Nach zwei erfolglosen Versuchen, die Videoüberwachung auszuweiten, nutzt die französische Regierung nun die Olympischen Spiele, um vorerst testweise algorithmische Überwachung zu legalisieren. Bürgerrechtsorganisationen befürchten eine Normalisierung und Ausweitung.
Während am selben Tag im ganzen Land mehr als eine Million Menschen gegen die Rentenreform protestierten, hat das französische Parlament am Donnerstag ein Gesetz beschlossen, das für den Zeitraum der Olympischen Spiele im Juni 2024 und einige Monate darüber hinaus algorithmische Überwachungstechnologien erlaubt.
Frankreich wird dadurch zum ersten EU-Mitgliedstaat, der eine Rechtsgrundlage für diese Form der Überwachung verabschiedet. In den vergangenen Jahren hatte die französische Regierung mit dem Globalen Sicherheitsgesetz und dem LOPMI-Gesetz zweimal erfolglos versucht, Videoüberwachung im öffentlichen Raum auszuweiten.
Der Artikel 7 des neuen Gesetzes schafft eine Rechtsgrundlage für eine Videoüberwachung, die sich auf sogenannte „künstliche Intelligenz“ stützt, welche die Bilder und den Ton von Videoüberwachungskameras verarbeitet und auswertet, um dann Menschen, Objekte oder bestimmte Situationen zu identifizieren.
Zwar enthält das Gesetz eine Aussage, dass die Systeme „kein biometrisches Identifikationssystem verwenden, keine biometrischen Daten verarbeiten und keine Gesichtserkennungstechniken einsetzen“ werden, laut Sophie Duroy im Verfassungsblog impliziert aber die Funktionsweise der geplanten Überwachung die Erfassung und Verarbeitung von in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) geschützter biometrischer Daten.
Identifizierung durch die Hintertüre
So sieht das auch ein offener Brief von fast 40 Bürgerrechtsorganisationen aus ganz Europa, die sich schon im Vorfeld gegen das Gesetz ausgesprochen hatten. Das Gesetz behaupte fälschlicherweise, dass keine biometrischen Daten verarbeitet würden – dies stünde im Gegensatz zur Definition von biometrischen Daten in der DSGVO, so die Bürgerrechtsorganisationen.
„Wenn der Zweck von algorithmusgesteuerten Kameras darin besteht, bestimmte verdächtige Ereignisse in öffentlichen Räumen zu erkennen, werden sie zwangsläufig physiologische Merkmale und Verhaltensweisen von Personen, die sich in diesen Räumen aufhalten, erfassen und analysieren, z. B. ihre Körperhaltung, ihren Gang, ihre Bewegungen, ihre Gesten oder ihr Aussehen.“
Die Isolierung von Personen aus dem Hintergrund, ohne die es unmöglich wäre, das Ziel des Systems zu erreichen, würde auf eine „eindeutige Identifizierung“ hinauslaufen, heißt es weiter im Brief. Somit stelle Artikel 7 des Gesetzes eine effektive Legalisierung der biometrischen Massenüberwachung dar. Die Bügerechtsorganisationen befürchten, dass das Gesetz den Weg zu dieser Form der Massenüberwachung normalisiert und einen Präzedenzfall für andere Staaten schafft.
Gesetz unterläuft KI-Gesetz der EU
Mher Hakobyan, der bei Amnesty International für KI-Regulierung zuständig ist, kritisiert den geplanten Einsatz von Massenüberwachungsmaßnahmen während der Olympischen Spiele 2024. Die Entscheidung untergrabe die laufenden Bemühungen der EU zur Regulierung von KI und zum Schutz der Grundrechte durch das KI-Gesetz.
„Diese Entscheidung, die den Einsatz von KI-gestützter Überwachung zum ersten Mal in Frankreich und der EU legalisiert, birgt das Risiko, Frankreich dauerhaft in einen dystopischen Überwachungsstaat zu verwandeln und groß angelegte Menschenrechtsverletzungen in anderen Teilen der EU zu ermöglichen“, so Hakobyan weiter. Die Menschenrechtsorganisation sieht in dem Projekt einen „umfassenden Angriff“ auf das Recht auf Privatsphäre sowie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
Sophie Duroy schreibt im Verfassungsblog, es sei kein Zufall, dass die französische Regierung nach zwei erfolglosen Versuchen bei der Ausweitung der Überwachung nun einen Gesetzentwurf zu den Olympischen und Paralympischen Spielen als Vorwand für die Genehmigung von algorithmischen Videoüberwachung nutzt. „Das Ausmaß und die Anforderungen der Olympischen Spiele ermöglichen, wie der Ausnahmezustand, die Normalisierung des Außergewöhnlichen.“
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