Heute ist „Public Domain Day“. Der Aktionstag richtet sich gegen die Monopolisierung kulturellen Schaffens als „geistiges Eigentum“. Statt dieses über Jahrzehnte marktwirtschaftlichen Zwängen zu unterwerfen, sollten wir die Idee des Gemeinguts stärken – im Interesse aller.
An jedem 1. Januar wird der „Public Domain Day“ gefeiert. Das ist ein internationaler Aktionstag, an dem Werke von Kreativen, deren Sterbedatum mehr als 70 Jahre zurückliegt, gemeinfrei werden. Auch wir bei Wikimedia Deutschland würdigen an diesem Tag die Kreativität der lange Verstorbenen. Zugleich bringen wir eine milde Form des Protests dagegen zum Ausdruck, dass kreative Erzeugnisse noch viele Jahrzehnte nach ihrer Entstehung als wirtschaftliche Assets fungieren sollen.
Was als Sicherung des Lebensunterhalts der Kreativen gerechtfertigt wird – und des Lebensunterhalts ihrer Enkel und Urenkel –, gilt in Wahrheit fast immer der Wahrung langfristiger Vermögenswerte. Und zwar im Portfolio von Verwertungsunternehmen.
Schon während der Lebenszeit der Kreativen ist ein Monopol auf kulturelles Schaffen als „geistiges Eigentum“ nur mit den Zwängen eines marktwirtschaftlichen Systems zu rechtfertigen. Damit Menschen in einer Marktwirtschaft von kreativer Arbeit leben können, liegt es nahe, ihre Werke als handelbares Gut zu behandeln. Und das sind sie nur dann, wenn ihre Nutzung rechtlich eingeschränkt wird.
Everything is a Remix
Wer aber diese Regeln als zwingend ansieht, verkennt, was Kreativität eigentlich ausmacht: Das Neu-Zusammenfügen bestehender Versatzstücke. Das geschieht mal mit einer impliziten Aussage und mal ohne. Aber stets passiert es gefiltert durch die Erfahrungen und spezifischen Perspektiven der zusammenfügenden Personen – mit einem Ergebnis, das es in dieser Form bis dato nicht gab.
Neu ist dieses Verständnis von Kreativität nicht. Detailliert dargestellt wird es in der berühmten, 2021 wiederaufgelegten Dokumentation Everything is a Remix von Kirby Fergusson.
Je weiter dieser Remix am Ende vom Bekannten entfernt ist, desto größer wird üblicherweise der persönliche Anteil der Kreativen eingeschätzt – und mit ihm die Originalität und kreative Leistung insgesamt. Problematisch ist daran vor allem, dass sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand das gesellschaftliche Gedächtnis immer mehr auf wenige Einzelne verengt, deren Schaffen dann als besonders bahnbrechend gilt. Derweil fallen die Namen vieler Anderer aus dem Who’s Who der Kreativen heraus, das die meisten Menschen im Kopf haben. Das befördert den Mythos vom kreativen Genie, das nur aus sich selbst heraus die großen Werke der Kulturgeschichte schafft.
Grundlage der Kreativität: Die Public Domain
Kreativität und Kulturschaffen sind komplex. Sie funktionieren, indem eine Person Werke schafft, die auf den Arbeiten einer anderen aufbaut. Auch die „Erfinderin“ eines „ganz neuen“ Malstils oder der Designer eines nie da gewesenen Sitzmöbels schöpfen nicht aus dem Nichts. Ihr Fundament sind alle ihnen bekannten, zuvor entstandenen Dinge – das Gemeingut, auf Englisch: Public Domain. Auf diesem stetig wachsenden Bestand basiert ein wesentlicher Teil der Kreativität. Und eben diese Public Domain ist kein Konzept nur des Urheberrechts.
Die damit bezeichnete Sphäre ist weit größer als der juristische Raum. Sie umfasst Ideen und Ansichten, die mathematischen wie die physikalischen Gesetzmäßigkeiten und folglich alle technischen Lösungen, die Farben genauso wie die Gerüche. Und damit übrigens auch sämtliche Kochrezepte und sonstigen chemischen Anleitungen einschließlich ihrer Kodierung.
Manche horchen hier auf: Sind technische Lösungen nicht patentierbar? Und warum ist auf Rezepte-Seiten im Netz so oft „Alle Rechte vorbehalten“ zu lesen? Nun, bei Koch-Websites oder -büchern können Rechte nur an den beschreibenden Fließtexten bestehen, niemals aber an der Kochanleitung selbst, ganz gleich wie ungewöhnlich ein Gericht auch sein mag. Und jeder Urheberrechtsschutz ist bei genauer Betrachtung eine Ausnahme, ein zeitlich begrenztes Monopol. Schutzrechte laufen ab, weil sie zwangsläufig ins Gemeingut eingreifen.
Nutzbarkeit für die Allgemeinheit
Es mag Jean-Michel Jarre nicht gefallen – doch ein solcher Eingriff in die Public Domain ist nur so lange zu rechtfertigen, wie es etwas Höherrangiges als das allgemeine Interesse aller an kulturellen Erzeugnissen zu schützen gilt.
Im Urheberrecht ist dieses Etwas nach gängiger Begründung die persönliche Verbindung einer kreativen Person zu ihren Werken sowie die Annahme, dass intensives Kreativsein nur hauptberuflich möglich ist, siehe oben. Was zu der ebenfalls schon aufgeworfenen Frage zurückführt, weshalb noch 70 Jahre nach dem Tod einer Person ein Monopol an ihrem Werk bestehen soll. Im Patentrecht wird beispielsweise ein Schutz von nur 20 Jahren gewährt – ab Anmeldung wohlgemerkt, nicht ab dem Tod der Erfinderin. Dieser kann um maximal fünf Jahre verlängert werden.
Ein beliebter Einwand lautet, dass schließlich viel weniger potentielle Lösungen für technische Probleme existierten als potentielle kulturelle Ausdrücke. Daher falle der Schaden durch eine Monopolisierung hier viel höher aus als beim Urheberrecht. Stimmt das? Oder ist der Schaden im Kulturbereich einfach nur schwieriger zu beziffern als auf dem technisch-wirtschaftlichen Feld? Ein kürzlich online gegangenes Video von Richard Misek legt ebendies nahe und nennt zur Abwechslung auch genaue Zahlen.
Welche exakte Länge von Schutzfristen beim Urheberrecht angemessen wäre, sei dahingestellt. Vieles spricht jedoch dafür, dass die bestehenden Fristen zu lang sind. Darüber hinaus gibt es gute Argumente dafür, dass Inhalte, deren Entstehung die Allgemeinheit maßgeblich mitfinanziert, ohne irgendwelche Fristen für ebendiese direkt nutzbar sein sollten.
Unser Slogan lautet: Öffentliches Geld – Öffentliches Gut! Wir treten damit seit Jahren insbesondere an öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten heran – wo sich inzwischen vieles tut. Unsere Forderung nach Nutzbarkeit für die Allgemeinheit schließt neben den von öffentlichen Einrichtungen selbst erstellten Inhalten auch alle vom Staat in Auftrag gegebenen Studien, Rechtsgutachten und sonstigen Wissensinhalte ein. Und dort, wo es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aus bestimmten Gründen nicht ganz ohne Schutzrechte geht, sollten standardmäßig zumindest freie Lizenzen zum Einsatz kommen.
Das Streiten für den Riesen Public Domain
Dieses Eintreten fürs Gemeinwohl zeigt Wirkung: Nicht nur konnte bislang verhindert werden, dass das völlig irrwitzige Konzept eines „Dateneigentums“ gesetzlich verankert wird. Aktive in ganz Europa haben gemeinsam die erste ausdrückliche Erwähnung der Public Domain in einem Gesetz erstritten. Es regelt, dass rechtefrei gewordene Werke auch dann frei bleiben, wenn sie eins zu eins digitalisiert werden. Ein wichtiger und schöner Erfolg, denn so konnte verhindert werden, dass neue Rechte durch die Digitalisierung von Werken entstehen, die sich ansonsten längst in der Public Domain befänden.
Das aber ist das eigentliche Problem: Wir befinden uns inmitten eines ständigen Verteidigungskampfes. Er richtet sich dagegen, dass der Public Domain Werke entrissen werden, um diese zu privatisieren und zur Handelsware zu machen. Nein, Handel ist nicht per se etwas Schlechtes. Aber er darf auch nicht der Zweck sein, der alle Mittel heiligt.
Zukünftig sollte es darum gehen, die Public Domain grundsätzlich unter Schutz zu stellen – im Interesse aller. Dazu muss sie beim Namen genannt werden. Die Sphäre des Gemeinguts braucht Sichtbarkeit, um zu einem wehrhaften Riesen werden zu können.
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