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Cybercrime Convention: NGOs finden UN-Pläne „extrem beunruhigend“

Mit einer „Cybercrime Convention“ wollen die Vereinten Nationen eine netzpolitische Grundlage für den Planeten legen. Menschenrechtler*innen sehen in dem Vorhaben „gruselige Ideen“. Sie warnen unter anderem vor Vorratsdatenspeicherung und staatlichem Hacking.

Eine UN-Flagge vor blauem Himmel; ein Screenshot zeigt einen Ausschnitt des geplanten Bestimmungen
Netzpolitischer Rundumschlag der UN – Motiv: IMAGO / ZUMA Press; Screenshot: undoc.org

Die Vereinten Nationen (UN) möchten mit einer Konvention zu Online-Kriminalität bei der globalen Netzpolitik mitmischen. Die Organisation hat mit ihren 193 Mitgliedstaaten Einfluss auf nahezu den gesamten Planeten. Aktuell verhandelt ein UN-Komitee über den Entwurf für eine Konvention, die auch als „Cybercrime Convention“ bezeichnet wird. Sie soll Online-Kriminalität bekämpfen, Nutzer*innen schützen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten vereinfachen.

Dutzende NGOs, die sich weltweit für Grund- und Menschenrechte einsetzen, halten zentrale Aspekte der geplanten Konvention für gefährlich und fürchten etwa Vorratsdatenspeicherung und staatliches Hacking. Das geht aus mehreren Stellungnahmen hervor, etwa einem offenen Brief, den mehr als 80 NGOs unterstützen. Darunter ist zum Beispiel die Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch, aus Deutschland vertreten sind der Chaos Computer Club und die Digitale Gesellschaft, aus Österreich epicenter.works. Weitere Kritik gibt es in einer gemeinsamen Analyse von Privacy International und der US-amerikanischen NGO Electronic Frontier Foundation (EFF), die sich für digitale Grundrechte stark macht.

In beiden Papieren stellen die Verfasser*innen klar, dass sie das Vorhaben der UN grundsätzlich für „nicht nötig“ halten. Auch heißt es in beiden Papieren, dass die geplanten Bestimmungen Menschenrechte bedrohen. Als „extrem beunruhigend“ bezeichnen das die Unterzeichnenden rund um Human Rights Watch; die EFF spricht an anderer Stelle von einer „Bandbreite an gruseligen Ideen“.

Der volle Name der geplanten UN-Bestimmungen lautet: „Konvention über die Bekämpfung des Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien zu kriminellen Zwecken“. Sie sind nicht zu verwechseln mit einem anderen völkerrechtlichen Vertrag – der Budapester Konvention des Europarats. Auch sie wird als „Cybercrime Convention“ bezeichnet. Der Europarat ist eine von der EU unabhängige Organisation und mit 46 Mitgliedstaaten kleiner als die UN.

Konkret geht aus den UN-Entwürfen eine ausführliche Wunschliste aus Überwachungsgesetzen hervor. Der aktuelle Verhandlungsstand ist vom 16. Januar und umfasst rund 30 PDF-Seiten. Die Rede ist zum Beispiel von „Maßnahmen, um in Echtzeit Verkehrsdaten zu sammeln“ – ein Vorhaben, das als Vorratsdatenspeicherung bekannt ist, und in der EU bereits mehrfach als unzulässige Massenüberwachung zurückgewiesen wurde.

Warnung vor staatlichem Hacking

Auch die Inhalte von Kommunikation sind im Visier des Entwurfs: Staaten sollten demnach das Recht haben, diese in Echtzeit abzufangen. Das ist zunächst sehr offen formuliert, könnte aber im Ernstfall darauf hinauslaufen, dass Staaten die Geräte ihrer Bürger*innen hacken dürfen. Ein ähnliches Szenario befürchtet zumindest die EFF, die fordert: Die UN solle klarstellen, dass die Konvention „nicht das Hacken von Netzwerken und Endgeräten“ fordern soll.

Diesen Punkt unterstreicht auch das Papier von über 80 NGOs: Staatliches Hacking könne demnach „der Integrität und Sicherheit von Netzwerken, Daten und Geräten schaden“. Derzeit arbeitet die EU die Skandale um staatliche Überwachung durch Trojaner in einem Untersuchungsausschuss auf.

Weiter schreibt die EFF: Die vorgeschlagene UN-Konvention habe „das Potenzial, das Strafrecht auf der ganzen Welt umzuschreiben“. Es würde neue Befugnisse für Behörden schaffen „und die Rechte von Milliarden von Menschen weltweit beeinträchtigen“. Die EFF habe bereits oft beobachtet, wie Gesetze zur Bekämpfung von Online-Kriminalität für „falsche und unverhältnismäßige“ Anklagen genutzt wurden, etwa gegen Forscher*innen, Aktivist*innen und Whistleblower*innen.

Ins Auge stechen vor diesem Hintergrund besonders offen formulierte Passagen wie etwa Bestimmungen gegen das „Verbreiten falscher Informationen“, die „soziale Unruhen“ auslösen können. Die Definition von „falsch“ solle dabei die Gesetze der jeweiligen Staaten berücksichtigen, heißt es im Entwurf der UN-Konvention. Wohin so etwas führen kann, zeigte im vergangenen Jahr ein Gesetz in Russland: Es untersagte, vorgeblich „falsche“ Informationen über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu verbreiten.

Verhandlungen bis September geplant

Im Entwurf für die UN-Konvention geht es um noch viel mehr Themen, er ist ein netzpolitischer Rundumschlag. So gibt es etwa auch Bestimmungen gegen die Verbreitung von Material über Kindesmissbrauch – und gegen die Verbreitung von nicht-einvernehmlichen Nacktaufnahmen, umgangssprachlich bekannt als Rachepornos. Demnach soll ein neuer Straftatbestand geschaffen werden, wenn Menschen Nacktaufnahmen ohne Einverständnis der gezeigten Personen verbreiten. Das könnte durchaus eine Lücke schließen, die Betroffene sogenannter bildbasierter Gewalt seit vielen Jahren beklagen. Weitere Bestimmungen drehen sich etwa um Urheberrecht und Drogenhandel.

Zumindest zu Beginn des Entwurfs steht der ausdrückliche Hinweis, dass Staaten die Bestimmungen im Einklang mit internationalem Menschenrecht umsetzen sollen. Außerdem sollen sich Staaten demnach „bemühen“, die Bedürfnisse vulnerabler Gruppen zu berücksichtigen, „insbesondere Frauen, Kinder und ältere Menschen“. Nicht ausdrücklich erwähnt werden an dieser Stelle weitere Gruppen, die durch staatliche Online-Überwachung besonders gefährdet sind, etwa politisch verfolgte Minderheiten.

Die Staaten verhandeln noch, es kann sich vieles ändern. Derzeit läuft die vierte Sitzung des Komitees in Wien. Eine fünfte ist im April in Wien geplant; die letzte und sechste ist von Ende August bis Anfang September in New York. Am Ende soll das Komitee der Vollversammlung der UN einen fertigen Entwurf vorlegen. Human Rights Watch rechnet mit einer Einigung bis Anfang 2024.

Bis aus den Bestimmungen einer UN-Konvention fertige Gesetze werden, vergehen einige Schritte. Nachdem die UN eine Konvention verabschiedet hat, sind zunächst die Mitgliedstaaten am Zug. Sie müssen eine Konvention zunächst ratifizieren, das heißt: ihr offiziell zustimmen. Dann sollen sie die Bestimmungen in nationales Recht gießen.


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