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Rückführungsverbesserungsgesetz: Eingeschleuste Staatstrojaner

Die Bundesregierung will Abschiebungen effizienter machen, heute soll der Bundestag darüber entscheiden. Neben Eingriffen in die Grundrechte von Geflüchteten weitet das Gesetz den Einsatz von Staatstrojanern aus. Das könnte auch diejenigen treffen, die Geflüchtete in der zivilen Seenotrettung vorm Ertrinken bewahren.

Ein hellblaues Holzboot auf dem Meer
Menschen versuchen, auf Holzbooten nach Europa zu fliehen und geraten regelmäßig in Seenot. – Alle Rechte vorbehalten Nick Jaussi & sea-eye.org

Im Oktober hatte Olaf Scholz, Parteibuch: SPD, im Interview mit dem Spiegel angekündigt, er wolle „mehr und schneller abschieben“. Wer keine Bleibeperspektive hat, soll nach dem Willen des Bundeskanzlers möglichst effizient aus Deutschland geworfen werden. Am heutigen Donnerstag stimmt der Bundestag über eines der Gesetze ab, die diesem Hardliner-Kurs in der Migrationspolitik entspringen. In Beamtendeutsch heißt es: Rückführungsverbesserungsgesetz.

Es enthält eine Reihe von Maßnahmen, die Rechtsexpert:innen als „Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremen“ und verfassungswidrig kritisieren: etwa verschärfte Abschiebehaft, Kürzungen von Leistungen von Asylbewerber:innen und weitreichende Befugnisse bei der Durchsuchung von Geflüchtetenunterkünften.

Daneben weitet das Schneller-Abschieben-Gesetz die Möglichkeiten zur digitalen Durchsuchung von Asylsuchenden aus. Behörden wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sollen künftig nicht nur die Smartphones, sondern gleich auch noch Cloud-Speicher der Schutzsuchenden auslesen. Diese Erweiterungen hatte die Bundesregierung geplant, nachdem das Bundesverwaltungsgericht geurteilt hatte, dass die Datenträgerauslesungen durch das BAMF eingeschränkt werden müssen. Zusätzlich dürfen künftig nicht nur mitgeführte Sachen von Ausreisepflichtigen nach Datenträgern durchsucht werden, sondern nach Richterbeschluss auch ihre Wohnungen.

Mehr Staatstrojaner bei Schleusungen

Wenig beachtet war bisher ein Aspekt des Gesetzes, der durch eine Formulierungshilfe des Innenministeriums im parlamentarischen Verfahren in den Text kam: die Ausweitung von Telekommunikationsüberwachung und Staatstrojanern bei Schleusungen.

Dieser Teil des Gesetzes könnte Menschen weitere Steine in den Weg legen, die humanitäre Hilfe leisten möchten, etwa in der zivilen Seenotrettung. Um das zu verstehen, muss man das Vorhaben allerdings genau unter die Lupe nehmen.

Das „Einschleusen von Ausländern“ ist zunächst in § 96 des Aufenthaltsgesetzes beschrieben. Ein Teil dieses Paragrafen – Absatz 2 – beschäftigt sich mit gewerbs- und bandenmäßiger Schleusung. Dabei geht es also um Schleusergruppen, die Flüchtenden oftmals viel Geld dafür abnehmen, sie auf unsicheren und teils tödlichen Wegen in die EU zu bringen.

In solchen Fällen konnten Behörden bereits in der Vergangenheit Kommunikation überwachen. Die Strafprozessordnung regelt, dass die Telekommunikationsüberwachung bei bestimmten „schweren Straftaten“ erlaubt ist. Nun sollen aber auch für andere Fälle von Schleusung die möglichen Strafen steigen. In der Begründung heißt es dazu unter anderem, dass bei Schleusungen Personen zusammenwirken würden, „ohne dass aufgrund der flexiblen Strukturen immer eine ‚Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat’ […] vorliegt“. Das heißt: Auch in anderen Fällen wird dann Telekommunikationsüberwachung erlaubt sein.

Außerdem werden die Voraussetzungen dafür herabgesetzt, dass etwas überhaupt als Schleusung gilt. So soll die Voraussetzung wegfallen, dass eine Person „einen Vermögensvorteil erhält oder sich versprechen lässt“.

Klarstellung, die keine ist

Die geplanten Änderungen am Aufenthaltsgesetz sorgten im Dezember für starken Gegenwind, da sie zu einer Kriminalisierung von humanitärer Fluchthilfe führen würden, insbesondere der Seenotrettung. Das Innenministerium dementierte das zunächst auf dem früheren Twitter und in Briefen an Abgeordnete. Nach einigem Streit einigten sich die Koalitionspartner schließlich doch auf eine Anpassung des geplanten Gesetzes.

Am Dienstag hat der Innenausschuss des Bundestags einen Änderungsantrag beschlossen, der für Laien komplett unverständlich ist. Bevor wir ihn erklären, möchten wir ihn dennoch einmal im Wortlaut wiedergeben:

Im Satzteil vor der Nummer 1 werden die Wörter „Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2 und 5 und Absatz 3“ durch die Wörter „Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und Nummer 2, Satz 2, Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2, 3, 5 und 6, Satz 2 und Absatz 3 sowie bei Einreise auf dem Landweg auch Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b“ ersetzt.

Mit dieser „Klarstellung“ soll die Seenotrettung also vermeintlich aus dem Schneider sein, wenn es um harte Strafen und Staatstrojaner-Einsatz geht, weil sie keine Einreise „auf dem Landweg“ darstelle. Der unübersichtliche Passus lässt jedoch bedenkliche Lücken, wie Rechtsfachleute festgestellt haben.

Aziz Epik lehrt Internationales Strafrecht an der Universität Hamburg. Er verfasste gemeinsam mit Rechtswissenschaftler Valentin Schatz bereits im Dezember ein Gutachten zur möglichen Kriminalisierung der Seenotrettung. Nun sagte er dem Tagesspiegel zur Anpassung: „Es wurde offenbar übersehen, dass durch einen Verweis auf einen anderen Absatz des Gesetzes der spezielle Fall der Einreise unbegleiteter minderjähriger Ausländer auf dem Seeweg weiterhin von der Ausweitung der Strafbarkeit erfasst wäre.“ Denn im Fall Minderjähriger wiegt eine angebliche Schleusung laut dem Gesetz besonders schwer.

Humanitäre Hilfe entkriminalisieren

Eine wirkliche Klarstellung wäre es gewesen, humanitäre Hilfe ausdrücklich aus der Strafbarkeit auszunehmen – unabhängig ob der Weg über Wasser, Land oder durch die Luft führt. Das taten die Koalitionspartner jedoch nicht. Der Jurist David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte kommentiert dazu gegenüber netzpolitik.org: „Die Ampel bricht ihr Versprechen, Seenotrettung nicht zu kriminalisieren. Wer unbegleitete Minderjährige rettet, muss mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren rechnen.“

Selbst wenn zivile Fluchthelfer*innen am Ende keine Strafe erhalten, könnten sie überwacht werden. Denn die ausgeweitete Strafbarkeit macht den Einsatz von Staatstrojanern möglich. „Wenn nur eine Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht bejaht, kann die ganze Palette strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen zum Einsatz kommen. Das reicht von Durchsuchungen bis zum Einsatz von Staatstrojanern“, schreibt Werdermann. Dass dies nicht unmöglich ist, lege die aktuelle politische Lage nahe: „Mal angenommen, die AfD stellt künftig den Justizminister in Sachsen oder Thüringen: Es braucht nicht viel Phantasie, um vorauszusagen, wie dieser sein Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft in solchen Fällen nutzen würde.“


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