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Bullshit-Busters: Die letzte Schlacht gegen die Vorratsdatenspeicherung gewinnen wir

Massenüberwachung mit schwerem Eingriff in die Privatsphäre aller hat einen Namen: Vorratsdatenspeicherung. Wir entlarven die untoten Argumente der Befürworter. Denn die Grundrechte der Menschen liegen uns am Herzen.

Sie ist so untot, dass sogar ein steinalter Vampir vor Neid erblassen würde: die Vorratsdatenspeicherung. Wer es im vergangenen Jahrzehnt verpasst hat: Das Wortungetüm beschreibt die Idee, das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung dauerhaft zu speichern. Das hieße, von jedem Menschen zu wissen, wann und von wo er mit wem telefoniert hat. Beispielsweise würde gespeichert, wo Innenministerin Nancy Faeser gestern ab Mitternacht bis 1:06 Uhr war, als sich ihr Mobiltelefon zunächst mit durchschnittlich 54 Kilometern pro Stunde durch Berlin bewegte und dann plötzlich ausgeschaltet wurde.

Eine lange Reihe von Urteilen europäischer Höchstgerichte hat dieser allgemeinen und wahllosen Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten enge Grenzen gesetzt. Immer wieder haben die Gerichte sie für rechtswidrig und für unvereinbar mit Grund- und Menschenrechten befunden. Das Bundesverfassungsgericht kam schon im Jahr 2010 in seinem Vorratsdatenurteil zu dem Schluss, dass die deutsche Regelung verfassungswidrig war. Die zugrundeliegende EU-Richtlinie, die eine Speicherung aller Telekommunikationsdaten für einen Zeitraum von zwölf Monaten zur Pflicht machte, kippte der Europäische Gerichtshof im Jahr 2014. Zuletzt entschied auch das Bundesverwaltungsgericht im September 2023, dass eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig ist.

Zocken gegen den Bullshit

Ungeachtet all dieser Urteile ist die letzte Schlacht um die seit 2006 diskutierte Massenspeicherung noch immer nicht geschlagen. Insbesondere konservative Kreise sowie Teile der Sozialdemokratie fordern sie weiterhin.

Zumindest liegt seit dem vergangenen Jahr ein Gesetzentwurf für das alternative Quick-Freeze-Verfahren auf dem politischen Tisch. Doch die letzte Schlacht gewinnen wir!

Drei mächtige Bullshit-Mythen haben wir „gebustet“:

  • Mythos #1: Ohne eine Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten können wir die Kriminalität in Deutschland nicht wirkungsvoll bekämpfen! Huch, das ist ja Bullshit! Die Zahlen über die Aufklärungsraten bei Verbrechen und zum Rückgang der Kriminalität hierzulande sprechen eine deutliche Sprache. Das musste selbst der Prototyp der Vorratsdaten-Hardliner, Horst Seehofer (CSU), im Deutschen Bundestag zu Protokoll geben:

    Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört zu den sichersten Ländern der Welt. […] Das drückt sich aus in Folgen, die unbestreitbar sind, nämlich in der objektiven Kriminalstatistik. Wir haben bei der Zahl der Straftaten den niedrigsten Wert seit Anfang dieses Jahrhunderts, und wir haben die höchste Aufklärungsquote seit dem Jahre 2005. Nie war die Aufklärungsquote von Straftaten in unserem Lande höher als jetzt.

    Unbestreitbar – und wer würde es auch wagen, Seehofer zu widersprechen? Zumal die wissenschaftliche Forschung ebenfalls zeigt, dass eine anlasslose Datenspeicherung nicht notwendig ist, wie eine viel zitierte Studie der Max-Planck-Gesellschaft im Auftrag des Bundesamtes für Justiz ergab.

  • Mythos #2: Daten der Vorratsdatenspeicherung und die Protokolle dieser Nutzerspuren sollen nur gegen Terrorismus, vielleicht noch bei schweren und schwersten Verbrechen genutzt werden. Das ist der Bullshit, mit dem uns die Vorratsdatenspeicherung von Anfang an angepriesen wurde. Unterdessen bekräftigte der Europäische Gerichtshof im Jahr 2022 nochmals, dass ein anlassloses Speichern von Kommunikationsdaten auch dann gegen EU-Recht verstößt, wenn es dem Kampf gegen schwere Verbrechen wie etwa Mord dient. Schon 2015 waren Mord und Terror aber vergessen und der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wollte mit der Vorratsdatenspeicherung auch Einbrecher jagen. In Bayern forderte der Justizminister Georg Eisenreich, (CSU) die Vorratsdatenspeicherung gegen Hasskommentare einzusetzen. Auch bei Kinderschutz und sexualisierter Gewalt ruft die Unionsfraktion nach der Vorratsdatenspeicherung, was auch sonst? Heute sind wir längst weiter: Im September 2023 argumentierte der EuGH-Generalanwalt, dass eine Vorratsspeicherung von IP-Adressen nach EU-Recht legal sein könnte, wenn damit Urheberrechte durchgesetzt würden.
  • Mythos #3: Vorratsdaten­speicherung kann einen Anschlag oder ein Verbrechen verhindern. Das ist schon deswegen Bullshit, weil es bei der Vorratsdatenspeicherung um Aufklärung von bereits begangenen Verbrechen geht. Allerdings können viele Praktiker der Polizei Beispiele nennen, wo Vorratsdaten im Einzelfall bei der Verbrechensbekämpfung hilfreich wären. Doch wegen seltener Einzelfälle darf man nicht alle Bürger unter Generalverdacht stellen und sämtliche ihrer Daten wegspeichern. Denn das ist ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre von Menschen, für den man überaus gute Gründe haben müsste.


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