Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

UN Cybercrime Convention: Wie der Traum eines autoritären Staates

Die Vereinten Nationen stehen kurz davor, eine Konvention über Cyberkriminalität zu verabschieden. Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, ist tatsächlich ein Frontalangriff auf die Menschenrechte. Wird die Konvention in ihrer jetzigen Form beschlossen, könnten Regierungen damit ihre Bürgerinnen und Bürger engmaschig überwachen und unterdrücken.

Der Pressebereich im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York
Was wird im UN-Hauptquartier als Ergebnis der Verhandlungen verkündet? – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / ITAR-TASS

Die Idee für die Konvention tauchte erstmals zu Beginn der 2000er-Jahre in UN-Dokumenten auf. Die russische Regierung war damals federführend und wurde unter anderem von Mitgliedern der BRICS-Gruppe unterstützt. Vor allem jene Länder, die die Budapester Konvention des Europarats unterzeichnet hatten, wehrten sich jedoch gegen die Pläne. Sie hielten die bestehenden Instrumente für ausreichend, um Cyberkriminalität zu bekämpfen. Auch äußerten sie Bedenken hinsichtlich der Risiken für Menschenrechte, Freiheiten und den Datenschutz – insbesondere, weil die Regierungen Russlands und Chinas die Initiative vorantrieben.

Da es nicht gelang, einen Konsens unter den UN-Mitgliedstaaten zu erzielen, und zahlreiche westliche Staaten Widerstand leisteten, brachte Russland im Jahr 2019 eine entsprechende Resolution in die UN-Generalversammlung ein. Sie wurde gegen eine starke Opposition wegen zahlreicher Enthaltungen angenommen. 2021 begannen dann die Verhandlungen für eine „Internationale Konvention zur Bekämpfung der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für kriminelle Absichten“.

Eine lange Liste von „Verbrechen“

Seitdem haben die nationalen Delegationen sechs Verhandlungssitzungen bei den Vereinten Nationen in Wien und New York abgehalten. In dieser Zeit wurden kaum Fortschritte hin zu einer gemeinsamen Auffassung über die Anwendung und den Wortlaut des Vertrags erzielt. Schnell wurde deutlich, dass die Mitgliedstaaten grundlegend unterschiedliche Ansichten darüber haben, was Cyberkriminalität umfasst, wie das Internet reguliert und wie die Menschenrechte geschützt werden sollten – oder eben nicht. Trotz der eigentlich starken Verhandlungsposition der liberal gesinnten Länder ermöglicht es der derzeitige Vertragsentwurf den Regierungen, gegen eine lange Liste von online begangenen „Verbrechen“ vorzugehen.

Beispielsweise können laut aktuellem Entwurf alle „Verbrechen“, die eine Strafvollzugszeit von mindestens vier Jahren vorsehen, auf Basis der Konvention verfolgt werden. Diese sehr allgemein gehaltene Formulierung von „ernsthaften Verbrechen“ könnte es Staaten ermöglichen, elektronische Beweise auszutauschen sowie polizeilich und justiziell in Belangen zusammenzuarbeiten, bei denen es in ihren Augen um Verbrechen geht – wie Homosexualität, journalistische oder politische Arbeit. Terrorismus führt die Präambel ebenfalls als Straftatbestand auf, ohne diesen näher zu definieren.

Gefahr für Zivilgesellschaft und Medien

In Ermangelung eines Vertrags über digitale Rechte auf UN-Ebene könnte dieses Abkommen international verbrieften Menschenrechten entgegenlaufen. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Access Now oder das International Press Institute (IPI) fordern, personenbezogene Daten und Merkmale von der Strafverfolgung durch die Konvention auszuschließen. Ebenso würde eine enge Definition und Anwendung von sogenannten „cyber-abhängigen“ Verbrechen (cyber-dependant) bedeuten, dass nur Tatbestände, die durch Mittel der Informations- und Kommunikationstechnologie begangen werden können, geahndet werden. Sie ließen sich damit von „cyber-ermöglichten“ Verbrechen (cyber-enabled) abgrenzen, bei denen etwa ein Smartphone benutzt wurde, dessen Einsatz aber nicht zwingend notwendig war.

Die genannten Beispiele zeigen, warum viele Regierungen, zivilgesellschaftliche Gruppen und der Privatsektor befürchten, dass der vorliegende Textentwurf kein Vertrag ist, der Cyberkriminalität eindämmt. Stattdessen könnte er Regierungen vielmehr dazu ermächtigen, die Online-Aktivitäten ihrer Bürgerinnen und Bürger zu überwachen. Weil damit insbesondere auch Regierungskritiker oder Dissidentinnen ins Visier zu geraten drohen, liest sich der Entwurf geradezu wie der Traum eines autoritären Regimes.

Es braucht eine ganzheitliche Strategie

Um neben der Strafverfolgung und der internationalen Zusammenarbeit wirksam und nachhaltig gegen Cyberkriminalität vorgehen zu können, bedarf es einer ganzheitlichen Strategie, die auf einer offenen Gesellschaft, freien Medien und rechtsstaatlichen Institutionen aufbaut. Die Cybercrime-Konvention der UN droht jedoch, universelle Rechte zu beschädigen sowie wichtige Räume für die Zivilgesellschaft und die Medien zu schließen – und damit auch deren Einsatz gegen Kriminalität zu torpedieren.

Die letzte Verhandlungssitzung findet vom 29. Januar bis zum 9. Februar bei den Vereinten Nationen in New York statt. Dann soll der Verhandlungsausschuss zu einer Entscheidung kommen, entweder im Konsens oder alternativ durch Abstimmung. Es wird dabei unter anderem auf die Stimmen von Staaten aus dem globalen Süden ankommen. Sie werden dann auch darüber entscheiden, wie wichtig ihnen Menschenrechtsstandards in diesem Bereich sind.

Sollte der Vertrag tatsächlich in der vorliegenden Form angenommen werden, besteht die Gefahr, dass die Vereinten Nationen im Stillen so umgestaltet werden, dass sie jenen universellen Werten zuwiderlaufen, auf denen sie gegründet sind. Die Mitgliedstaaten, die sich zu ebendiesen Werten bekennen, müssen nun dafür sorgen, dass wir nicht an diesen Punkt gelangen.

Ian Tennant ist Leiter der multilateralen Vertretung in Wien bei der Global Initiative Against Transnational Organized Crime, einer unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisation mit Sitz in Genf.

Simon Ilse ist Referent für Menschliche Sicherheit bei der Heinrich-Böll-Stiftung mit Sitz in Wien.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires