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Nippel-Verbot: Filmwerkstatt Düsseldorf zieht gegen Facebook-Sperre vor Gericht

Facebook hatte den Account der Filmwerkstatt Düsseldorf gelöscht, mutmaßlich wegen zu viel nackter Haut. Weil es kein wirksames Beschwerdeverfahren gibt, wehrt sich der gemeinnützige Kulturverein mit einer Klage gegen die Sperre. Unterstützung kommt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Mutmaßlich stieß sich das automatisierte Moderationssystem von Facebook an zu viel nackter Haut, mit der die Filmwerkstatt Düsseldorf für eine Aufführung warb. Hier ein überarbeiteter Ausschnitt des Film-Standbildes. – Alle Rechte vorbehalten Standbild aus „El abrazo de la serpiente“, Bearbeitung: netzpolitik.org

Publikum und Filmkritiker:innen waren begeistert. Der 2016 erschienene Film „Der Schamane und die Schlange“ feierte beim Festival in Cannes seine Weltpremiere, gewann mehrere renommierte Filmpreise und war die erste kolumbianische Produktion, die für einen Auslands-Oscar nominiert wurde. In schwarz-weiß gehalten, taucht der Spielfilm in die schwindende Amazonas-Region ein, eine „visuell hypnotisierende Erforschung von Menschheit, Natur und der zerstörerischen Kräfte des Kolonialismus“, schrieb ein Kritiker.

Weniger begeistert war offenkundig Facebook. Dort hatte die Filmwerkstatt Düsseldorf eine Ankündigung für einen Filmabend gepostet. Bebildert war der Programmhinweis mit einem Film-Standbild. Das zeigt den Hauptdarsteller, um ihn herum versammelt sich eine Gruppe indigener Menschen. Bekleidet sind sie nur mit Lendenschurz, ihre Brustwarzen sind unbedeckt.

Damit betritt man bei Facebook ein gefährliches Pflaster. Das soziale Netzwerk hat eine lange Geschichte eigentümlicher Moderationsentscheidungen hinter sich, sobald nackte Haut im Spiel ist. Stillende Mütter? Unerwünscht. Das ikonografische Vietnam-Kriegsbild eines flüchtenden Mädchens? Gelöscht. Sogar die unbekleidete „Venus von Willendorf“ fiel dem Nacktheitsbann schon zum Opfer.

Ganzer Account gesperrt

Dieses Schicksal wurde auch der Düsseldorfer Filmwerkstatt im Dezember 2021 zuteil. Wegmoderiert wurde aber nicht nur der einzelne Beitrag, der entblößte Haut und Nippel zeigte. Es verschwand der ganze Facebook-Account, laut eigener Aussage ohne vorherige Ankündigung oder Begründung. Die Vermutung steht im Raum, dass das Film-Standbild der Anlass für die Löschung war. Rund 4.000 Menschen folgten der Facebook-Seite. Für den gemeinnützigen Verein war dies der wichtigste Kanal, um für sein Angebot zu werben.

Die Filmwerkstatt will dies nicht auf sich sitzen lassen. Mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und vertreten durch die Kanzlei Hausfeld reichte sie Klage vor dem Landgericht Düsseldorf ein. Die Beteiligten halten die Entfernung für Willkür: „Sie weiß bis heute nicht, was Facebooks Vorwurf ist, und kann sich dementsprechend auch nicht dagegen zur Wehr setzen“, kritisiert Jürgen Bering, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. Dass ein gemeinnütziger Kulturverein zum Opfer einer willkürlichen Sperre geworden ist, zeige laut Bering: „Es kann alle treffen.“

Kaum durchschaubare Moderation

Die marktbeherrschende Stellung von Facebook wird immer wieder zum Problem. Seine von außen oft kaum durchschaubaren Moderationsentscheidungen greifen in Grundrechte ein, in diesem Fall in die Kunstfreiheit der Filmwerkstatt. Zudem übernehmen vermehrt automatisierte Moderationssysteme den Löwenanteil der Inhaltemoderation. Diese verstehen aber weder Kontext noch Nuancen, Fehler sind somit vorprogrammiert.

Mutmaßlich hat auch diesmal ein automatisiertes Verfahren zugeschlagen. Ohne ausreichende menschliche Aufsicht besteht die Gefahr, dass zu viele Inhalte gelöscht werden. Und augenscheinlich fehlen weiterhin wirksame Beschwerdemöglichkeiten für betroffene Nutzer:innen: Selbst auf eine anwaltliche Aufforderungen soll Facebook nie reagiert haben.

Das ist nicht nur unfair, es widerspricht auch gerichtlichen Vorgaben. Vor rund zwei Jahren hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Facebook seinen Nutzer:innen grundlegende Verfahrensrechte einräumen muss – inklusive der Möglichkeit, sich gegen Moderationsentscheidungen wehren zu können.

Sperren müssen objektiv und sachlich begründet werden

Dabei müsste es Facebook ohnehin besser wissen. Bereits im Vorjahr erstritt die GFF vor dem Oberlandesgericht Hamburg, dass die Sperrung der Facebook-Seite der Nichtregierungsorganisation Goliathwatch nicht rechtens war. Für eine Sperre müssten hohe Hürden bestehen, die zudem in einer Anhörung objektiv und sachlich begründet werden müssten, beschied das Gericht.

Die Hoffnung lebt also, dass die Filmwerkstatt über kurz oder lang ihre Facebook-Seite wieder bespielen kann. Schon allein, weil inzwischen das Facebook Oversight Board den Konzern aufgefordert hat, das Nippel-Verbot fallen zu lassen. Bis zur Fairness im digitalen Raum ist es aber noch ein weiter Weg.


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