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Lobbying in Brüssel: Fleischgewordener Interessenskonflikt

Ausgerechnet an Fronleichnam schlägt die EU-Kommission ein neues Gremium vor, das Ethikverstöße des eigenen Personals regeln soll. Doch das hindert Kommissar:innen und Abgeordnete künftig kaum, ihr Wissen und ihre Kontakte an die Industrie zu verkaufen. Ein Kommentar.

Gemälde von Mann, der durch Drehtüre geht
Wenn jemand nahtlos von der Politik ins Lobbying wechselt, heißt das in Brüssel „Drehtürwechsel“ – Alle Rechte vorbehalten Dall-E

Im Englischen heißt es Revolving Door, im Französischen Pantouflage. Im Deutschen haben wir Günther Oettinger. Der fleischgewordene Interessenskonflikt aus Schwaben schaffte die fast geräuschlose Verwandlung vom lobbyfreundlichsten Kommissar Europas zum umtriebigen Businessman. Kaum ein Aufsichtsrat, bei dem Oettinger nicht an der offenen Tür vorbeiflaniert.

Gesetze für jene zu machen, für die man später arbeitet, ist das Brüsseler Geschäft schlechthin. Wichtig ist es, agil zu bleiben. Wer eben noch als Assistentin einer Abgeordneten Klimaziele formuliert, ist morgen Lobbyistin für Shell. Wer in der Kommission die Abteilung für Telekommärkte leitet, arbeitet demnächst bei Vodafone. Und wenn einer als Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur ein Milliardenbudget verwaltet, kann er trotzdem ein paar Monate später beim Rüstungskonzern Airbus anheuern. Regelverstoß? Ja, schon. Aber egal.

Denn Ethikregeln der EU-Institutionen sind, nun ja, eher unverbindliche Empfehlungen. Daran ändert selbst der Katargate-Skandal um Bestechungsgelder für Abgeordnete im EU-Parlament erst mal nichts. Klar, was belgische Ermittlungsbehörden der griechischen Abgeordneten Eva Kaili und ihren Vertrauten vorwerfen, nämlich für Koffer voller Geld im Interesse des Golfstaates Katar politischen Einfluss genommen zu haben, ist strafbar.

Aber oft funktioniert Einflussnahme subtiler, in einer rechtlichen Grauzone. Es geht um die Korruption im Kleinen. Wer hat das Hotel des Kommissars bezahlt? Darf der Abgeordnete das Handy behalten, das er von Huawei geschenkt bekommen hat? Ist es okay, Änderungsanträge einzubringen, die den Aktienkurs jener Firmen beeinflussen, an denen die Abgeordnete Beteiligungen hält?

Ethikgremium als „zahnlose Bulldogge“

Welche Grenzen interne Regeln für politische Entscheidungsträger:innen in den EU-Institutionen setzen sollen, soll jetzt ein neues Ethikgremium prüfen. Dass die EU-Kommission ihren Vorschlag dafür gestern unterbreitete, an Fronleichnam, passt irgendwie. Das katholische Hochfest feiert die Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Die Heilandsreste werden in Festprozessionen von Priestern als Monstranz vor sich hergetragen.

Ähnlich weihrauchumwabert trug gestern Transparenzkommissarin Věra Jourová die Idee „gemeinsamer ethischer Standards“ der EU-Institutionen vor sich her. Das Ethikgremium, das sie vorschlägt, soll diffuse rechtliche Grauzonen in greifbare Regeln verwandeln. Umsetzen sollen diese dann die teilnehmenden Institutionen – darunter die Kommission, der Rat, das Parlament, die Europäische Zentralbank und der Gerichtshof der Europäischen Union – jede für sich.

Ob die mächtigen Institutionen tatsächlich ihre Spielregeln ändern – und Strafen gegen jene setzen, die sie brechen – das überlässt das Gremium dem guten Gewissen der Beteiligten. Jourovás Vorschlag sieht keine Ermittlungsbefugnisse für das Gremium vor, auch keine Sanktionsmöglichkeiten. Damit hat die Ethikkörperschaft weniger Kompetenzen als bestehende Institutionen wie die EU-Antikorruptionsbehörde Olaf, die Europäische Staatsanwaltschaft oder die Europäische Ombudsfrau.

Zwar kann das Ethikgremium vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen klagen, wenn eine der Institutionen die gemeinsamen Standards verletzt. Aber nichts hindere die Institution daran, die gemeinsamen Standards gar nicht erst umzusetzen, sagt der Jura-Professor Alberto Alemanno. Auch eine liberale Abgeordnete kritisiert: Das Ethikgremium sei eine „zahnlose Bulldogge“.

2024 rotiert das Jobkarussell

Wie weit die ethische Grauzone bislang ist, wie groß die Konsequenzlosigkeit von Verstößen, das wissen wir nicht erst sei Katargate. Schon Monate zuvor sorgte der Fall von Neelie Kroes für einen Skandal. Als EU-Digitalkommissarin sprang die niederländische Politikerin öffentlich Uber beiseite, als der US-Konzern mit europäischen Behörden rang. Im Sommer 2022 enthüllten der Guardian und andere internationale Medien in den Uber Files, dass Kroes wohl schon kurz nach Ende ihrer Amtszeit heimlich für den Konzern lobbyierte, als ihr das interne Regeln der Kommission eigentlich verbaten.

Gegenüber NGOs, die schon lange vorher Fragen zu dem Fall Kroes stellten, mauerte die Kommission. Erst die Enthüllungen brachten Druck, inzwischen ermittelt Olaf. Doch knapp ein Jahr später hat die Kommission ihre eigenen Ethikregeln nicht nachgeschärft.

Dafür könnte die Transparenzkommissarin Jourová sorgen, auch wenn sie es gegen internen Widerstand in der Kommission durchsetzen müsste. Das Ethikgremium, das Jourová statt verbindlichen Regeln im eigenen Haus vorschlägt, ist bestenfalls ein Spiel über die Bande. Den nächsten Oettinger, die nächste Kroes gibt es spätestens kommendes Jahr, wenn die Amtszeit der derzeitigen Kommission endet. Dann rotiert das Jobkarussell, bis den Konzernen vor lauter politischem Einfluss schwindelig ist.

Was die Kommission braucht, was das Parlament braucht, sind keine zahnlosen Körperschaften, die kaum greifbare Standards setzen. Die EU-Institutionen brauchen strenge Regeln gegen Interessenskonflikte, wirksam flankiert von Strafen. Bleiben sie dabei untätig, machen sie sich zu Erfüllungsgehilfen der Lobbyindustrie.


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