Vor laufenden Kameras stellte sich TikTok-Chef Shou Zi Chew gestern im US-Kongress den Fragen der Abgeordneten. Im Fokus sollten die vermeintlichen Gefahren stehen, die von TikTok ausgehen. Doch die Politiker:innen haben die Chance auf Aufklärung vertan. Die Anhörung geriet stattdessen zu einem Spektakel mit wenig Mehrwert.
Der Druck auf TikToks Chef Shou Zi Chew könnte kaum größer sein. Die US-Regierung will die chinesischen Eigentümer von TikTok dazu zwingen, ihre Anteile aufzugeben – andernfalls droht der Plattform das Aus in den USA. TikTok, eine der am schnellsten wachsenden und beliebtesten Social-Media-Apps der Welt, hat dort nach eigener Aussage gerade die Marke von 150 Millionen aktiven Nutzer:innen erreicht.
Doch das Misstrauen gegen die Plattform wächst zusehends. Demokraten und Republikaner wettern in seltener Einigkeit gegen TikTok. Die App sei ein Arm der Kommunistischen Partei Chinas, lautet ein zentraler Vorwurf, ein Spionagewerkzeug und damit eine Bedrohung für die nationale Sicherheit. Beweise dafür fehlen bislang, doch dafür scheinen sich viele Politiker:innen nicht zu interessieren.
Chews Auftritt vor dem Ausschuss für Energie und Handel bildete in gewisser Hinsicht eine Premiere. Bislang agierte Chew vorwiegend im Hintergrund und warb in persönlichen Gesprächen für Vertrauen. Diese Strategie ist offenkundig gescheitert.
Offiziell sollte es bei der Befragung um gleich mehrere Sorgen der Abgeordneten gehen, etwa um die Gesundheit und Sicherheit der vorwiegend jungen Nutzer:innen. Vor allem eine Frage stand dabei im Fokus, nämlich ob China auf die Daten von TikToks US-Nutzer:innen zugreifen und sie über die Inhalte der App manipulieren kann.
Das energische Vorgehen gegen TikTok lässt sich zudem als Machtspiel verstehen. Erstmals macht mit TikTok ein chinesischer Social-Media-Riese den meist US-basierten Tech-Konzernen Konkurrenz und sammelt ebenso fleißig Daten wie etwa Facebook oder Twitter. Bereits der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte im Rahmen seiner populistischen Anti-China-Politik ein TikTok-Verbot ins Spiel gebracht. Diese Debatte setzt sich nun auch unter Joe Biden fort – und TikTok gerät damit erneut zum Spielball auf dem geopolitischen Schlachtfeld, wo sich China und die USA gegenüberstehen.
Spektakel für US-Wähler:innen
Bereits in ihrem Eröffnungs-Statement machte die republikanische Ausschussvorsitzende Cathy McMorris Rodgers klar, dass sie ihr Urteil über TikTok längst gefällt hat: „TikTok überwacht uns alle. Und die chinesische kommunistische Partei ist in der Lage, das als Werkzeug zu nutzen, um ganz Amerika zu manipulieren. Wir vertrauen nicht darauf, dass TikTok jemals amerikanische Werte anerkennen wird.“ TikTok müsse verboten werden, so die Republikanerin.
Die schriftliche Aussage von TikTok-Chef Chew war bereits am Vorabend der Anhörung öffentlich geworden. Auf zehn eng beschrieben Seiten bemüht sich Chew, auf sämtliche Bedenken und Vorwürfe gegen seine Plattform einzugehen. Bei der Anhörung am Donnerstagnachmittag deutscher Zeit trägt Chew eine deutlich gekürzte Version vor – ihm wurden gerade einmal fünf Minuten Sprechzeit eingeräumt. Und auch im Anschluss kommt er nur selten länger zu Wort.
Die Abgeordneten überziehen Chew mit einem Hagel aus vorwiegend anklagenden Fragen, der Tonfall ist herablassend bis demütigend. An Antworten sind viele offenbar wenig interessiert. Immer wieder unterbrechen sie den TikTok-Chef, sobald er nur ein wenig ausholt. Ein Eindruck drängt sich damit unvermeidlich auf: Die Anhörung ist vor allem ein Spektakel für US-Wähler:innen. Dennoch lässt sich zumindest in Teilen erkennen, wo tatsächlich Probleme liegen und was sich bei TikTok künftig ändern soll.
TikTok will US-Daten abschirmen, aber niemanden interessiert es
Der Großteil der Fragen drehte sich darum, ob und wie TikTok in der Lage ist, die Daten seiner Nutzer:innen vor dem Zugriff des chinesischen Staates zu schützen. Chew wiederholte daraufhin die Aussage, die TikTok seit Jahren wie ein Mantra vorträgt: „TikTok hat niemals US-Nutzerdaten mit der chinesischen Regierung geteilt. Auch würde TikTok einer solchen Anfrage nicht nachkommen, wenn sie jemals gestellt würde.“
Immer wieder versuchte Chew Verweise auf „Project Texas“ unterzubringen. Bislang hatte TikTok öffentlich wenig über die Details des Großprojekts gesprochen. Mit dem wachsenden Druck scheint sich das jetzt zu ändern. TikTok baue „so etwas wie eine Firewall auf, die geschützte US-Nutzerdaten vor unbefugtem Zugriff aus dem Ausland abschottet“, so Chew. Dazu gehöre auch eine neue Unternehmenseinheit, die den Umgang mit den Daten von amerikanischen Bürger:innen überwacht. In seinem schriftlichen Statement geht der CEO auf weitere Details ein. Demzufolge werde TikTok die Daten von US-Nutzer:innen auf Servern des amerikanischen Konzerns Oracle in den Vereinigten Staaten speichern. Ein neu gegründetes Unternehmen „TikTok U.S. Data Security Inc“ werde die Daten und den Zugriff auf diese überwachen.
Nach eigenen Angaben hat TikTok bereits 1,5 Milliarden in das Projekt investiert – und scheint damit doch gescheitert zu sein. Schon vor der Anhörung zeichnete sich ab, dass der US-Regierung die Zusicherungen nicht ausreichen. US-Präsident Joe Biden will das chinesische Unternehmen ByteDance offenbar – wie schon sein Amtsvorgänger Donald Trump – zu einem Verkauf von TikTok zwingen.
Dass der Datenumzug auf die Server von Oracle noch nicht abgeschlossen ist, machte die Lage für Chew nicht leichter. Zwar werden neue Daten bereits in der Oracle-Cloud gespeichert, ältere Daten verschiebt TikTok Chew zufolge allerdings gerade erst dorthin. Ob Chew mit Sicherheit sagen könne, dass niemand aus dem Konzern ByteDance Zugriff auf die Daten hat, wollte ein Abgeordneter wissen. Erst nach dem Abschluss von Project Texas sei das gesichert, räumte Chew ein. Der Abgeordnete verbucht diese Aussage als ein Nein.
Chew dementiert Spionage gegen Nutzer:innen
Einer der gravierendsten Vorwürfe kommt in der Anhörung gleich mehrfach zur Sprache. In den USA ermitteln derzeit das FBI und das Justizministerium gegen TikTok. Anlass ist ein Überwachungsskandal, den Journalist:innen des Magazins Forbes im Dezember vergangenen Jahres aufgedeckt hatten. Demnach hatte TikToks interne Ermittlungsabteilung versucht, die Quellen einer Reihe kritischer Berichte und Enthüllungen zu identifizieren. Dabei hatte das Unternehmen auch mehrere US-Journalist:innen ins Visier genommen und ihren Standort über die App verfolgt. Auf diese Weise wollte TikTok herauszufinden, ob sich TikTok-Mitarbeiter:innen mit den Journalist:innen getroffen hatten.
TikTok bestätigte den Vorgang nach den Enthüllungen und entließ die verantwortlichen Mitarbeiter:innen in China und den USA. In der Anhörung versuchte Chew indes, den Fall runterzuspielen. Bei dem Vorfall habe es sich nicht um Spionage, sondern nur um eine interne Ermittlung gehandelt.
Detaillierter geht der CEO in seinem schriftlichen Statement auf den Vorfall ein. Darin dementiert er Presseberichte, wonach TikTok den Standort von Menschen „verfolge“. Die aktuelle Version der App sammle keine GPS-Standortdaten der Nutzer:innen, so Chew, die Vorwürfe seien daher falsch.
Was der CEO jedoch nicht erwähnt: Der Standort eines Mobiltelefons lässt sich nicht nur mit Hilfe von Satellitennavigationssystemen wie GPS bestimmen, sondern beispielsweise auch anhand einer IP-Adresse. Das ist eine Art Kennziffer im Internet, die einem Gerät zeitweise zugewiesen wird, damit es Daten empfangen kann. Je nachdem, in welchen Netzwerken sich Nutzer:innen aufhalten, wechselt auch die IP-Adresse. Sie lässt damit Rückschlüsse auf den ungefähren Standort eines Geräts zu. Und ebendiese Daten sammelt TikTok laut seiner eigenen Datenschutzerklärung sehr wohl. Laut Forbes soll TikTok die Journalist:innen unter anderem auf diese Weise ausspioniert haben.
Dieses wichtige Detail lässt Chew in seinem schriftlichen Statement geschickt unter den Tisch fallen. Und auch in der Anhörung erhält er dazu keine einzige kritische Nachfrage. Es ist nur eine von vielen vertanen Chancen der Abgeordneten, Chew auf ein tatsächliches Vergehen festzunageln.
TikTok setzt auf Hilfe der Nutzer:innen
Dennoch kann der CEO in dieser Anhörung nur äußerst selten punkten. Viele der Abgeordneten zeigten keinerlei Interesse an sachlichen Antworten. Sie nutzten die Anhörung stattdessen vor allem als Bühne für polemische Angriffe und mediale Selbstinszenierung.
„Sie wissen verdammt gut, dass Sie die Daten und die Sicherheit dieses Ausschusses oder der 150 Millionen Nutzer:innen ihrer App nicht schützen können, weil sie eine Erweiterung der Kommunistischen Partei ist“, wandte sich etwa die republikanische Abgeordnete Cat Cammack an Chew. Zuvor hatte sie im Saal ein TikTok-Video abspielen lassen, in welchem dem Ausschuss selbst mit Gewalt gedroht wurde.
TikTok steht in den USA mit dem Rücken an der Wand – und doch ist die Entscheidung noch längst nicht gefallen. Das Unternehmen wird nun vermutlich noch stärker auf die Nutzer:innen der beliebten App setzen. Bereits am Dienstag hatte sich Chew über den firmeneigenen Account direkt an diese gewandt: „Dies ist ein entscheidender Moment für uns“, sagte er und bat die Nutzer:innen zu kommentieren, was sie von einem Verbot hielten, damit ihre Abgeordneten deren Einschätzung lesen könnten.
Ein Teil der Abgeordneten ist sich offenbar bewusst, welche Folgen ein Verbot der App hätte, die immerhin knapp die Hälfte der US-Bevölkerung nutzt. Auch mehrere US-Bürgerrechtsorganisationen, darunter die Electronic Frontier Foundation, kritisieren ein mögliches Verbot von TikTok, weil dies die Meinungsfreiheit einschränke. Obendrein ist rechtlich noch unklar, wie die App überhaupt verboten werden könnte. Ein Gesetz, das die Regierung dazu ermächtigen würde, ist erst vor wenigen Wochen auf den Weg gebracht worden.
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