xHamster, eine der weltgrößten Pornoseiten, soll reihenweise ungeprüfte Uploads löschen. So will es ein Gericht in Amsterdam. Das macht Hoffnung für Menschen, deren Nacktaufnahmen gegen ihren Willen im Netz kursieren. Möglich macht das ein überraschender Kniff.
Heimliche Fotos aus der Sauna, versteckte Kameras in der Klokabine, geleakte Sexting-Fotos: Auf Pornoseiten kursieren Aufnahmen von Menschen, die sich niemals nackt im Netz zeigen wollten. Umgangssprachlich sind sie als „Rachepornos“ bekannt. Betroffene und Fachleute sprechen lieber von bildbasierter Gewalt. Obwohl solche Aufnahmen eindeutig illegal sind, lassen sie sich kaum aus dem Netz entfernen. Jetzt zeigt ein Gericht aus den Niederlanden neue Wege auf.
Am 12. April hat das Gericht in Amsterdam beschlossen: Die reichweitenstarke Pornoseite xHamster soll weltweit alle fraglichen Uploads löschen, die Bürger*innen der Niederlande zeigen. Konkret schreibt das Gericht von heimlich gefilmten Aufnahmen und Aufnahmen aus dem Privatbereich. Ausgenommen sind Aufnahmen, bei denen xHamster entsprechende Einverständniserklärungen besitzt.
Das ist noch nicht alles, speziell für die Niederlande soll xHamster noch mehr tun. Dort sollen alle fraglichen Uplodas gesperrt werden, für die xHamster keine Belege hat. Hält sich die Plattform nicht an die Auflagen, drohen Geldbußen von bis zu 30.000 Euro pro Video. Geklagt hatte eine niederländische NGO namens EOKM, die sich gegen sexuellen Missbrauch einsetzt.
Die Entscheidung ist ein Novum, weil sie in der Breite gegen bildbasierte Gewalt vorgeht. Immer wieder berichten Betroffene, dass sie allein gegen einen schier übermächtigen Gegner kämpfen. Sind intime Aufnahmen erst einmal im Netz, beginnt eine Sisyphos-Aufgabe. Betroffene müssen jede Aufnahme einzeln bei der Plattform melden. Kaum ist eine gelöscht, taucht sie anderer Stelle wieder auf, gerade weil viele Plattformen neue Uploads nicht ausreichend prüfen. Das vom Gericht geforderte pauschale Vorgehen gegen ungeprüfte Uploads könnte dieses Problem zumindest entschärfen.
Bis zum Jahr 2021 war es auch auf xHamster äußert einfach, beliebige Fotos und Videos ohne Einverständnis der gezeigten Personen hochzuladen. Es genügte eine Registrierung per E-Mail-Adresse. Erst nach alarmierenden Medienberichten führte xHamster strengere Kontrollen für Uploader*innen ein. Heute müssen sie etwa einen Ausweis vorlegen.
Wie wird xHamster reagieren?
Frei von Problemen ist die Amsterdamer Entscheidung aber nicht. xHamster kann kaum beurteilen, ob ein fragliches Video mit versteckter Kamera gedreht wurde, oder ob hier bloß Profis den Anschein erwecken. Denn hinter einer „Amateur“-Aufnahme müssen nicht im wörtlichen Sinn Amateur*innen stecken. „Amateur“ ist auch der Name eine beliebten Genres, das Darsteller*innen gezielt bedienen. Auch sogenannte „Voyeur“-Videos mit versteckter Kamera können schlicht inszeniert sein.
Außerdem kann xHamster nicht wissen, ob Aufnahmen gerade Menschen aus den Niederlanden zeigen. Falls die Plattform also die Entscheidung aus Amsterdam umsetzen wollte, müsste sie zur Sicherheit alle ungeprüften Uploads offline nehmen.
Die Auswirkungen des Urteils sind unklar: Es ist möglich, dass xHamster nichts unternimmt. Immer wieder setzen Pornoseiten darauf, dass sich das im Ausland gesprochene Recht schlicht nicht durchsetzen lässt. Die in Zypern ansässige Plattform weigert sich auch, rigorose Alterskontrollen für Nutzer*innen einzuführen, wie sie die deutsche Medienaufsicht fordert. Die Medienaufsicht verhängte deshalb Netzsperren gegen xHamster – xHamster änderte daraufhin kurzerhand die Domain, um dieser Sperre zu entgehen. Auf unsere Presseanfrage hat xHamster nicht reagiert.
Zugleich ist die Forderung aus den Niederlanden nicht völlig unrealistisch. Das zeigt der Vergleich mit xHamster-Konkurrent Pornhub. Die in Kanada ansässige Plattform hat im Zuge internationaler Empörung im Jahr 2020 bereits alle nicht überprüften Uploads offline genommen, und zwar freiwillig. Das waren mehrere Millionen Videos, ein Kahlschlag für das Repertoire der Pornoseite. Pornhub hat sich damit wohl einigen künftigen Ärger erspart, wie die Entscheidung aus Amsterdam ahnen lässt.
Auch Pornhub verlangt inzwischen Ausweise vor dem Upload von Videos, dabei wäre das gar nicht nötig. Um Uploads auf Einvernehmlichkeit zu überprüfen, müssten Pornoseiten keine sensiblen Daten sammeln. Alternative und datensparsame Methoden gibt es bereits jetzt in kleineren Nackt-Communitys, wie wir hier berichtet haben.
Knackpunkt ist ein Grundprinzip des freien Internets
Wer sich juristisch gegen bildbasierte Gewalt wehren möchte, muss kreativ werden. Zur Auswahl steht ein Werkzeugkasten aus nicht optimal passenden Gesetzen, unter anderem das Urheberrecht. Der Fall aus den Niederlanden ist vor diesem Hintergrund besonders beachtlich, denn die klagende NGO hat hierfür ein Gesetz herangezogen, das bei bildbasierter Gewalt bisher kaum beachtet wurde: die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
Einfach ausgedrückt schreibt die DSGVO vor: Wer personenbezogenen Daten verarbeitet, braucht dafür das Einverständnis der betreffenden Personen. Entsprechend argumentiert die Klägerin: Intime und sexuelle Aufnahmen sind personenbezogene Daten – und xHamster hätte sie ohne Einverständnis gar nicht erst verarbeiten dürfen.
Das klingt so einfach, es wirft die Frage auf: Warum argumentieren nicht alle so? Die Antwort liegt in juristischen Finessen. Im Kampf gegen bildbasierte Gewalt mögen die Datenschutzregeln der EU zwar ein Werkzeug sein. Bildlich gesprochen sind sie aber kein Hammer, sondern eher eine feine Nadel. Es müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein, damit die DSGVO überhaupt etwas bewirken kann.
Der Grund liegt in mindestens einem anderen Gesetz, und zwar der E-Commerce-Richtlinie. Diese Richtlie sagt sinngemäß: Online-Anbieter müssen nicht alle Inhalte überprüfen, die jemand hochlädt. „Keine allgemeine Überwachungspflicht“, heißt es im Artikel 15. Dahinter steckt ein Grundprinzip des Internets, das sogenannte Providerprivileg. Dieses Privileg stellt zum Beispiel sicher, dass Anbieter von Online-Diensten nicht wegen jedem hochgeladenen Hakenkreuz selbst zur Verantwortung gezogen werden. Ohne dieses Privileg wären all die florierenden Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten wohl kaum entstanden.
Nach Auffassung des Gerichts in Amsterdam kann sich xHamster allerdings nicht mehr auf dieses Providerprivileg berufen. Der Grund dafür scheint ein klassisches Eigentor zu sein. Nach kritischen Medienberichten über bildbasierte Gewalt hatte xHamster nachgebessert; inzwischen überprüft die Plattform offenbar jeden Upload. Doch genau das wurde xHamster in Amsterdam wohl zum Verhängnis. Das Gericht stufte diese Überprüfung als aktive Einmischung ein. Die Plattform treffe demnach eine Vorauswahl aller Inhalte. Und gerade deshalb, so die Begründung, könne xHamster die Verantwortung für die Inhalte nicht mehr von sich weisen. Providerprivileg verloren!
Es lässt sich darüber streiten, wann eine Plattform ihr Providerprivileg verlieren sollte und wann nicht. Immerhin ist das Privileg eine tragende Säule für das freie Internet. Es zu schwächen hätte weitreichende Konsequenzen. Mehr dazu steht in einer weiteren EU-Verordnung, und zwar dem Gesetz über digitale Dienste. Dort heißt es in Artikel 6, einfach ausgedrückt: Anbieter verlieren nicht einfach so ihr Providerprivileg, nur weil sie auch freiwillig nach illegalen Inhalten suchen. In der öffentlichen Begründung des Gerichts in Amsterdam wird das Digitiale-Dienste-Gesetz allerdings nicht weiter diskutiert.
Niederländische NGO will weiter klagen
Das niederländische Gericht ist zunächst eine Behörde der ersten Instanz. xHamster kann sich gegen die Entscheidung wehren – und vor anderen Gerichte könnte in ähnlichen Fällen etwas völlig anderes herauskommen. Zumindest hat das Amsterdamer Gericht im Fall einer anderen Pornoseite bereits ähnlich entschieden: Demnach sollte 2022 eine niederländische Pornoseite nicht überprüfte Aufnahmen löschen. Auch in diesem Fall war die niederländische Hilfsorganisation involviert. Und EOKM will weiter klagen, teilt eine Sprecherin mit: „Das wird nicht der letzte Fall sein“.
Für Betroffene und Hilfsorganisationen in Deutschland bedeutet der Fall aus Amsterdam: Auch für sie könnte die DSGVO künftig ein Werkzeug sein, um die eigenen Rechte durchzusetzen. Dass die DSGVO hier in Frage kommt, bestätigt Dieter Kugelmann, Datenschutzbeauftragter Rheinland-Pfalz. „Fotografien und Videoaufnahmen von lebenden Personen enthalten stets personenbezogene Daten, wenn hierauf Personen erkennbar sind“, schreibt er an netzpolitik.org. Die „Verarbeitung von Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person“ seien grundsätzlich untersagt.
Betroffene können sich demnach persönlich beschweren, wenn sie in einer Aufnahme identifizierbar sind. Aber auch ein Vorgehen in der Breite – wie in den Niederlanden – könnte möglich sein. Dafür müsste eine Datenschutzbehörde beispielsweise „von Amts wegen tätig werden“, wie Kugelmann erklärt. Einfach ausgedrückt heißt das: Eine Behörde findet das Problem so gravierend und die Chancen auf Erfolg so gut, dass sie auch ohne persönliche Beschwerde einer betroffenen Person selbst aktiv wird.
HateAid möchte Lage in Deutschland prüfen
Realistisch ist das derzeit wohl nicht. Zwar nehme die Datenschutzbehörde in Rheinland-Pfalz das Thema sehr ernst. „Jedoch dürfen die knappen personelle Ressourcen nicht außer Acht gelassen werden, die das Vorgehen von Amts wegen erschweren“, schreibt Kugelmann. Die Untersuchung der Websites sei ein sehr hoher Aufwand. Und da die Betreiber im Ausland sitzen, hätte ein Verfahren „keine Aussicht auf Erfolg“.
In den Niederlanden war es jedoch keine Behörde, sondern eine NGO, die sich für Betroffene bildbasierter Gewalt stark gemacht hat. Wäre so etwas auch in Deutschland möglich? Wir haben hierzu die Datenschutzbehörden in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg um erste Einschätzungen gebeten, die wir hier veröffentlichen. In ihren Antworten weisen die Datenschützer auf einige rechtliche Hürden hin. Einfach zusammengefasst: Einrichtungen, Organisationen oder Vereinigungen können es unter bestimmten Bedingungen durchaus mit einer Klage versuchen. Vielleicht klappt es, vielleicht nicht. Bei bildbasierter Gewalt hat es in Deutschland wohl einfach noch niemand probiert.
Hierzulande setzt sich HateAid für die Rechte Betroffener digitaler Gewalt ein und hat schon mehrfach Klagen gegen große Online-Plattformen unterstützt. Die gemeinnützige Organisation beobachtet bereits seit Monaten eine Zunahme von Fällen bildbasierter digitaler Gewalt. Auf Anfrage von netzpolitik.org schreibt HateAid-Juristin Josephine Ballon: Sie prüft, ob das Urteil aus den Niederlanden Möglichkeiten bietet, den Schutz zu verbessern.
Weitere Anlaufstellen für Betroffene sind etwa die Initiative Anna Nackt sowie Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen, die sich beim Dachverband bff finden lassen.
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