Unternehmen ab Februar 2022 verpflichtet sein sollen.

Anbieter sozialer Netzwerke müssen demnach „strafbare Inhalte“ an das BKA weiterleiten – inklusive der IP-Adresse der Urheber:innen. Die Vorgabe greift bei jedem Inhalt, der auf der Plattform gemeldet und entfernt wurde und der Anhaltspunkte für bestimmte Straftaten wie Volksverhetzung oder Missbrauchsdarstellungen von Kindern bietet.

Beim BKA entsteht so eine große, zentrale Datensammlung. Zwar soll das BKA die Daten gar nicht selbst bearbeiten, sondern als Zentralstelle nur feststellen, welche Strafverfolgungsbehörden in welchem Bundesland zuständig sind und die Daten dorthin weiterleiten. Ist man beim BKA allerdings der Ansicht, dass es einen Grund für eine Weiterverarbeitung auch zu anderen Zwecken, beispielsweise zur „Gefahrenabwehr“ gibt, müssen die Daten nicht sofort nach Weiterleitung in die Bundesländer gelöscht werden.

Justizministerium betont öffentliches Interesse an Datenverarbeitung

Google sieht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ihrer Nutzer:innen von dieser Regelung eingeschränkt. Ob ein Inhalt tatsächlich strafbar ist, wird erst überprüft, wenn auch schon IP-Adressen und Port-Nummern, die Nutzer:innen eindeutig identifizieren können, ans BKA übermittelt wurden. Stellt sich dabei heraus, dass gar keine Straftat aus dem meldepflichtigen Katalog vorliegt, wären die Daten dennoch beim BKA gelandet.

Im Bundesjustizministerium sieht man darin keinen Verstoß gegen das Datenschutzrecht. Auf Anfrage von netzpolitik.org teilt ein Sprecher mit, dass die Vorschrift ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt und in einem angemessenen Verhältnis zur Datenverarbeitung stehe.

Um die Datenverarbeitung beim BKA überhaupt zu ermöglichen, war beim Gesetzgebungsverfahren viel Geduld nötig. Kurz nachdem die Große Koalition die Novelle im Sommer letzten Jahres beschlossen hatte, kippte das Bundesverfassungsgericht die Regelung zur Bestandsdatenauskunft. Die Karlsruher Richter:innen sahen damals das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, wenn Provider dazu gezwungen seien, Daten auch ohne konkreten Verdacht an Strafverfolgungsbehörden wie das BKA weiterzugeben.

Konzerne wehren sich gegen strengere Lösch-Regeln

Obwohl sich das Urteil damals nur auf manuelle und nicht auf automatisierte Abfrage von Daten bezog, kam ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zum Ergebnis, dass das Urteil auch Auswirkungen auf die NetzDG-Novelle habe und diese damit nicht verfassungsgemäß sei. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verwehrte dem Gesetz zunächst seine Unterschrift. Das Innenministerium lieferte deshalb ein sogenanntes Reparaturgesetz, um die Bestandsdatenauskunft neu zu regeln und die NetzDG-Novelle nicht weiter aufschieben zu müssen. Dabei erhöhten sie die Hürden bei Datenabfragen für Polizei und Geheimdienste nur leicht.

Neben dem polizeilichen Zentralregister beim BKA stören sich die US-Konzerne auch am sogenannten Gegenvorstellungsverfahren. Hierbei sollen Nutzer:innen die Chance bekommen, gegen gelöschte Inhalte oder Profile Widerspruch einzulegen. So soll verhindert werden, dass Konzerne zur Sicherheit mehr löschen als gesetzlich vorgeschrieben, um auf Nummer sicher zu gehen. Außerdem sollen sie zu mehr Transparenz bei Lösch-Entscheidungen gezwungen werden.

Der Jurist Daniel Holznagel, der das NetzDG miterarbeitet hat, adressiert in einem Blogeintrag noch ein anderes Problem. Die deutsche Plattformregulierung bezieht sich auf Plattform-Konzerne, die ihren Sitz gar nicht in Deutschland, sondern in Irland haben. Die europäische E-Commerce-Richtlinie verbietet eine solche Regulierung von ausländischen Unternehmen, es gilt das sogenannte Herkunftslandprinzip.

Kritik auch am Medienstaatsvertrag

Für die Regulierung von Google und Facebook wäre also Irland verantwortlich. Die E-Commerce-Richtlinie sieht zwar Ausnahmen vor, auf die sich die Bundesregierung beim NetzDG beruft, wie den Schutz der öffentlichen Ordnung und die Aufklärung von Straftaten. Holznagel merkt an, dass es juristisch unklar sei, ob sich Gesetze, die diese Ausnahmen in Anspruch nehmen, an eine ganze Branche richten dürfen und nicht nur im Einzelfall angewandt werden können.

Sollte diese Frage im Rahmen des Prozesses zu Ungunsten der deutschen Regierung entschieden werden, stünde das gesamte NetzDG vor dem Aus. Doch auch andere nationale Regelungen bezüglich Google, Facebook und Co, stehen derzeit in der Kritik, weil sie gegen Europarecht verstoßen könnten. Die EU-Kommission beschwerte sich kürzlich in einem Brief, den netzpolitik.org veröffentlichte, über den neuen Medienstaatsvertrag, der Internetplattformen die Benachteiligung von einzelnen Medien verbieten soll. Empfehlungsalgorithmen, die bestimmte Nachrichten in Newsfeeds herunterstufen, könnten dadurch in rechtliche Schwierigkeiten geraten.

Auf Basis des Medienstaatsvertrags untersagte die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein Google im vergangenen Jahr eine Kooperation mit dem Bundesgesundheitsministerium. Minister Spahn wollte sein Prestigeprojekt, das Nationale Gesundheitsportal, in den Suchergebnissen von Google ganz nach oben hieven, damit Patient:innen auf der Suche nach verlässlichen Gesundheitsinformationen unterstützt werden.

Digitale-Dienste-Gesetz soll Plattformregulierung neu aufstellen

Gegen diese Kooperation wehrten sich Verlage und Nachrichtenseiten, die durch die Bevorzugung des staatlichen Angebots die Pressefreiheit in Gefahr sahen. Obwohl die Kooperation zwischen Google und dem Gesundheitsministerium schon seit Frühjahr nicht mehr läuft, legt Google nun Beschwerde ein, um grundsätzlich klären zu lassen, ob der Medienstaatsvertrag mit dem Europarecht vereinbar ist.

Der deutsche Sonderweg bei der Plattformregulierung ist sowohl den großen US-Konzernen als auch der EU schon länger ein Dorn im Auge – insbesondere, da auf EU-Ebene derzeit am Digitale-Dienste-Gesetz gestrickt wird, das die Regulierung für die gesamte EU vereinheitlichen soll. Nationale Alleingänge trügen laut Kommission zur „Fragmentierung des Binnenmarktes“ bei.

Dem erwidert das Bundesjustizministerium auf Anfrage von netzpolitik.org, dass sich derzeit noch nicht abschätzen lasse, welchem Regelungsmodell das Digitale-Dienste-Gesetz (englisch: Digital Services Act) folgen werde und welche Auswirkungen das auf das NetzDG habe.

„Für die Bundesregierung ist es entscheidend, dass das durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erreichte Schutzniveau gegen strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken durch den Digital Services Act (DSA) nicht abgeschwächt wird“, so das Ministerium weiter. Falls das nicht gewährleistet werden könne, müsse es Öffnungsklauseln geben. Die würden den einzelnen Mitgliedstaaten ermöglichen, bestimmte Aspekte selbst zu regeln.


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