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Breakpoint: Hass hat einen Namen

Mein Bekannter postet Hasskommentare im Netz. Woher ich das weiß? Er tut das unter seinem Klarnamen. Hier braucht es keine weitere Regulation des Internets, sondern etwa Zivilcourage.

Verwaschenes Bild von schreienden Mündern
Hass findet auch unter Klarnamen statt. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Nsey Benajah

„Ich kann keine Jacken finden, die an meinen Hüften schließen – also habe ich meine eigene designt“, lautet der Text des Videos, über das ich auf Instagram stolpere, ursprünglich auf Englisch. Es zeigt eine junge Frau, die ihren neuen Hoodie präsentiert. Es ist der wahrscheinlich hundertste Clip, den ich heute ansehe. Und ich finde ihn uninteressant: Es ist ein Werbevideo wie Tausende andere an diesem Tag.

Als ich gerade weiterscrollen will, poppt ein vorgeschlagener Kommentar in der unteren Ecke meines Bildschirms auf: „Eat less“. Iss weniger. Unverschämt, denke ich. Ich lese den Nutzernamen; und stelle fest: Ich kenne den Kommentator. Ich habe vor wenigen Monaten gemeinsam mit ihm Abitur gemacht. Nennen wir ihn in diesem Text Patrick Hansar. 
 
In seinem Profil stehen sowohl sein Vor- als auch sein Nachname: Es ist kein Namensvetter, es ist wirklich mein Bekannter. Ich scrolle weiter durch die Kommentarspalte des Hoodie-Videos. Dort schimpfen Kommentator:innen auf dicke Menschen, auf Frauen, auf Personen, die ein Leben führen, das den Fremden im Internet missfällt. Wenige der Kommentare sind positiv, kaum einer geht auf das beworbene Produkt ein.

Ein User fragt, weshalb die Nutzer:innen in der Kommentarsektion so feindselig seien, was sie denn gegen dicke Menschen einzuwenden hätten? Wieder sticht mir ein Post von Patrick ins Auge: Sie seien „eine Last für die Gesellschaft“, steht da.
 

Jauchegruben menschlichen Umgangs

Ich bin schockiert. Nein, angewidert. Ich antworte auf seinen Kommentar und konfrontiere ihn mit seiner Hassnachricht. Das hätte ich bei einem Fremden nicht getan. Nach einer kurzen Diskussion löscht er seinen ersten Kommentar, der andere bleibt stehen. Einige Tage später sehe ich wieder einen abwertenden Kommentar von Patrick, unter dem Video einer anderen Creatorin. 
 
Dass online gegen marginalisierte Gruppen gehetzt wird, ist nicht überraschend. So wie auch im analogen Leben, werden im Netz Menschen mit Behinderung, Frauen, Queere oder Dicke, POCs und Arme Zielscheiben willkürlichen Hasses. Gerade die Kommentarspalten auf Instagram mutieren allzu oft zu Jauchegruben menschlicher Umgangsformen. 
 
Erst Anfang November fand ein kurzer Videotrend auf Instagram statt: User:innen präsentierten die Kommentarsektionen unter ihren Videos und verglichen diese mit denen auf anderen Plattformen. Sie zeigten ihrem Publikum so, welche Äußerungen sie täglich in den sozialen Medien erleben. Sie schienen es gewohnt zu sein, für Videos aller Art, für jegliches willkürliche Detail angefeindet zu werden. In den Videos – und wiederum in den Kommentaren unter den Posts – scherzen die User:innen darüber, wie rau der Umgangston in den sozialen Medien sei.

Ein Hasskommentar kommt selten allein

Dabei ist auffällig, dass Hasskommentare unter Posts oftmals gehäuft vorkommen; seltener finden sich einzelne Anfeindungen. Die Ziele scheinen beliebig: Hauptsache es gibt die Möglichkeit, jemanden herabzuwürdigen, zu beleidigen oder zu verhetzen. Es wirkt zufällig, ob Urheber:innen eine Hasswelle erleben müssen oder die Kommentare positiv bleiben. 

Die Räume in den sozialen Medien funktionieren wie eine Echokammer. Die User:innen fühlen sich bestätigt und ermutigt, wenn andere ihre Meinung teilen. So vermehrt sich der Hass in einer Kommentarspalte schnell – besonders, wenn er unwidersprochen bleibt. 
 
Wolfang Schäuble hat einmal behauptet: „Anonymität ist immer die Versuchung zur Hemmungslosigkeit“. Damit wollte er sagen, dass Anonymität Menschen zu etwas verleitet, was sie sonst nicht tun würden. In diesem Fall bezog sich Schäuble auf Hasspostings online. Unter dieser Prämisse plädierte der ehemalige Bundestagspräsident 2020 für die Einführung einer Klarnamenpflicht für die Nutzung sozialer Medien. Der Gedankengang dabei: Wer nicht anonym ist, hat größere Hemmungen, die eigene Hetze ins Netz zu tragen.
 

Für Hass stehen sie mit ihrem Namen

Dass das eine Fehlannahme ist, demonstriert eine Studie der Universität Zürich aus dem Jahr 2016: Sie ergab, dass Nutzer:innen, die online unter ihrem Klarnamen auftraten, häufiger aggressive Kommentare schrieben als User:innen unter Nickname. Damals waren Patrick von Instagram und ich rund zehn Jahre alt, doch an Aktualität hat die Erhebung nicht verloren.

Gerade auf Twitter kann man erschreckende Kommentare der politischen Rechten unter den Posts von Nachrichtenportalen oder Regierungsvertreter:innen betrachten: Martina Schneider denkt über die Ampel-Koalitionäre: „Diese Irren gehören in die Anstalt!!“ Ihren Namen haben wir wie die der folgenden Kommentator:innen geändert.

„Volksverräter!“, findet hingegen Gerd Maschner. Joachim Fleischer meint über Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang: „Die ‚Blenderin‘ schwatzt wieder von Dingen, die sie nicht versteht“. „Frau Baerbock, Sie und die Bundesregierung sind eine Schande für Deutschland“, erklärt Maik Kreitz unter einem Tweet der Außenministerin. Auch Michael Braun ist der Meinung: „Na dann muss halt auch das Bundesbambi @ABaerbock über ihren Schatten springen […]“.

Diese Kommentare haben die User:innen unter Namen veröffentlicht, die augenscheinlich ihre Klarnamen sind. Vielleicht haben einzelne einen anderen vermeintlichen Namen angegeben. In der Bio ihrer Accounts kann man nichts selten auch ihren Wohnort, Familienstand und Hobbys nachlesen: „Familienvater“, steht da. Oder „TSG-Fan“. Oder „Ost-Friese mit Leib und Seele“. 

Mehr Courage wagen

Ihre Hetze leben viele Hasskommentierende nicht etwa aus, weil sie glauben, im Netz ihre Identität verwischen zu können – ganz im Gegenteil: Sie hetzen offenbar, um sich zu profilieren. Oder: Es ist ihnen schlichtweg egal. Denn sie wissen, dass sie für ihre Ausfälle in den meisten Fällen keine Konsequenzen befürchten müssen. Eine Klarnamenpflicht kann Hass und Hetze im Netz nicht beseitigen. Es müssen nicht die Accounts, sondern ihre Inhaber reguliert werden.

Das bedeutet, politisch gegen rechtsradikale Netzwerke anzugehen. Es bedeutet, strafrechtlich relevante Inhalte zu ahnden. Und diejenigen ernst zu nehmen, die sie anzeigen. Es bedeutet, bei Diskriminierung nicht still zu bleiben und Mobbing nicht zu ignorieren, wenn man es beobachtet. Es ist Zeit für mehr politische und gesellschaftliche Courage, statt Freiheitsrechte immer weiter zu beschränken. 

Denn das Problem sind nicht die sozialen Medien. Das Problem ist nicht, dass Menschen im Netz anonym sein dürfen. Das Problem ist, dass sich Personen online sicher dabei fühlen, Hass zu schüren – auch ohne anonym zu sein.


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