Das Bundeskabinett hat heute den Gesetzentwurf für ein Onlinezugangsgesetz 2.0 beschlossen. Laut Innenministerin Nancy Faeser soll er die Digitalisierung der Verwaltung „einen großen Schritt“ nach vorne bringen. Doch es regen sich Zweifel wegen fehlender Vorgaben, Zuständigkeiten und Fristen.
Der Personalausweis ist abgelaufen und ein neuer muss beantragt werden. In Deutschland geht das nur auf dem Amt. Und dafür brauchen Bürger:innen einen Termin. In Berlin bedeutet das mitunter monatelange Wartezeit. Und unter Umständen müssen die Betroffenen dann auch noch ans andere Ende der Stadt fahren.
Die angespannte Verwaltungslage soll das Onlinezugangsgesetz entschärfen. Künftig sollen Bürger:innen alle wesentlichen Verwaltungsleistungen von Zuhause aus in Anspruch nehmen können. Das 2017 beschlossene Gesetz sah vor, dass das schon ab Oktober vergangenen Jahres möglich sein soll. Doch die Frist verstrich, ohne dass das Ziel einer flächendeckenden Digitalisierung der Verwaltung erreicht wurde.
Heute hat das Bundeskabinett daher einen Gesetzentwurf zur Änderung des OZG von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beschlossen. In dem ebenfalls heute veröffentlichten Eckpunktepapier gibt Faeser nun das Ziel aus, bis zum Jahr 2024 immerhin 15 priorisierte OZG-Leistungen bereitzustellen – und zwar „möglichst flächendeckend und vollständig digital (Ende-zu-Ende)“. Zu den Leistungen zählen unter anderem Kfz-Anmeldung, Ummeldung, Baugenehmigung und Elterngeld.
Ausbleibende Trendumkehr
Dass damit die Verwaltungsdigitalisierung wirksam beschleunigt wird, bezweifelt unter anderem der Normenkontrollrat (NKR). Er weist vor allem auf die „Lücken“ im Gesetzentwurf hin. „Ins Gesetz aufgenommen wurde, was im Vorfeld zwischen Bund und Ländern schon so gut wie Konsens war“, sagt der NKR-Vorsitzende Lutz Goebel.
Goebel begrüßt zwar, dass der Entwurf die Once-Only-Generalklausel enthält. Sie besagt, dass Bürger:innen, während sie einen Antrag stellen, entscheiden können, ob Behörden benötigte Nachweise bei anderen Behörden abrufen dürfen. Positiv sei zudem, dass das Bundesinnenministerium (BMI) relevante Standards und Schnittstellen an zentraler Stelle veröffentlichen will. Softwarehersteller können so relevante Informationen schnell finden und interoperabel gestaltete Software erstellen. Auch begrüßt Goebel den sogenannten Schriftformersatz. Demnach sollen handschriftliche Unterschriften in vielen Verwaltungsverfahren künftig nicht mehr notwendig sein.
Keine Gesamtstrategie erkennbar
Insgesamt aber bleibe aus Sicht des NKR die notwendige Trendumkehr aus. Der Rat spielt damit auf die zentrale Kritik an, die Expert:innen am OZG und dem Vorläuferpapier des Entwurfs geäußert hatten: Zum einen fehle es an Standards und Schnittstellen, zum anderen an einer IT-Architektur, über die Bund und Länder Basiskomponenten, Onlinezugänge und Fachverfahren bereitstellen.
Dafür bräuchte es eine umfassende Gesamtstrategie, so der NKR. Diese müsste sich unter anderem der Frage widmen, wie eine Basisinfrastruktur inklusive Standards und Schnittstellen definiert sein soll. Solche Vorgaben seien im Gesetzentwurf aber nicht zu finden.
Statt auf das Backend konzentriert sich das BMI auf die BundID und damit nach wie vor auf die Benutzeroberfläche. Dem Entwurf zufolge soll die BundID zum bundeseinheitlichen Bürger:innen- und Organisationskonto werden. Für die einige Bundesländer bedeutet das, eigene Portale aufgeben zu müssen. Gleichzeitig gilt nun, dass die Länder dafür sorgen müssen, die Kommunen an den Portalverbund der BundID anzuschließen.
Fehlende Zuständigkeiten und Fristen
Diese Mammutaufgabe wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Faesers Gesetzesentwurf eine klare Definition verschiedener Rollen und Zuständigkeiten unterlässt. Neben der Komplexität der Mittelvergabe ist das bislang ein wesentlicher Grund dafür, warum Digitalisierungsprojekte in der Vergangenheit so schleppend vorankamen. Laut NKR hätte die Föderale IT-Kooperation (FITKO) als Standardisierungsorganisation eingesetzt werden müssen, während der IT-Planungsrat die Leitung des Großprojekts Verwaltungsdigitalisierung übernimmt.
Im Gesetzentwurf fehlt zudem der gesetzliche Auftrag, was Bund, Länder und Kommunen bei der Verwaltungsdigitalisierung jeweils umsetzen müssen. Das betreffe auch das „gescheiterte Einer-für-Alle-Prinzip“ (EfA). Es sollte erleichtern, dass beispielsweise unterschiedliche Bundesländer Softwareprodukte entwickeln und anderen Ländern bereitstellen.
Die größte Hürde für eine rasche Verwaltungsdigitalisierung liegt aber vermutlich in fehlenden Fristen. Denn das OZG 2.0 macht keinerlei Vorgaben, bis wann die Digitalisierung bestimmter Leistungen abgeschlossen sein soll. Die Behörden können die Digitalisierung damit auch weiterhin schleifen lassen, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Einen Rechtsanspruch der Bürger:innen auf digitale Verwaltungsleistungen sieht Faesers Entwurf bislang ebenfalls nicht vor.
Der Bund verpasst die Chance, Länder und Kommunen ausdrücklich in die Pflicht zu nehmen. Der von Faeser versprochene „große Schritt“ reiht sich damit ein in den hierzulande wohlbekannten Gänsemarsch der Verwaltungsdigitalisierung. Wer also im kommenden Jahr einen neuen Personalausweis beantragen muss, wird das dann wohl wie bisher auf dem Amt tun müssen.
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