Medien können von Nutzer:innen eine Einwilligung zum Datensammeln verlangen, sofern sie ihnen eine Alternative anbieten. Zu diesem Schluss kommt die Datenschutzkonferenz. Doch die vermeintliche Alternative löst eher die Probleme von Verlagen als von Nutzenden, denn die Pur-Abos muss man sich leisten können.
Pur-Abos sind auf dem Vormarsch. Mehr und mehr Online-Medien haben in den letzten Jahren die Bezahlangebote eingeführt, bei denen Nutzer:innen mit Geld statt mit Daten für die Inhalte zahlen. Leser:innen müssen sich beim Besuch von vielen Nachrichtenseiten heute entscheiden: Wollen sie einen monatlichen Betrag zahlen, damit sie das Medium besuchen können, ohne dass ihr Verhalten für Werbezwecke ausgewertet wird? Oder stimmen sie der Überwachung ihres Onlineverhaltens zu und lesen „weiter mit dem üblichen Tracking“, wie es auf den Vorschaltbannern häufig heißt?
Umstritten sind diese Pur-Abomodelle unter anderem deshalb, weil die Datenschutzgrundverordnung vorschreibt, dass Einwilligungen freiwillig erteilt werden müssen. Ist es wirklich eine freiwillige Einwilligung, wenn die Alternative verhältnismäßig teuer ist? Häufig kosten die Pur-Abos vier oder fünf Euro im Monat. Wer also mehrere Nachrichtenseiten ohne Tracking konsumieren möchte, käme schnell auf 30 Euro oder mehr regelmäßige Kosten. In den vergangenen Jahren waren deshalb vermehrt Beschwerden bei den deutschen Datenschutzbehörden eingegangen, unter anderem von der Datenschutzorganisation NOYB.
Nun äußert sich die Datenschutzkonferenz (DSK) zu dem Thema, also der Zusammenschluss der Datenschutzaufsichtsbehörden in Deutschland. Den Beschluss [PDF] kann man im Großen und Ganzen als Bestätigung der derzeitigen Praxis lesen.
Gleichwertige Alternative?
Grundsätzlich jedenfalls, so die DSK, „kann die Nachverfolgung des Nutzendenverhaltens (Tracking) auf eine Einwilligung gestützt werden, wenn alternativ ein trackingfreies Modell angeboten wird, auch wenn dies bezahlpflichtig ist.“ Die Einwilligung müsse natürlich den Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung genügen, heißt es in dem zweiseitigen Beschluss.
Doch statt wie bei Verlautbarungen der DSK sonst üblich die Freiwilligkeit von Einwilligungen zu betonen, streift sie das das Thema dieses Mal nur am Rande. An einer Stelle heißt es: Falls mehrere Einwilligungszwecke vorliegen, „müssen die Anforderungen an die Freiwilligkeit dahingehend erfüllt werden, dass Einwilligungen granular erteilt werden können.“ Das bedeutet, dass Nutzende den verschiedenen Zwecken jeweils einzeln zustimmen oder ablehnen können müssen. Darüber hinaus sei Transparenz wichtig und die betroffenen Personen müssten verständlich informiert werden.
Die Datenschutzbehörden scheinen sich vor der Frage der Freiwilligkeit zu drücken. Sie geben allerdings eine implizite Antwort, indem sie lediglich zwei Kriterien aufstellen, damit Pur-Abos als „gleichwertige Alternative“ zum Lesen mit Tracking anzusehen sind: Zum einen müssten die Pur-Variante und die Tracking-Variante „dem Grunde nach die gleiche Leistung umfassen“. Zum anderen muss das Entgelt für die datenschutzfreundliche Alternative marktüblich sein.
Zumindest das erste Kriterium sieht der Wirtschaftswissenschaftler Timo Müller-Tribbensee klar erfüllt. Zwar gebe es zwischen einzelnen Angeboten durchaus Unterschiede, doch in der Regel sei der Funktionsumfang eines Pur-Abos mindestens so groß wie bei der Tracking-Variante. Gelegentlich komme es sogar vor, dass die Pur-Version auch den Zugang zu einigen „Plus-Artikeln“ enthält, also solchen, die hinter einer klassischen Paywall stehen.
Preise orientieren sich nicht an Werbeeinnahmen
Müller-Tribbensee forscht an der Goethe-Universität Frankfurt in einem von der EU geförderten Forschungsprojekt zu Pur-Abos und gibt im Gespräch mit netzpolitik.org Einblicke in seine Arbeit. Dabei wird deutlich: Beim Preis-Kriterium ist die Lage etwas komplizierter als beim Funktionsumfang. Denn woran sich die Preissetzung der Pur-Abos orientiere, sei nicht klar ersichtlich.
Fest steht: Die Preise orientieren sich nicht an dem, was die Verlage mit Targeted Advertising einnehmen, so Müller-Tribbensee. Die durchschnittlichen Werbeeinnahmen pro Nutzer:innen und Monat lägen schätzungsweise bei unter 10 Cent. Die Einnahmen pro Kopf können sich aber abhängig von der Nutzungsintensität deutlich unterscheiden. Ganz genaue Zahlen zu Einnahmen durch Targeted Advertising lägen auch ihm nicht vor, sagt der Forscher, denn weder Werbefirmen noch Verlage sprechen gerne offen darüber. Doch er konnte einen Datensatz mit Millionen Anzeigen von einer Werbeplattform aus den Jahren 2014 bis 2016 auswerten, der zuverlässige Schlüsse auf die Einnahmen aus Online-Werbung zulässt.
Selbst falls die tatsächlichen Werbeeinahmen heute etwas davon abweichen sollten, sei klar: In der Regel fallen die Kosten für Pur-Abos um ein Vielfaches höher aus als die durchschnittlichen Werbeeinnahmen pro Nutzer:in, so Müller-Tribbensee.
Wenn man beurteilen möchte, ob Pur-Abos eine gleichwertige Alternative sind, könnte man also danach fragen, ob diese Preise angemessen sind. Doch für die Datenschutzbehörden scheint diese Frage nicht relevant zu sein. Sie setzen in ihrem Beschluss lediglich voraus, dass die Preise marktüblich sein müssen. Das heißt: Sie müssen dem entsprechen, was andere Medien nehmen. Die Preisspanne am Markt liege zwischen zwei und zehn Euro, sagt Timo Müller-Tribbensee.
Ob der marktübliche Preis ein hilfreiches Kriterium ist? Das müssten andere entscheiden, gibt sich der Wirtschaftswissenschaftler diplomatisch. Er verweist allerdings darauf, dass die französische Datenschutzbehörde CNIL einen anderen Weg gegangen sei als die deutschen Behörden. Zwar habe auch sie keine Preisspanne festgeschrieben, sondern stelle auf Bewertungen im Einzelfall ab. Allerdings verpflichte die CNIL die Medienanbieter, selbst nachzuweisen, dass sie einen angemessenen Preis nehmen.
Weniger als ein Prozent nutzen Pur-Abos
In der Wahrnehmung der Nutzer:innen scheinen die Pur-Abos jedenfalls nicht als gleichwertige Alternative durchzugehen: „Nach unseren Forschungserkenntnissen nutzen weniger als ein Prozent der Besucher von Nachrichtenseiten ein Pur-Abo“, so Timo Müller-Tribbensee.
Dass diese Zahl steigen würde, wenn die Preise niedriger wären, hält er allerdings nicht für ausgemacht. „Die Zahlungsbereitschaft für Privatsphäre im Internet scheint insgesamt gering.“ Und wenn weniger Leute dem Tracking zustimmen würden, könne dies dazu führen, dass mehr Artikel hinter Paywalls landen und nicht mehr frei verfügbar sind.
Dieses Grundproblem löst auch das Pur-Abo nicht. Doch es löst das Datenschutzproblem der Verlage. Sofern die bei der Einwilligung die formellen Vorgaben der DSK beachten, können sie künftig auf ihre gleichwertige Alternative verweisen. Die Pur-Abos sind gekommen, um zu bleiben. Datenschutz im Netz wird damit zu etwas, das man sich leisten können muss.
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