Bei Mitgliedern der Letzten Generation gab es nicht nur Razzien, auch die Website wurde beschlagnahmt. Die Behörden missachteten dabei zunächst die Unschuldsvermutung. Und machten sichtbar, dass es offenbar vor allem um Abschreckung geht. Ein Kommentar.
Wer gestern die Website der Letzten Generation aufrufen wollte, bekam zeitweise von der Generalstaatsanwaltschaft München und dem Bayerischen LKA folgenden Hinweis: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar!“ Ausrufezeichen, wichtige Durchsage. Dahinter folgte ein Satz, der sich als kaum versteckte Drohung an Sympathisierende der Klima-Aktivist:innen lesen lässt: „Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!“ Weiteres Ausrufezeichen.
Die amtsmäßigen Verteidiger:innen des Rechtsstaats scheinen besorgt um die Rechte von Fossilfreunden. „Aufgrund zahlreicher Strafanzeigen aus der Bevölkerung“ habe man Ermittlungen eingeleitet, hieß es in der gemeinsamen Pressemitteilung. Es drängt sich der Gedanke auf: Weil der öffentliche Druck wächst, etwas gegen die renitenten Klimakleber:innen zu tun und die Fahrt frei zu machen, werden nun Wohnungen durchsucht und Konten eingefroren.
Verbal runtergeschaltet
Weniger besorgt schienen die bayerischen Teile des Staatsgetriebes hingegen um eines der Grundprinzipien des Rechtsstaates: die Unschuldsvermutung. Es geht um einen Anfangsverdacht, den das Amtsgericht München bejaht. Daran mussten sie offenbar erst von der Presse erinnert werden, sodass sie die obigen „Hinweise“ schließlich aus der Beschlagnahmebotschaft entfernten.
Denn kein Gericht hat bisher geurteilt, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt. Sie öffentlich als solche zu bezeichnen, ist nicht „missverständlich“, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München dem BR sagte. Es ist ein krasser Bruch mit einem rechtsstaatlichen Prinzip.
Und es ist Benzin im Feuer derer, die ihre Aggression gegen die friedlich Demonstrierenden offenbar nicht mehr bremsen können und auf die Festgeklebten eintreten.
Es sind nicht die ersten Durchsuchungen bei den Mitgliedern der Letzten Generation, auch der Vorwurf einer kriminellen Vereinigung ist nicht neu. Aber Konsens ist er deswegen noch lange nicht. Paragraf 129, der sogenannte Schnüffelparagraf, ist ein kommodes Werkzeug für Ermittelnde und öffnet ein ganzes Arsenal an Überwachungsoptionen – vom Wühlen in Privatwohnungen bis zum Abhören von Gesprächen. Zu rechtskräftigen Verurteilungen kommt es am Ende oft nicht.
Wer den Verbrenner schützt, verbrennt sich daran
Dass die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung sein könnte, zweifeln nicht nur solidarische Klimabewegte an, sondern auch die Berliner Staatsanwaltschaft. Die Neue Richtervereinigung nennt die Einstufung „alles andere als selbsterklärend“. Und die Berliner Justizsenatorin Felor Badenbegr redet ungelenk von zu prüfenden Einzelfällen. Abgesehen davon, dass schon die Rechtsvorschrift selbst umstritten ist, da sie bei relativ geringen Hürden weitreichende Ermittlungsbefugnisse erlaubt.
Dienen die Razzien und Beschlagnahmen wirklich vorrangig der Beweissuche bei einer Gruppe, die so offen agiert, dass es manchmal schon irritiert? Oder ist das Ziel vielmehr die Abschreckung von Unterstützer:innen und Unterstützungswilligen? Die Drohung, sich schon mit einer Spende potenziell strafbar zu machen, wiegt schwer.
Vielleicht hält sie nicht diejenigen ab, die seit langem überzeugt gegen selektive Ignoranz der Bundesregierung in der Klimapolitik kämpfen. Aber doch jene, die selbst andere Kämpfe austragen und die Letzte Generation dennoch mit fünf, zehn oder fünfzig Euro unterstützen wollen. Etwa, weil sie die Ziele der Gruppe teilen, wie eine Tempobeschränkung auf Autobahnen oder ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket. Diese Ziele sind von Kriminalität wohl so weit entfernt wie eine Ladesäule in so manchem Dorf der Mecklenburgischen Schweiz.
Mit den brachialen Ermittlungsaktionen gegen die Letzte Generation fährt der Staat seine ganze, oft beschworene Härte auf. Und verstärkt den Eindruck, er würde den Verbrenner mehr schützen als unsere menschliche Existenz vor der Klimakatastrophe. Wer so handelt und dabei rechtsstaatliche Prinzipien missachtet, muss sich am Ende nicht wundern, wenn die Welt in Flammen steht.
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