Der deutsche Staat tut sich noch schwer damit, öffentlich finanzierte Informationen für alle bereitzustellen. Ein Grund dafür ist ein Paragraf des Urheberrechtsgesetzes, der den Umgang mit „anderen amtlichen Werken“ bestimmt. Wir zeigen , wie es anders gehen kann.
Zwei Bilder des Planeten Erde sind ikonisch geworden: das Blue-Marble-Foto und „Earthrise“, das Motiv der über dem Mondhorizont aufgehenden Erde. Die Aufnahmen haben einen eigenen Wikipedia-Artikel und stammen von NASA-Raumfahrenden – also US-Regierungsbeschäftigten.
Sie können daher frei verwendet werden – denn die NASA ist eine US-Bundesbehörde, deren Fotos nicht dem US-Copyright unterworfen sind. Außerhalb der USA besteht zwar grundsätzlich urheberrechtlicher Schutz solcher Inhalte, die US-Regierung setzt das aber nicht durch. Deshalb werden sie gern zur Bebilderung etwa von Artikeln genutzt. Das zeigt, welche Vorteile sich aus dieser Praxis für das Gemeinwohl ergeben.
In Deutschland gibt es eine Regelung in dieser Form nicht – ganz im Gegenteil. Vor knapp zehn Jahren hat Mathias Schindler bei der re:publica auf die unbefriedigende Regelung zu amtlichen Werken aufmerksam gemacht. Das deutsche Urheberrechtsgesetz stellt nämlich in Absatz 1 des Paragrafen 5 klar, dass Gesetze, Verordnungen, amtliche Bekanntmachungen und Leitsätze nicht dem Urheberrecht unterliegen.
Dieser Teil klingt erst einmal gut und ähnlich der Regelung in den USA. In den USA jedoch sind nicht nur Gesetze und Bekanntmachungen vom Urheberrecht ausgenommen, sondern alle Werke, die von Beamt*innen oder Angestellten der US-Regierung im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben erstellt werden. Also auch Datensätze, Videos oder eben die von Raumfahrenden angefertigten Fotos.
Raten, was die Behördenleitung will
In Deutschland dagegen diskutieren wir seit Jahren die Frage, ob beispielsweise eine CSV-Tabelle mit Informationen aus einem amtlichen Werk ebenfalls solch ein amtliches Werk darstellt oder nicht. Man könnte denken, dass die Frage einfach zu beantworten ist, denn mit Absatz 2 des § 5 UrhG es gibt sogar eine Regelung zu anderen Arten staatlicher Inhalte, jenseits von regelnden Texten wie Gesetzen, Verordnungen. Dieser Absatz erweitert die Freiheiten des Absatzes 1 auf alle „anderen amtlichen Werke, die im amtlichen Interesse zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden sind“.
Obwohl es auf den ersten Blick so aussieht, als würden auch nach deutschem Recht letztlich alle Werke und sonstigen Inhalte aus staatlicher Produktion urheberrechtsfrei und damit frei nutzbar sein, schränkte paradoxerweise der Bundesgerichtshof (BGH) dieses Recht ein.
Denn nur was wirklich maximal weit verbreitet werden soll (aus der jüngeren Vergangenheit könnte man etwa an eine Warnung vor einem neuen Virus denken), ist laut BGH “
„zur allgemeinen Kenntnisnahme“ vorgesehen. Und aus „im amtlichen Interesse“ folgert der BGH, dass es hier schlicht auf den Wunsch der jeweiligen Behördenleitung im Moment der Veröffentlichung ankommt.
Ob für eine Behördenpublikation Urheberrechtsschutz besteht oder nicht, richtet sich also danach, welche Vorstellung etwa die Amtsleiterin im Kopf hat, wenn sie etwas zur Veröffentlichung freigibt. In keiner Weise kommt es dagegen laut BGH darauf an, ob diese Vorstellung von außen erkennbar ist, ob es irgendwelche Anzeichen gibt, was die Behördenleitung will oder nicht.
Das erzeugt viel (Rechts-)Unsicherheit bei allen, die etwas urheberrechtlich Relevantes mit vom deutschen Staat produzierten Inhalten machen möchten. Doch selbst wenn offensichtlich klar ist, dass ein Inhalt zur allgemeinen Kenntnisnahme gedacht ist, hält der Paragraf noch zwei weitere Einschränkungen bereit: Diese Veröffentlichungen unterliegen dann nämlich – trotz fehlenden Urheberrechts – zusätzlich auch noch einem Änderungsverbot und einer verpflichtenden Quellenangabe.
Wie könnte ein besserer Paragraf für amtliche Werke aussehen?
Die Zielsetzung des Änderungsverbotes ist aus staatlicher Perspektive im Grunde nachvollziehbar. Denn es stellt sicher, dass die ursprüngliche, offizielle Veröffentlichung unverändert und im gedachten Kontext nachvollziehbar ist. Dazu bräuchte es aber kein gesetzliches Verbot, das gleich alle Open-Data-Nutzungen vereitelt.
Vielmehr könnte sich der Staat gegen missverständliche oder missbräuchliche Nutzung heute problemlos durch eine kryptographische Signatur des Originals absichern: Nur wenn ein Dokument vom Bund signiert ist, wäre es mit Sicherheit das, was von der behördlichen Stelle herausgegeben wurde. Damit würde die Weiterverwendung staatlicher Informationen als Open Data nicht mehr blockiert.
Auch dass staatlicherseits erstellte Inhalte nur dann rechtefrei sind, wenn ihre „allgemeine Kenntnisnahme […] im amtlichen Interesse“ ist, sollte aus dem Gesetz gestrichen werden. Bisher muss aufgrund dieser Anforderung stets die Absicht der veröffentlichenden Behörde interpretiert werden.
Sinnvoll ist, dass es sich um veröffentlichte Inhalte handeln muss. Was zwingend zu veröffentlichen ist, sollte durch Transparenzgesetze definiert werden. Was Behörden darüber hinaus zusätzlich veröffentlichen, ist schlicht auf Basis dieses leicht steuer- und nachvollziehbaren Vorgangs urheberrechtsfrei und wiederverwendbar.
Eine Erweiterung von § 5 auch auf alle amtlich beauftragten Fachtexte oder idealerweise jegliche amtlich beauftragten Werke würde noch deutlich mehr Rechtssicherheit herstellen. Und es würde berücksichtigen, dass die Allgemeinheit die Auftragswerke durch ihre Steuern und Abgaben ermöglicht hat. Die Arbeit der dabei beauftragten Dritten muss natürlich angemessen vergütet werden, das steht außer Frage.
Eine weitere positive Konsequenz von der Ausnahme im Urheberrecht für amtlich beauftragte Werke: Den öffentlichen Kassen würden langwierige Gerichtsverfahren wegen letztlich meist erfolgloser „Zensurheberrecht“-Klagen erspart – so wie im Falle des Glyphosat-Gutachtens, der Afghanistan-Papiere oder ganz aktuell der Klage des Freistaates Bayern gegen Markus Drenger. Der hatte Daten wiederverwendet, die der Freistaat ohnehin in absehbarer Zeit als High Value Datasets unter Creative-Commons-Lizenz veröffentlichen müsste – und für die wir seit langem fordern, dass sie als Faktenbeschreibung unserer Realität gar nicht schutzfähig sein sollten.
§ 5 gut, alles gut?
Es ist daher höchste Zeit, § 5 zu modernisieren. Wikimedia Deutschland fordert schon seit Jahren, dass erstellte Inhalte „andere amtliche Werke“ sind, wenn es keine anderslautenden Hinweise gibt. Damit würde zumindest das Rätselraten um die Vorstellungen der Behördenleitungen beendet. Bei einem Parlamentarischen Frühstück des Bündnisses F5 auf Einladung des Digitalausschusses des Bundestags hat Urheberrechtsexperte Felix Reda konkrete Vorschläge zur Modernisierung gemacht.
Es bedürfte nur weniger Änderungen, um den § 5 auf den Stand der Zeit zu bringen:
- Die Definition amtlicher Werke muss möglichst weit gefasst werden – im Zweifel durch ein „amtliche Werke genießen keinen urheberrechtlichen Schutz“.
- Im amtlichen Auftrag erstellte Fachinhalte müssen solchen Werken gleichgestellt werden, die direkt von einer Behörde stammen.
- Heute kann man bei jeglicher Art amtlicher Inhalte davon ausgehen, dass in der Gesellschaft potenziell ein Interesse vorhanden ist, mit diesen Inhalten umzugehen. Daher gehört der Faktor „amtliches Interesse an allgemeiner Kenntnisnahme“ gestrichen.
- Da heute alle über das Internet auf staatliche Repositorien zugreifen können, wird eine verpflichtende Quellenangabe obsolet. Auch die Ziele des bisherigen Änderungsverbots können durch digitale Signaturen genauso erreicht werden, ohne zugleich Open-Data-Prinzipien auszuhebeln. Quellenangabepflicht und Änderungsverbot sollten darum ebenfalls weg.
Damit wäre ein wichtiger Meilenstein für einen viel gemeinwohldienlicheren Umgang mit Inhalten erreicht, die der Staat aus Mitteln der Allgemeinheit für die Allgemeinheit schafft.
Wie die Veränderung im Urheberrechtsgesetz umgesetz werden kann, haben Urheberrechtsexperte Felix Reda und Rechtsanwältin Saskia Ostendorff in der juristischen Reihe „Monsters of Law“ kürzlich diskutiert. Hier gehts zur Folge.
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