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Vereinigtes Königreich: Mit Gesichtserkennung auf Jagd nach Ladendieben

Wer auf den britischen Inseln im Supermarkt einkauft, muss damit rechnen, biometrisch überwacht zu werden. Der Dienstleister Facewatch versorgt hunderte Läden mit Gesichtserkennung in Echtzeit, um angebliche Ladendiebe zu erkennen. Alles legal, sagt die Aufsichtsbehörde.

In britischen Supermärkten ist Videoüberwachung mit Gesichtserkennung in Echtzeit eingezogen. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Fotos: unsplash.com / Montage: netzpolitik.org

Wer die Website des britischen Überwachungsunternehmens Facewatch aufruft, erhält ein Hinweisschild eingeblendet. „Alles legal“, versichert es sinngemäß. Vier Jahre lang habe die Datenschutzbehörde ICO die Firma untersucht und letztlich festgestellt, dass alles rechtens sei. Auch eine amtliche Zertifizierung garantiere, dass sich das Londoner Unternehmen an den Verhaltenskodex für Betreiber von Überwachungskameras halte.

Ähnlich gestaltete Hinweisschilder finden sich inzwischen auch offline, vor hunderten kleinen wie großen Geschäften und Handelsketten im Vereinigten Königreich, darunter Spar oder Sports Direct. Wer die Läden betritt, wird durchleuchtet: Überwachungskameras zeichnen die Gesichter der Kund:innen auf und übertragen die biometrischen Daten an Systeme, die sie mit einer Datenbank abgleichen. Darin finden sich Gesichtsdaten von Menschen, bei denen ein „begründeter Verdacht“ besteht, dass es sich um Ladendiebe oder sonstwie auffällige Kund:innen handelt. Bei einem Treffer schlägt das System Alarm und benachrichtigt Ladenmitarbeiter:innen. Die können dann ein aufmerksames Auge auf die Verdächtigen werfen oder sie gleich aus dem Laden komplimentieren.

Invasive Technik inzwischen Alltagspraxis

Während die EU derzeit heftig debattiert, ob und in welchem Ausmaß biometrische Echtzeit-Überwachung zugelassen werden soll, ist die Praxis auf der britischen Insel zum Alltag geworden – nicht nur bei staatlichen Ermittlungsbehörden, sondern auch im privaten Supermarkt um die Ecke. Läppische 250 Pfund, umgerechnet knapp 290 Euro, kostet ein Monatsabo beim Dienstleister Facewatch. Enthalten ist der Benachrichtigungsservice sowie die Möglichkeit, selbst Aufnahmen von Verdächtigen in die Datenbank einzupflegen.

Möglich machen das rasant sinkende Kosten für Gesichtserkennung in Echtzeit. Neben einer eigenen Software setzt Facewatch auf Amazon Rekognition, um sich abzusichern. Nicht einmal zwei Cent kostet eine Abfrage bei dem Cloud-Dienst, nach 500.000 Checks wird es günstiger. Doch die Technik ist gefährlich, weil sie zu Fehlern neigt und schnell diskriminieren kann. Das weiß auch Amazon: Öffentlichkeitswirksam hatte das Unternehmen vor einigen Jahren die Polizei von seinem Angebot ausgeschlossen, seither hat es das Moratorium auf unbestimmte Zeit verlängert. Indes sind private Abonnenten, die polizeiähnliche Aufgaben erfüllen, davon offenkundig nicht erfasst.

Das führt zu Problemen. So wurde etwa in Bristol eine Frau des Geschäfts verwiesen, weil es zehn Monate zuvor einen „Vorfall“ gegeben habe und sie für ein Jahr in der Datenbank gelandet war, berichtet die New York Times. Unklar bleibt, ob es sich um einen Fehler oder ein Missverständnis gehandelt hatte. Klar ist aber, dass es um zwanzig Pfund ging – eine Bagatelle. Und dass die Frau gar nicht wusste, dass sie auf einer Blacklist gelandet war, und sich nicht wehren konnte, bevor es zu spät war.

Grünes Licht für Gesichtsüberwachung

Hinweisschilder sollen Vertrauen schaffen, hofft das britische Überwachungsunternehmen Facewatch. - Screenshot Facewatch.co.uk

Tatsächlich hat Facewatch nach der ICO-Untersuchung einige Anpassungen vorgenommen. Unter anderem weisen nun mehr Hinweisschilder vor und in den Shops auf die Technik hin, zudem soll das Speichern personenbezogener Daten minimiert worden sein und sich der Fokus auf Wiederholungstäter:innen richten, schreibt der zuständige ICO-Beamte Stephen Bonner in einem Blog-Beitrag. Das soll Fälle wie den in Bristol unmöglich machen. Ansonsten gibt es aber grünes Licht für die Durchleuchtung im Supermarkt: „Innovative Lösungen, die Unternehmen bei der Kriminalitätsprävention unterstützen, liegen im öffentlichen Interesse und sind ein Nutzen für die Gesellschaft“, schreibt Bonner.

In der breiten Öffentlichkeit scheint aber bis heute nicht so ganz durchgedrungen zu sein, wie weit die Massenüberwachung im Vereinigten Königreich mittlerweile reicht. Als die Boulevardzeitung Daily Mail im Frühjahr enthüllte, dass unter anderem mit Sports Direct eine der größten Sportketten das System von Facewatch einsetzt, sorgte dies für einen veritablen Skandal. Dutzende Parlamentsabgeordnete protestierten, ein breit unterstützter offener Brief der Grundrechteorganisation Big Brother Watch warnte vor der Technik.

„Trotz ihres invasiven Charakters hat sich Gesichtserkennung in Echtzeit als ungenau und als unwirksames Instrument im Kampf gegen Kriminalität erwiesen“, heißt es in dem Brief. Bisher fielen 87 Prozent der vom eigenen System der Metropolitan Police generierten Warnungen ungenau aus. Unverhältnismäßig stark seien schwarze Menschen und Frauen betroffen, heißt es weiter: „In einem öffentlichen Umfeld können solche Fehlidentifikationen äußerst belastend für die betroffene Person sein und können weitreichendere Auswirkungen auf ihr Leben und ihren Lebensunterhalt haben.“

Bislang sind die Warnungen ungehört verpufft, Sports Direct und andere Läden bauen ihre Überwachungssysteme weiter aus. Dabei war erst letzte Woche bekannt geworden, dass die ICO-Untersuchung von Facewatch zahlreiche Rechtsverstöße zutage gefördert hatte. Eine Strafe gab es dafür nicht, der Aufsichtsbehörde reichten nur sanfte Anpassungen des Überwachungssystems. Dies berührt das Grundproblem der Technik jedoch nicht, schreibt Big Brother Watch: „Wir halten daran fest, dass die Datenverarbeitung durch Facewatch Datenschutz- und Menschenrechtsstandards nicht entspricht.“


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